nicht; auch in einzelnen Städten, die bisher vom Heerdienste frei gewesen, stießen die neuen Gesetze auf Widerstand. Das deutsche und litthauische Landvolk der alten Provinzen dagegen war seit dem gestrengen Friedrich Wilhelm I. mit der Wehrpflicht vertraut. Zugleich wurden überall öffent- liche Sammlungen veranstaltet, wie sie bisher nur für wohlthätige Zwecke üblich waren: dies arme Viertel der deutschen Nation brachte mit der Blüthe seiner männlichen Jugend auch die letzten kargen Reste seines Wohlstandes zum Opfer für die Wiederauferstehung des Vaterlandes. Von baarem Gelde war wenig vorhanden, aber was sich noch auftreiben ließ von altem Schmuck und Geschmeide ging dahin. In manchen Strichen der alten Provinzen galt es nach dem Kriege als eine Schande, wenn ein Haushalt noch Silberzeug besaß. Kleine Leute trugen ihre Trauringe in die Münze, empfingen eiserne zurück mit der Inschrift: "Gold für Eisen;" manches arme Mädchen gab ihr reiches Lockenhaar als Opfer.
Eine wunderbare, andächtige Stille lag über dem in allen seinen Tiefen aufgeregten Volke. Den Lärm der Presse und der Vereine kannte die Zeit noch nicht; aber auch im vertrauten Kreise wurde selten eine prahlerische Rede laut. In den Tagen ihres häuslichen Stilllebens hatten die Deutschen gern überschwänglichen Ausdruck an nichtigen Gegenstand verschwendet; jetzt ward das Leben selber reich und ernst, Jeder empfand die Größe der That, die Armuth des Wortes. Jeder fühlte, wie Niebuhr gestand, still "die Seligkeit, mit seinem ganzen Volke, den Gelehrten und den Einfältigen, dasselbe Gefühl zu theilen", und Allen ward "liebend, friedlich und stark zu Muthe". Recht nach dem Herzen seines Volkes hatte Friedrich Wilhelms frommer Sinn den Wahlspruch "mit Gott für König und Vaterland" der Landwehr gegeben und angeordnet, daß die ausgehobenen Wehrmänner vom Sammelplatze sogleich zu einer kirch- lichen Feier geführt wurden. In jeder Kirche des Landes sollte eine Gedächtnißtafel die Namen der ruhmvoll gefallenen Söhne der Gemeinde bewahren. Schwer hatte die Hand des lebendigen Gottes auf den Bil- dungsstolzen gelastet; ergeben und erhoben blickte dies neue Geschlecht wieder mit festem Vertrauen zu "dem alten deutschen Gott" empor und hoffte mit seinem Dichter:
Wer fällt, der kanns verschmerzen, Der hat das Himmelreich.
Als die ersten Freiwilligen nach Breslau zogen, sangen sie noch das Reiterlied der Wallensteiner. Bald aber schuf sich das Heer seine eigenen Gesänge. Unversieglich wie einst den frommen Landsknechten floß den neuen Wehrmännern der Quell der Lieder. Beim Ausmarsch klang es: "Die Preußen haben Alarm geschlagen!" und dann schlang sich ein dichter Kranz kunstloser Volksweisen um jedes Erlebniß des langen Krieges,
Die Volkserhebung.
nicht; auch in einzelnen Städten, die bisher vom Heerdienſte frei geweſen, ſtießen die neuen Geſetze auf Widerſtand. Das deutſche und litthauiſche Landvolk der alten Provinzen dagegen war ſeit dem geſtrengen Friedrich Wilhelm I. mit der Wehrpflicht vertraut. Zugleich wurden überall öffent- liche Sammlungen veranſtaltet, wie ſie bisher nur für wohlthätige Zwecke üblich waren: dies arme Viertel der deutſchen Nation brachte mit der Blüthe ſeiner männlichen Jugend auch die letzten kargen Reſte ſeines Wohlſtandes zum Opfer für die Wiederauferſtehung des Vaterlandes. Von baarem Gelde war wenig vorhanden, aber was ſich noch auftreiben ließ von altem Schmuck und Geſchmeide ging dahin. In manchen Strichen der alten Provinzen galt es nach dem Kriege als eine Schande, wenn ein Haushalt noch Silberzeug beſaß. Kleine Leute trugen ihre Trauringe in die Münze, empfingen eiſerne zurück mit der Inſchrift: „Gold für Eiſen;“ manches arme Mädchen gab ihr reiches Lockenhaar als Opfer.
Eine wunderbare, andächtige Stille lag über dem in allen ſeinen Tiefen aufgeregten Volke. Den Lärm der Preſſe und der Vereine kannte die Zeit noch nicht; aber auch im vertrauten Kreiſe wurde ſelten eine prahleriſche Rede laut. In den Tagen ihres häuslichen Stilllebens hatten die Deutſchen gern überſchwänglichen Ausdruck an nichtigen Gegenſtand verſchwendet; jetzt ward das Leben ſelber reich und ernſt, Jeder empfand die Größe der That, die Armuth des Wortes. Jeder fühlte, wie Niebuhr geſtand, ſtill „die Seligkeit, mit ſeinem ganzen Volke, den Gelehrten und den Einfältigen, daſſelbe Gefühl zu theilen“, und Allen ward „liebend, friedlich und ſtark zu Muthe“. Recht nach dem Herzen ſeines Volkes hatte Friedrich Wilhelms frommer Sinn den Wahlſpruch „mit Gott für König und Vaterland“ der Landwehr gegeben und angeordnet, daß die ausgehobenen Wehrmänner vom Sammelplatze ſogleich zu einer kirch- lichen Feier geführt wurden. In jeder Kirche des Landes ſollte eine Gedächtnißtafel die Namen der ruhmvoll gefallenen Söhne der Gemeinde bewahren. Schwer hatte die Hand des lebendigen Gottes auf den Bil- dungsſtolzen gelaſtet; ergeben und erhoben blickte dies neue Geſchlecht wieder mit feſtem Vertrauen zu „dem alten deutſchen Gott“ empor und hoffte mit ſeinem Dichter:
Wer fällt, der kanns verſchmerzen, Der hat das Himmelreich.
Als die erſten Freiwilligen nach Breslau zogen, ſangen ſie noch das Reiterlied der Wallenſteiner. Bald aber ſchuf ſich das Heer ſeine eigenen Geſänge. Unverſieglich wie einſt den frommen Landsknechten floß den neuen Wehrmännern der Quell der Lieder. Beim Ausmarſch klang es: „Die Preußen haben Alarm geſchlagen!“ und dann ſchlang ſich ein dichter Kranz kunſtloſer Volksweiſen um jedes Erlebniß des langen Krieges,
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[431/0447]
Die Volkserhebung.
nicht; auch in einzelnen Städten, die bisher vom Heerdienſte frei geweſen,
ſtießen die neuen Geſetze auf Widerſtand. Das deutſche und litthauiſche
Landvolk der alten Provinzen dagegen war ſeit dem geſtrengen Friedrich
Wilhelm I. mit der Wehrpflicht vertraut. Zugleich wurden überall öffent-
liche Sammlungen veranſtaltet, wie ſie bisher nur für wohlthätige Zwecke
üblich waren: dies arme Viertel der deutſchen Nation brachte mit der
Blüthe ſeiner männlichen Jugend auch die letzten kargen Reſte ſeines
Wohlſtandes zum Opfer für die Wiederauferſtehung des Vaterlandes.
Von baarem Gelde war wenig vorhanden, aber was ſich noch auftreiben
ließ von altem Schmuck und Geſchmeide ging dahin. In manchen
Strichen der alten Provinzen galt es nach dem Kriege als eine Schande,
wenn ein Haushalt noch Silberzeug beſaß. Kleine Leute trugen ihre
Trauringe in die Münze, empfingen eiſerne zurück mit der Inſchrift:
„Gold für Eiſen;“ manches arme Mädchen gab ihr reiches Lockenhaar
als Opfer.
Eine wunderbare, andächtige Stille lag über dem in allen ſeinen
Tiefen aufgeregten Volke. Den Lärm der Preſſe und der Vereine kannte
die Zeit noch nicht; aber auch im vertrauten Kreiſe wurde ſelten eine
prahleriſche Rede laut. In den Tagen ihres häuslichen Stilllebens hatten
die Deutſchen gern überſchwänglichen Ausdruck an nichtigen Gegenſtand
verſchwendet; jetzt ward das Leben ſelber reich und ernſt, Jeder empfand
die Größe der That, die Armuth des Wortes. Jeder fühlte, wie Niebuhr
geſtand, ſtill „die Seligkeit, mit ſeinem ganzen Volke, den Gelehrten und
den Einfältigen, daſſelbe Gefühl zu theilen“, und Allen ward „liebend,
friedlich und ſtark zu Muthe“. Recht nach dem Herzen ſeines Volkes
hatte Friedrich Wilhelms frommer Sinn den Wahlſpruch „mit Gott für
König und Vaterland“ der Landwehr gegeben und angeordnet, daß die
ausgehobenen Wehrmänner vom Sammelplatze ſogleich zu einer kirch-
lichen Feier geführt wurden. In jeder Kirche des Landes ſollte eine
Gedächtnißtafel die Namen der ruhmvoll gefallenen Söhne der Gemeinde
bewahren. Schwer hatte die Hand des lebendigen Gottes auf den Bil-
dungsſtolzen gelaſtet; ergeben und erhoben blickte dies neue Geſchlecht
wieder mit feſtem Vertrauen zu „dem alten deutſchen Gott“ empor und
hoffte mit ſeinem Dichter:
Wer fällt, der kanns verſchmerzen,
Der hat das Himmelreich.
Als die erſten Freiwilligen nach Breslau zogen, ſangen ſie noch das
Reiterlied der Wallenſteiner. Bald aber ſchuf ſich das Heer ſeine eigenen
Geſänge. Unverſieglich wie einſt den frommen Landsknechten floß den
neuen Wehrmännern der Quell der Lieder. Beim Ausmarſch klang es:
„Die Preußen haben Alarm geſchlagen!“ und dann ſchlang ſich ein
dichter Kranz kunſtloſer Volksweiſen um jedes Erlebniß des langen Krieges,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/447>, abgerufen am 22.11.2024.
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