bis zuletzt der fröhliche Zapfenstreich: "Die Preußen haben Paris genom- men!" noch einmal ein Zeugniß gab von der kriegsmuthigen und doch zugleich tief innerlich friedfertigen Stimmung dieses Volkes in Waffen.
Alsbald ward es auch auf den Höhen des deutschen Parnasses le- bendig. Nur der alte Goethe wollte sich zu der neuen Zeit kein Herz fassen; verstimmt und hoffnungslos zog er sich von dem kriegerischen Treiben zurück und meinte: "Schüttelt nur an Euren Ketten; der Mann ist Euch zu groß!" Doch wer sonst im Norden dichterisches Feuer in den Adern fühlte, jauchzte auf "beim Anbruch seines Vaterlandes", wie Fichte sagte. Was politisch gereifte Völker in der Presse, in Reden und publicistischen Abhandlungen aussprechen, gewann in diesem Geschlechte, dem die Dichtung noch immer die Krone des Lebens war, sofort poetische Gestalt; und so entstand die schönste politische Poesie, deren irgend ein Volk sich rühmen kann -- eine Reihe von Gedichten, an denen wir Nachkommen uns versündigen würden, wenn wir dies Vermächtniß einer Heldenzeit jemals blos mit ästhetischen Blicken betrachteten. An Kleists mächtige Gestaltungskraft reichten die Dichter des Befreiungskrieges nicht heran; wer aber in der Poesie den Herzenskündiger der Nationen sieht, wendet sich gleichwohl von jenen dämonischen Klängen des Hasses auf- athmend hinweg zu den hellen und frischen Liedern, welche die Freude des offenen Kampfes gebar. Welch ein Segen doch für unser Volk, daß sein gepreßtes Herz wieder froh aufjubeln durfte, daß nach langem, dumpfem Harren und Grollen wieder der Eidschwur freier Männer zum Himmel stieg:
Und hebt die Herzen himmelan Und himmelan die Hände, Und schwöret Alle, Mann für Mann: Die Knechtschaft hat ein Ende!
Freudig wie die Signale der Flügelhörner tönten Fouques Verse: "Frischauf zum fröhlichen Jagen!" -- und in Arndts Liede: "Was blasen die Trompeten? Husaren heraus!" klang das schmetternde Marsch! Marsch! der deutschen Reiter wieder. Keiner hat den Sinn und Ton jener schwärmerischen Jugend glücklicher getroffen als der ritterliche Jüngling mit der Leier und dem Schwerte, Theodor Körner. Jetzt zeigte sich erst ganz, was Schillers Muse den Deutschen war. Ihr hohes sittliches Pathos setzte sich um in patriotische Leidenschaft, ihre schwungvolle Rhe- torik ward das natürliche Vorbild für die Jünglingspoesie dieses Krieges. Der Sohn von Schillers Herzensfreunde erschien dem jungen Geschlechte als der Erbe des großen Dichters -- wie er so siegesfroh mit den Lützower Jägern in den Kampf hinausritt, ganz durchglüht von deut- schem Freiheitsmuthe, ganz unberührt von den kleinen Sorgen des Lebens, wie er auf jeder Rast und jeder Beiwacht seine feurigen Lieder von der Herrlichkeit des Krieges dichtete und endlich, den Sang von der Eisen-
I. 4. Der Befreiungskrieg.
bis zuletzt der fröhliche Zapfenſtreich: „Die Preußen haben Paris genom- men!“ noch einmal ein Zeugniß gab von der kriegsmuthigen und doch zugleich tief innerlich friedfertigen Stimmung dieſes Volkes in Waffen.
Alsbald ward es auch auf den Höhen des deutſchen Parnaſſes le- bendig. Nur der alte Goethe wollte ſich zu der neuen Zeit kein Herz faſſen; verſtimmt und hoffnungslos zog er ſich von dem kriegeriſchen Treiben zurück und meinte: „Schüttelt nur an Euren Ketten; der Mann iſt Euch zu groß!“ Doch wer ſonſt im Norden dichteriſches Feuer in den Adern fühlte, jauchzte auf „beim Anbruch ſeines Vaterlandes“, wie Fichte ſagte. Was politiſch gereifte Völker in der Preſſe, in Reden und publiciſtiſchen Abhandlungen ausſprechen, gewann in dieſem Geſchlechte, dem die Dichtung noch immer die Krone des Lebens war, ſofort poetiſche Geſtalt; und ſo entſtand die ſchönſte politiſche Poeſie, deren irgend ein Volk ſich rühmen kann — eine Reihe von Gedichten, an denen wir Nachkommen uns verſündigen würden, wenn wir dies Vermächtniß einer Heldenzeit jemals blos mit äſthetiſchen Blicken betrachteten. An Kleiſts mächtige Geſtaltungskraft reichten die Dichter des Befreiungskrieges nicht heran; wer aber in der Poeſie den Herzenskündiger der Nationen ſieht, wendet ſich gleichwohl von jenen dämoniſchen Klängen des Haſſes auf- athmend hinweg zu den hellen und friſchen Liedern, welche die Freude des offenen Kampfes gebar. Welch ein Segen doch für unſer Volk, daß ſein gepreßtes Herz wieder froh aufjubeln durfte, daß nach langem, dumpfem Harren und Grollen wieder der Eidſchwur freier Männer zum Himmel ſtieg:
Und hebt die Herzen himmelan Und himmelan die Hände, Und ſchwöret Alle, Mann für Mann: Die Knechtſchaft hat ein Ende!
Freudig wie die Signale der Flügelhörner tönten Fouqués Verſe: „Friſchauf zum fröhlichen Jagen!“ — und in Arndts Liede: „Was blaſen die Trompeten? Huſaren heraus!“ klang das ſchmetternde Marſch! Marſch! der deutſchen Reiter wieder. Keiner hat den Sinn und Ton jener ſchwärmeriſchen Jugend glücklicher getroffen als der ritterliche Jüngling mit der Leier und dem Schwerte, Theodor Körner. Jetzt zeigte ſich erſt ganz, was Schillers Muſe den Deutſchen war. Ihr hohes ſittliches Pathos ſetzte ſich um in patriotiſche Leidenſchaft, ihre ſchwungvolle Rhe- torik ward das natürliche Vorbild für die Jünglingspoeſie dieſes Krieges. Der Sohn von Schillers Herzensfreunde erſchien dem jungen Geſchlechte als der Erbe des großen Dichters — wie er ſo ſiegesfroh mit den Lützower Jägern in den Kampf hinausritt, ganz durchglüht von deut- ſchem Freiheitsmuthe, ganz unberührt von den kleinen Sorgen des Lebens, wie er auf jeder Raſt und jeder Beiwacht ſeine feurigen Lieder von der Herrlichkeit des Krieges dichtete und endlich, den Sang von der Eiſen-
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
bis zuletzt der fröhliche Zapfenſtreich: „Die Preußen haben Paris genom-
men!“ noch einmal ein Zeugniß gab von der kriegsmuthigen und doch
zugleich tief innerlich friedfertigen Stimmung dieſes Volkes in Waffen.
Alsbald ward es auch auf den Höhen des deutſchen Parnaſſes le-
bendig. Nur der alte Goethe wollte ſich zu der neuen Zeit kein Herz
faſſen; verſtimmt und hoffnungslos zog er ſich von dem kriegeriſchen
Treiben zurück und meinte: „Schüttelt nur an Euren Ketten; der Mann
iſt Euch zu groß!“ Doch wer ſonſt im Norden dichteriſches Feuer in
den Adern fühlte, jauchzte auf „beim Anbruch ſeines Vaterlandes“, wie
Fichte ſagte. Was politiſch gereifte Völker in der Preſſe, in Reden und
publiciſtiſchen Abhandlungen ausſprechen, gewann in dieſem Geſchlechte,
dem die Dichtung noch immer die Krone des Lebens war, ſofort poetiſche
Geſtalt; und ſo entſtand die ſchönſte politiſche Poeſie, deren irgend ein
Volk ſich rühmen kann — eine Reihe von Gedichten, an denen wir
Nachkommen uns verſündigen würden, wenn wir dies Vermächtniß einer
Heldenzeit jemals blos mit äſthetiſchen Blicken betrachteten. An Kleiſts
mächtige Geſtaltungskraft reichten die Dichter des Befreiungskrieges nicht
heran; wer aber in der Poeſie den Herzenskündiger der Nationen ſieht,
wendet ſich gleichwohl von jenen dämoniſchen Klängen des Haſſes auf-
athmend hinweg zu den hellen und friſchen Liedern, welche die Freude
des offenen Kampfes gebar. Welch ein Segen doch für unſer Volk,
daß ſein gepreßtes Herz wieder froh aufjubeln durfte, daß nach langem,
dumpfem Harren und Grollen wieder der Eidſchwur freier Männer zum
Himmel ſtieg:
Und hebt die Herzen himmelan
Und himmelan die Hände,
Und ſchwöret Alle, Mann für Mann:
Die Knechtſchaft hat ein Ende!
Freudig wie die Signale der Flügelhörner tönten Fouqués Verſe:
„Friſchauf zum fröhlichen Jagen!“ — und in Arndts Liede: „Was blaſen
die Trompeten? Huſaren heraus!“ klang das ſchmetternde Marſch! Marſch!
der deutſchen Reiter wieder. Keiner hat den Sinn und Ton jener
ſchwärmeriſchen Jugend glücklicher getroffen als der ritterliche Jüngling
mit der Leier und dem Schwerte, Theodor Körner. Jetzt zeigte ſich erſt
ganz, was Schillers Muſe den Deutſchen war. Ihr hohes ſittliches
Pathos ſetzte ſich um in patriotiſche Leidenſchaft, ihre ſchwungvolle Rhe-
torik ward das natürliche Vorbild für die Jünglingspoeſie dieſes Krieges.
Der Sohn von Schillers Herzensfreunde erſchien dem jungen Geſchlechte
als der Erbe des großen Dichters — wie er ſo ſiegesfroh mit den
Lützower Jägern in den Kampf hinausritt, ganz durchglüht von deut-
ſchem Freiheitsmuthe, ganz unberührt von den kleinen Sorgen des Lebens,
wie er auf jeder Raſt und jeder Beiwacht ſeine feurigen Lieder von der
Herrlichkeit des Krieges dichtete und endlich, den Sang von der Eiſen-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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