Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 3. Preußens Erhebung. einander. Grundverschiedene Gesinnungen, die sich bald leidenschaftlichbekämpfen sollten, gingen noch harmlos Hand in Hand. Der Reactionär Fouque lebte mit dem Radikalen Fichte wie der Sohn mit dem Vater. Von den romantischen Poeten dachten einige gläubigfromm, während andere mit den mittelalterlichen Idealen nur ironisch spielten. Auf dem historischen Gebiete erschienen neben Niebuhrs und Eichhorns streng metho- dischen Forschungen auch phantastische Werke, wie Creuzers Symbolik, der erste Versuch, die geheimnißvolle Nachtseite der antiken Cultur, die Re- ligion und die Mysterien der Alten zu verstehen -- ein Buch voll geist- reicher Ahnungen, aber auch voll spielender Willkür, dunkel wie die Träumerei der Naturphilosophie. Die wissenschaftliche Beschaulichkeit der historischen Juristenschule war nicht frei von Angst und Thatenscheu; sie hatte im Grunde wenig gemein mit Arndts hoffnungsvollem, unerschrockenen Freisinn und berührte sich vielfach mit den Ansichten von F. Gentz, der jetzt, erschöpft durch Ausschweifungen, innerlich erkältet und blasirt, in dem verflachenden, gedankenlosen Wiener Leben mehr und mehr ein un- bedingter Lobredner der guten alten Zeit wurde. Der unerschöpfliche Ge- staltenreichthum der deutschen Geschichte erlaubte Jedem, wes Sinnes er auch war, sich für irgend ein Stück der vaterländischen Vorzeit zu er- wärmen. Die Einen reizte der fremdartig phantastische Zauber, die Andern der frische biderbe Volkston des mittelalterlichen Lebens. Während Fichte seine Hörer auf die Bürgerherrlichkeit der Hansa und die Schmalkaldener Glaubenskämpfer hinwies, verdammte F. Schlegel den "Erbfeind" Fried- rich den Großen, und der prahlerische Phantast Adam Müller feierte das heilige römische Reich als den Ausbau der Persönlichkeit Christi. Noch verworrener wogten die religiösen Stimmungen durch ein- I. 3. Preußens Erhebung. einander. Grundverſchiedene Geſinnungen, die ſich bald leidenſchaftlichbekämpfen ſollten, gingen noch harmlos Hand in Hand. Der Reactionär Fouqué lebte mit dem Radikalen Fichte wie der Sohn mit dem Vater. Von den romantiſchen Poeten dachten einige gläubigfromm, während andere mit den mittelalterlichen Idealen nur ironiſch ſpielten. Auf dem hiſtoriſchen Gebiete erſchienen neben Niebuhrs und Eichhorns ſtreng metho- diſchen Forſchungen auch phantaſtiſche Werke, wie Creuzers Symbolik, der erſte Verſuch, die geheimnißvolle Nachtſeite der antiken Cultur, die Re- ligion und die Myſterien der Alten zu verſtehen — ein Buch voll geiſt- reicher Ahnungen, aber auch voll ſpielender Willkür, dunkel wie die Träumerei der Naturphiloſophie. Die wiſſenſchaftliche Beſchaulichkeit der hiſtoriſchen Juriſtenſchule war nicht frei von Angſt und Thatenſcheu; ſie hatte im Grunde wenig gemein mit Arndts hoffnungsvollem, unerſchrockenen Freiſinn und berührte ſich vielfach mit den Anſichten von F. Gentz, der jetzt, erſchöpft durch Ausſchweifungen, innerlich erkältet und blaſirt, in dem verflachenden, gedankenloſen Wiener Leben mehr und mehr ein un- bedingter Lobredner der guten alten Zeit wurde. Der unerſchöpfliche Ge- ſtaltenreichthum der deutſchen Geſchichte erlaubte Jedem, wes Sinnes er auch war, ſich für irgend ein Stück der vaterländiſchen Vorzeit zu er- wärmen. Die Einen reizte der fremdartig phantaſtiſche Zauber, die Andern der friſche biderbe Volkston des mittelalterlichen Lebens. Während Fichte ſeine Hörer auf die Bürgerherrlichkeit der Hanſa und die Schmalkaldener Glaubenskämpfer hinwies, verdammte F. Schlegel den „Erbfeind“ Fried- rich den Großen, und der prahleriſche Phantaſt Adam Müller feierte das heilige römiſche Reich als den Ausbau der Perſönlichkeit Chriſti. Noch verworrener wogten die religiöſen Stimmungen durch ein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0330" n="314"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/> einander. Grundverſchiedene Geſinnungen, die ſich bald leidenſchaftlich<lb/> bekämpfen ſollten, gingen noch harmlos Hand in Hand. Der Reactionär<lb/> Fouqu<hi rendition="#aq">é</hi> lebte mit dem Radikalen Fichte wie der Sohn mit dem Vater.<lb/> Von den romantiſchen Poeten dachten einige gläubigfromm, während<lb/> andere mit den mittelalterlichen Idealen nur ironiſch ſpielten. 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I. 3. Preußens Erhebung.
einander. Grundverſchiedene Geſinnungen, die ſich bald leidenſchaftlich
bekämpfen ſollten, gingen noch harmlos Hand in Hand. Der Reactionär
Fouqué lebte mit dem Radikalen Fichte wie der Sohn mit dem Vater.
Von den romantiſchen Poeten dachten einige gläubigfromm, während
andere mit den mittelalterlichen Idealen nur ironiſch ſpielten. Auf dem
hiſtoriſchen Gebiete erſchienen neben Niebuhrs und Eichhorns ſtreng metho-
diſchen Forſchungen auch phantaſtiſche Werke, wie Creuzers Symbolik, der
erſte Verſuch, die geheimnißvolle Nachtſeite der antiken Cultur, die Re-
ligion und die Myſterien der Alten zu verſtehen — ein Buch voll geiſt-
reicher Ahnungen, aber auch voll ſpielender Willkür, dunkel wie die
Träumerei der Naturphiloſophie. Die wiſſenſchaftliche Beſchaulichkeit der
hiſtoriſchen Juriſtenſchule war nicht frei von Angſt und Thatenſcheu; ſie
hatte im Grunde wenig gemein mit Arndts hoffnungsvollem, unerſchrockenen
Freiſinn und berührte ſich vielfach mit den Anſichten von F. Gentz, der
jetzt, erſchöpft durch Ausſchweifungen, innerlich erkältet und blaſirt, in
dem verflachenden, gedankenloſen Wiener Leben mehr und mehr ein un-
bedingter Lobredner der guten alten Zeit wurde. Der unerſchöpfliche Ge-
ſtaltenreichthum der deutſchen Geſchichte erlaubte Jedem, wes Sinnes er
auch war, ſich für irgend ein Stück der vaterländiſchen Vorzeit zu er-
wärmen. Die Einen reizte der fremdartig phantaſtiſche Zauber, die Andern
der friſche biderbe Volkston des mittelalterlichen Lebens. Während Fichte
ſeine Hörer auf die Bürgerherrlichkeit der Hanſa und die Schmalkaldener
Glaubenskämpfer hinwies, verdammte F. Schlegel den „Erbfeind“ Fried-
rich den Großen, und der prahleriſche Phantaſt Adam Müller feierte das
heilige römiſche Reich als den Ausbau der Perſönlichkeit Chriſti.
Noch verworrener wogten die religiöſen Stimmungen durch ein-
ander. Zwar die proteſtantiſchen Kernmenſchen, Schleiermacher, Fichte,
die Gebrüder Grimm, ſchwankten niemals in ihrer evangeliſchen Ueber-
zeugung. Savigny aber wurde durch den trefflichen katholiſchen Theo-
logen Sailer den Anſchauungen der vorlutheriſchen Kirche näher geführt.
Schenkendorf ſang verzückte Lieder auf die ſüße Königin Maria und auf
den „feſten, treuen Max von Baiern“, den fanatiſchen Helden der katho-
liſchen Liga; der Uebertritt F. Schlegels und F. Stolbergs zur römiſchen
Kirche warf ein grelles Licht auf die ſittliche Schwäche der noch immer
überwiegend äſthetiſchen Weltanſchauung des Zeitalters. Ein finſterer
Judenhaß verdrängte die weitherzige Duldſamkeit der fridericianiſchen
Tage. Mancher unter den mittelalterlichen Schwarmgeiſtern meinte in
jedem Judengeſicht die Marterwerkzeuge Chriſti deutlich eingegraben zu
ſehen. Politiſcher Haß ſpielte mit hinein, da Napoleon geſchickt und nicht
ohne Erfolg das europäiſche Judenthum für die Sache ſeines Weltreichs
zu gewinnen ſuchte. Alle dieſe Beſtrebungen ſtanden für jetzt in leid-
lichem Einklang, und der alte Voß fand noch geringen Beifall, als er
mit geſundem Menſchenverſtande und ungeſchlachter Grobheit im Namen
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