die bis zu 20 vom Hundert stieg, ausgeschrieben; ein keineswegs reicher Stettiner Kaufmann mußte in dem Jahre nach dem Frieden für Contri- bution und Einquartierung mehr als 15,000 Thlr. zahlen.
Handel und Wandel stockten. Der britische Kaufmannsneid hatte den letzten Krieg rücksichtslos benutzt um die stärkste Handelsmarine der Ost- seeküsten zu zerstören. Als nachher der Krieg gegen Frankreich ausbrach, der Friede mit England noch nicht geschlossen war, sah sich die preußische Flagge gleichzeitig durch die britischen und die französischen Kreuzer be- droht. Dann kam der Jammer der Continentalsperre. Die Rhederei der pommerschen Häfen verringerte sich in kurzer Zeit von 34,000 auf 20,000 Last. Die alten natürlichen Straßen des Welthandels lagen verödet; die baltischen Provinzen verloren, da ihnen gute Landstraßen noch fast gänz- lich fehlten, den Absatzweg für ihren einzigen Exportartikel, das Getreide. Ein heilloser Schmuggelhandel führte von Gothenburg und Helgoland, dem neuen Klein-London, die Waaren der Colonien in's Land; andere Waarenzüge kamen aus Malta und Corfu durch Bosnien und Ungarn. Der preußische Mittelstand konnte die Preise der gewohnten Genußmittel nicht mehr erschwingen; man trank Cichorienwasser, rauchte Huflattich und Nußblätter. Bettelhaftes Elend in jedem Haushalt, jedem Gewerb: die Königsberger Buchdrucker verlangten drei Wochen Frist um ein sechs Bogen langes Gesetz zu drucken, weil sie nur für einen Bogen Satz hatten. Schoen, der gewiegte Finanzmann, der sich gern seines altpreu- ßischen Muthes rühmte, fand die Zustände so hoffnungslos, daß er schon vier Monate nach dem Frieden in einer Denkschrift ausführte: man müsse den Sieger durch die Abtretung des Magdeburgischen rechts der Elbe und eines Theiles von Oberschlesien befriedigen, sonst gehe das Land durch den Steuerdruck zu Grunde.
Alles erinnerte an jene jammervollen Zeiten, da einst die Wallen- steiner in den Marken hausten und Georg Wilhelm als ein Fürst ohne Land in Königsberg weilte. Aber welche Saat von Liebe und Treue war während der sechs Menschenalter seitdem aufgegangen! Damals wider- setzte sich der Königsberger Landtag in störrischem Trotze seinem Kurfürsten; jetzt standen Fürst und Volk zu einander wie eine große Familie. Das ärmliche Landhaus bei Memel und die düsteren Räume des alten Ordens- schlosses in Königsberg wurden nicht leer von Besuchern, die ihrem Könige in seiner Noth eine Freude bereiten, ein gutes Wort sagen wollten; zu der Taufe der neugeborenen Königstochter erschienen die Stände von Ost- preußen als Pathen; an allen Läden hing das neue Bild, das den König in der häßlichen Uniform der Zeit inmitten seiner Kinder darstellte. Und wie viel königlicher als der Vater des großen Kurfürsten wußte Friedrich Wilhelm sein hartes Loos zu tragen. Eine tiefe Bitterkeit erfüllte ihm die Seele, mehr als je bedurfte er des herzlichen Zuspruchs seiner Ge- mahlin; er hatte Stunden, wo ihm zu Muthe war, als ob nichts ihm
Wirthſchaftliche Erſchöpfung des Staates.
die bis zu 20 vom Hundert ſtieg, ausgeſchrieben; ein keineswegs reicher Stettiner Kaufmann mußte in dem Jahre nach dem Frieden für Contri- bution und Einquartierung mehr als 15,000 Thlr. zahlen.
Handel und Wandel ſtockten. Der britiſche Kaufmannsneid hatte den letzten Krieg rückſichtslos benutzt um die ſtärkſte Handelsmarine der Oſt- ſeeküſten zu zerſtören. Als nachher der Krieg gegen Frankreich ausbrach, der Friede mit England noch nicht geſchloſſen war, ſah ſich die preußiſche Flagge gleichzeitig durch die britiſchen und die franzöſiſchen Kreuzer be- droht. Dann kam der Jammer der Continentalſperre. Die Rhederei der pommerſchen Häfen verringerte ſich in kurzer Zeit von 34,000 auf 20,000 Laſt. Die alten natürlichen Straßen des Welthandels lagen verödet; die baltiſchen Provinzen verloren, da ihnen gute Landſtraßen noch faſt gänz- lich fehlten, den Abſatzweg für ihren einzigen Exportartikel, das Getreide. Ein heilloſer Schmuggelhandel führte von Gothenburg und Helgoland, dem neuen Klein-London, die Waaren der Colonien in’s Land; andere Waarenzüge kamen aus Malta und Corfu durch Bosnien und Ungarn. Der preußiſche Mittelſtand konnte die Preiſe der gewohnten Genußmittel nicht mehr erſchwingen; man trank Cichorienwaſſer, rauchte Huflattich und Nußblätter. Bettelhaftes Elend in jedem Haushalt, jedem Gewerb: die Königsberger Buchdrucker verlangten drei Wochen Friſt um ein ſechs Bogen langes Geſetz zu drucken, weil ſie nur für einen Bogen Satz hatten. Schoen, der gewiegte Finanzmann, der ſich gern ſeines altpreu- ßiſchen Muthes rühmte, fand die Zuſtände ſo hoffnungslos, daß er ſchon vier Monate nach dem Frieden in einer Denkſchrift ausführte: man müſſe den Sieger durch die Abtretung des Magdeburgiſchen rechts der Elbe und eines Theiles von Oberſchleſien befriedigen, ſonſt gehe das Land durch den Steuerdruck zu Grunde.
Alles erinnerte an jene jammervollen Zeiten, da einſt die Wallen- ſteiner in den Marken hauſten und Georg Wilhelm als ein Fürſt ohne Land in Königsberg weilte. Aber welche Saat von Liebe und Treue war während der ſechs Menſchenalter ſeitdem aufgegangen! Damals wider- ſetzte ſich der Königsberger Landtag in ſtörriſchem Trotze ſeinem Kurfürſten; jetzt ſtanden Fürſt und Volk zu einander wie eine große Familie. Das ärmliche Landhaus bei Memel und die düſteren Räume des alten Ordens- ſchloſſes in Königsberg wurden nicht leer von Beſuchern, die ihrem Könige in ſeiner Noth eine Freude bereiten, ein gutes Wort ſagen wollten; zu der Taufe der neugeborenen Königstochter erſchienen die Stände von Oſt- preußen als Pathen; an allen Läden hing das neue Bild, das den König in der häßlichen Uniform der Zeit inmitten ſeiner Kinder darſtellte. Und wie viel königlicher als der Vater des großen Kurfürſten wußte Friedrich Wilhelm ſein hartes Loos zu tragen. Eine tiefe Bitterkeit erfüllte ihm die Seele, mehr als je bedurfte er des herzlichen Zuſpruchs ſeiner Ge- mahlin; er hatte Stunden, wo ihm zu Muthe war, als ob nichts ihm
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Wirthſchaftliche Erſchöpfung des Staates.
die bis zu 20 vom Hundert ſtieg, ausgeſchrieben; ein keineswegs reicher
Stettiner Kaufmann mußte in dem Jahre nach dem Frieden für Contri-
bution und Einquartierung mehr als 15,000 Thlr. zahlen.
Handel und Wandel ſtockten. Der britiſche Kaufmannsneid hatte den
letzten Krieg rückſichtslos benutzt um die ſtärkſte Handelsmarine der Oſt-
ſeeküſten zu zerſtören. Als nachher der Krieg gegen Frankreich ausbrach,
der Friede mit England noch nicht geſchloſſen war, ſah ſich die preußiſche
Flagge gleichzeitig durch die britiſchen und die franzöſiſchen Kreuzer be-
droht. Dann kam der Jammer der Continentalſperre. Die Rhederei der
pommerſchen Häfen verringerte ſich in kurzer Zeit von 34,000 auf 20,000
Laſt. Die alten natürlichen Straßen des Welthandels lagen verödet; die
baltiſchen Provinzen verloren, da ihnen gute Landſtraßen noch faſt gänz-
lich fehlten, den Abſatzweg für ihren einzigen Exportartikel, das Getreide.
Ein heilloſer Schmuggelhandel führte von Gothenburg und Helgoland,
dem neuen Klein-London, die Waaren der Colonien in’s Land; andere
Waarenzüge kamen aus Malta und Corfu durch Bosnien und Ungarn.
Der preußiſche Mittelſtand konnte die Preiſe der gewohnten Genußmittel
nicht mehr erſchwingen; man trank Cichorienwaſſer, rauchte Huflattich
und Nußblätter. Bettelhaftes Elend in jedem Haushalt, jedem Gewerb:
die Königsberger Buchdrucker verlangten drei Wochen Friſt um ein ſechs
Bogen langes Geſetz zu drucken, weil ſie nur für einen Bogen Satz
hatten. Schoen, der gewiegte Finanzmann, der ſich gern ſeines altpreu-
ßiſchen Muthes rühmte, fand die Zuſtände ſo hoffnungslos, daß er ſchon
vier Monate nach dem Frieden in einer Denkſchrift ausführte: man müſſe
den Sieger durch die Abtretung des Magdeburgiſchen rechts der Elbe und
eines Theiles von Oberſchleſien befriedigen, ſonſt gehe das Land durch
den Steuerdruck zu Grunde.
Alles erinnerte an jene jammervollen Zeiten, da einſt die Wallen-
ſteiner in den Marken hauſten und Georg Wilhelm als ein Fürſt ohne
Land in Königsberg weilte. Aber welche Saat von Liebe und Treue war
während der ſechs Menſchenalter ſeitdem aufgegangen! Damals wider-
ſetzte ſich der Königsberger Landtag in ſtörriſchem Trotze ſeinem Kurfürſten;
jetzt ſtanden Fürſt und Volk zu einander wie eine große Familie. Das
ärmliche Landhaus bei Memel und die düſteren Räume des alten Ordens-
ſchloſſes in Königsberg wurden nicht leer von Beſuchern, die ihrem Könige
in ſeiner Noth eine Freude bereiten, ein gutes Wort ſagen wollten; zu
der Taufe der neugeborenen Königstochter erſchienen die Stände von Oſt-
preußen als Pathen; an allen Läden hing das neue Bild, das den König
in der häßlichen Uniform der Zeit inmitten ſeiner Kinder darſtellte. Und
wie viel königlicher als der Vater des großen Kurfürſten wußte Friedrich
Wilhelm ſein hartes Loos zu tragen. Eine tiefe Bitterkeit erfüllte ihm
die Seele, mehr als je bedurfte er des herzlichen Zuſpruchs ſeiner Ge-
mahlin; er hatte Stunden, wo ihm zu Muthe war, als ob nichts ihm
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/293>, abgerufen am 22.11.2024.
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