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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die patriotische Dichtung.
braut noch auf den Lippen, durch einen tapferen Reitertod den heiligen
Ernst seiner Reden bezeugte -- in Wort und That ein rechter Vertreter
jener warmherzigen Männlichkeit, welche die begabten Obersachsen aus-
zeichnet, wenn sie sich nur erst losgerissen haben aus der zahmen Schüch-
ternheit ihres heimathlichen Lebens.

Frischauf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht --

mit diesen Worten hat Körner selbst den Ursprung und Charakter der
großen Bewegung geschildert. Sie blieb durchaus auf den deutschen
Norden beschränkt. Wohl war die Lützow'sche Freischaar ausdrücklich zur
Aufnahme von Nicht-Preußen bestimmt, in ihr sollte sich der Gedanke
der Einheit Deutschlands verkörpern. Mancher junge Mann aus den
Kleinstaaten meldete sich im "Scepter" zu Breslau, wo die Lützower ihren
Werbeplatz aufgeschlagen hatten; auch zwei süddeutsche Poeten, Rückert
und Uhland, stimmten mit ein in den lauten Chor der patriotischen Dich-
tung. Die Masse des Volkes jedoch außerhalb Preußens empfand von dem
Heldenzorne dieses Krieges wenig. Steins Hoffnungen auf eine ein-
müthige Erhebung der Nation erwiesen sich als irrig. Nur in den vor-
mals preußischen Provinzen und in einzelnen, unmittelbar von den Na-
poleoniden beherrschten Strichen des Nordwestens stand das Volk frei-
willig auf, sobald die Heersäulen der Befreier nahten; überall sonst
erwartete man geduldig den Befehl des Landesherrn und die Macht der
vollendeten Thatsachen. Die Mecklenburger Herzöge schlossen sich den
altbefreundeten preußischen Nachbarn an; ein weimarisches Bataillon ließ
sich gleich beim Anbruche des Krieges von den Preußen gefangen nehmen,
um nachher, wie die tapferen Strelitzer Husaren, in das York'sche Corps
einzutreten. Alle anderen Rheinbündner folgten dem Befehle des Pro-
tectors, die meisten noch mit dem ganzen Feuereifer napoleonischer Lands-
knechtsgesinnung. Der deutsche Befreiungskrieg war in seiner ersten,
schwereren Hälfte ein Kampf Preußens gegen die von Frankreich beherrschten
drei Viertel der deutschen Nation.

Wie einst der Beginn der modernen deutschen Staatenbildung, so
ging auch die Wiederherstellung der nationalen Unabhängigkeit allein vom
Norden aus. Die neuen politischen und sittlichen Ideale der erregten
Jugend trugen das Gepräge norddeutscher Bildung; der alte deutsche
Gott, zu dem sie betete, war der Gott der Protestanten, all ihr Thun
und Denken ruhte, bewußt oder unbewußt, auf dem sittlichen Grunde
der strengen Kantischen Pflichtenlehre. Es wurde folgenreich für lange
Jahrzehnte der deutschen Geschichte, daß doch nur die norddeutschen
Stämme wirklichen Antheil hatten an den schönsten Erinnerungen dieses
neuen Deutschlands, während der Süden erst zwei Menschenalter später
des Glückes theilhaftig ward, für das große Vaterland zu kämpfen und
zu siegen.

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 28

Die patriotiſche Dichtung.
braut noch auf den Lippen, durch einen tapferen Reitertod den heiligen
Ernſt ſeiner Reden bezeugte — in Wort und That ein rechter Vertreter
jener warmherzigen Männlichkeit, welche die begabten Oberſachſen aus-
zeichnet, wenn ſie ſich nur erſt losgeriſſen haben aus der zahmen Schüch-
ternheit ihres heimathlichen Lebens.

Friſchauf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht —

mit dieſen Worten hat Körner ſelbſt den Urſprung und Charakter der
großen Bewegung geſchildert. Sie blieb durchaus auf den deutſchen
Norden beſchränkt. Wohl war die Lützow’ſche Freiſchaar ausdrücklich zur
Aufnahme von Nicht-Preußen beſtimmt, in ihr ſollte ſich der Gedanke
der Einheit Deutſchlands verkörpern. Mancher junge Mann aus den
Kleinſtaaten meldete ſich im „Scepter“ zu Breslau, wo die Lützower ihren
Werbeplatz aufgeſchlagen hatten; auch zwei ſüddeutſche Poeten, Rückert
und Uhland, ſtimmten mit ein in den lauten Chor der patriotiſchen Dich-
tung. Die Maſſe des Volkes jedoch außerhalb Preußens empfand von dem
Heldenzorne dieſes Krieges wenig. Steins Hoffnungen auf eine ein-
müthige Erhebung der Nation erwieſen ſich als irrig. Nur in den vor-
mals preußiſchen Provinzen und in einzelnen, unmittelbar von den Na-
poleoniden beherrſchten Strichen des Nordweſtens ſtand das Volk frei-
willig auf, ſobald die Heerſäulen der Befreier nahten; überall ſonſt
erwartete man geduldig den Befehl des Landesherrn und die Macht der
vollendeten Thatſachen. Die Mecklenburger Herzöge ſchloſſen ſich den
altbefreundeten preußiſchen Nachbarn an; ein weimariſches Bataillon ließ
ſich gleich beim Anbruche des Krieges von den Preußen gefangen nehmen,
um nachher, wie die tapferen Strelitzer Huſaren, in das York’ſche Corps
einzutreten. Alle anderen Rheinbündner folgten dem Befehle des Pro-
tectors, die meiſten noch mit dem ganzen Feuereifer napoleoniſcher Lands-
knechtsgeſinnung. Der deutſche Befreiungskrieg war in ſeiner erſten,
ſchwereren Hälfte ein Kampf Preußens gegen die von Frankreich beherrſchten
drei Viertel der deutſchen Nation.

Wie einſt der Beginn der modernen deutſchen Staatenbildung, ſo
ging auch die Wiederherſtellung der nationalen Unabhängigkeit allein vom
Norden aus. Die neuen politiſchen und ſittlichen Ideale der erregten
Jugend trugen das Gepräge norddeutſcher Bildung; der alte deutſche
Gott, zu dem ſie betete, war der Gott der Proteſtanten, all ihr Thun
und Denken ruhte, bewußt oder unbewußt, auf dem ſittlichen Grunde
der ſtrengen Kantiſchen Pflichtenlehre. Es wurde folgenreich für lange
Jahrzehnte der deutſchen Geſchichte, daß doch nur die norddeutſchen
Stämme wirklichen Antheil hatten an den ſchönſten Erinnerungen dieſes
neuen Deutſchlands, während der Süden erſt zwei Menſchenalter ſpäter
des Glückes theilhaftig ward, für das große Vaterland zu kämpfen und
zu ſiegen.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 28
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[433/0449] Die patriotiſche Dichtung. braut noch auf den Lippen, durch einen tapferen Reitertod den heiligen Ernſt ſeiner Reden bezeugte — in Wort und That ein rechter Vertreter jener warmherzigen Männlichkeit, welche die begabten Oberſachſen aus- zeichnet, wenn ſie ſich nur erſt losgeriſſen haben aus der zahmen Schüch- ternheit ihres heimathlichen Lebens. Friſchauf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen! Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht — mit dieſen Worten hat Körner ſelbſt den Urſprung und Charakter der großen Bewegung geſchildert. Sie blieb durchaus auf den deutſchen Norden beſchränkt. Wohl war die Lützow’ſche Freiſchaar ausdrücklich zur Aufnahme von Nicht-Preußen beſtimmt, in ihr ſollte ſich der Gedanke der Einheit Deutſchlands verkörpern. Mancher junge Mann aus den Kleinſtaaten meldete ſich im „Scepter“ zu Breslau, wo die Lützower ihren Werbeplatz aufgeſchlagen hatten; auch zwei ſüddeutſche Poeten, Rückert und Uhland, ſtimmten mit ein in den lauten Chor der patriotiſchen Dich- tung. Die Maſſe des Volkes jedoch außerhalb Preußens empfand von dem Heldenzorne dieſes Krieges wenig. Steins Hoffnungen auf eine ein- müthige Erhebung der Nation erwieſen ſich als irrig. Nur in den vor- mals preußiſchen Provinzen und in einzelnen, unmittelbar von den Na- poleoniden beherrſchten Strichen des Nordweſtens ſtand das Volk frei- willig auf, ſobald die Heerſäulen der Befreier nahten; überall ſonſt erwartete man geduldig den Befehl des Landesherrn und die Macht der vollendeten Thatſachen. Die Mecklenburger Herzöge ſchloſſen ſich den altbefreundeten preußiſchen Nachbarn an; ein weimariſches Bataillon ließ ſich gleich beim Anbruche des Krieges von den Preußen gefangen nehmen, um nachher, wie die tapferen Strelitzer Huſaren, in das York’ſche Corps einzutreten. Alle anderen Rheinbündner folgten dem Befehle des Pro- tectors, die meiſten noch mit dem ganzen Feuereifer napoleoniſcher Lands- knechtsgeſinnung. Der deutſche Befreiungskrieg war in ſeiner erſten, ſchwereren Hälfte ein Kampf Preußens gegen die von Frankreich beherrſchten drei Viertel der deutſchen Nation. Wie einſt der Beginn der modernen deutſchen Staatenbildung, ſo ging auch die Wiederherſtellung der nationalen Unabhängigkeit allein vom Norden aus. Die neuen politiſchen und ſittlichen Ideale der erregten Jugend trugen das Gepräge norddeutſcher Bildung; der alte deutſche Gott, zu dem ſie betete, war der Gott der Proteſtanten, all ihr Thun und Denken ruhte, bewußt oder unbewußt, auf dem ſittlichen Grunde der ſtrengen Kantiſchen Pflichtenlehre. Es wurde folgenreich für lange Jahrzehnte der deutſchen Geſchichte, daß doch nur die norddeutſchen Stämme wirklichen Antheil hatten an den ſchönſten Erinnerungen dieſes neuen Deutſchlands, während der Süden erſt zwei Menſchenalter ſpäter des Glückes theilhaftig ward, für das große Vaterland zu kämpfen und zu ſiegen. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 28

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/449>, abgerufen am 22.11.2024.