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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
aus eingehenden Berathungen längst geläufig; hatte doch Boyen einst
jahrelang die Organisation des Krümpersystems unmittelbar geleitet. Nur
durch diese vieljährige Vorarbeit wird es erklärlich, daß die Commission
ihre schwierigen Verhandlungen in wenigen Wochen beendigte und der
König ebenso schnell den Vorschlägen seine Genehmigung ertheilte.

Schon am 3. September 1814 erschien das Gesetz über die Ver-
pflichtung zum Kriegsdienste, von dem Könige und sämmtlichen Ministern
unterzeichnet -- ein Grundgesetz des preußischen Staates, einer jener
epochemachenden Akte der Gesetzgebung, welche mit siegreicher Beredsam-
keit erweisen, daß alle Geschichte wesentlich politische Geschichte ist, daß
die Historie nicht die Aufgabe hat einen Volta unter seinen Froschschen-
keln zu beobachten oder aus den Funden der Topfgräber die Entwicklung
der Lampen und der Trinkgeschirre nachzuweisen, sondern die Thaten der
Völker als wollender Personen, als Staaten, erforschen soll. Das Wehr-
gesetz von 1814 hat die sittlichen und politischen Grundanschauungen der
Preußen auf Generationen hinaus bestimmt, in alle ihre Lebensgewohn-
heiten tiefer eingegriffen als jemals eine wissenschaftliche Entdeckung oder
eine technische Erfindung.

Das Gesetz begann, wie einst Scharnhorsts Entwurf, mit einer Wie-
derholung jener monumentalen Worte Friedrich Wilhelms I.: "jeder
Eingeborene ist zur Vertheidigung des Vaterlandes verpflichtet;" doch
jetzt machte man unerbittlich Ernst mit der altpreußischen Regel. Der
König erinnerte nochmals daran, wie die allgemeine Anstrengung seines
treuen Volkes, ohne Ausnahme und Unterschied die Befreiung des Va-
terlandes bewirkt und dem Staate seinen heutigen ehrenvollen Stand-
punkt erworben hätte. Die Einrichtungen also, die diesen glücklichen
Erfolg hervorgebracht und deren Beibehaltung die ganze Nation wünsche,
sollten als Grundlage für alle Kriegseinrichtungen des Staates dienen,
doch so daß die Fortschritte der Wissenschaften und Gewerbe nicht gestört
würden; "denn in einer gesetzmäßig geordneten Bewaffnung der Nation
liegt die sicherste Bürgschaft für einen dauernden Frieden." Statt der
alten zwanzigjährigen Dienstzeit der Cantonisten ward allen Wehrfähigen
für neunzehn Jahre die Waffenpflicht aufgelegt. Sie dienten fünf Jahre
im stehenden Heere, davon drei Jahre bei den Fahnen, zwei Jahre als
beurlaubte Reservisten, und traten im sechsundzwanzigsten Lebensjahre
auf sieben Jahre in das erste Aufgebot der Landwehr ein. Dies Auf-
gebot war in Kriegszeiten, wie das stehende Heer, zum Dienste im In-
und Auslande verpflichtet, hielt an bestimmten Tagen in der Heimath
kleinere Uebungen ab und vereinigte sich jährlich einmal mit Abtheilungen
des stehenden Heeres zu längeren Manövern. Das zweite Aufgebot der
Landwehr, ebenfalls mit siebenjähriger Dienstzeit, wurde während des
Friedens nur in der Heimath und an einzelnen Tagen versammelt,
diente im Kriege zunächst zur Verstärkung der Garnisonen; doch behielt

I. 5. Ende der Kriegszeit.
aus eingehenden Berathungen längſt geläufig; hatte doch Boyen einſt
jahrelang die Organiſation des Krümperſyſtems unmittelbar geleitet. Nur
durch dieſe vieljährige Vorarbeit wird es erklärlich, daß die Commiſſion
ihre ſchwierigen Verhandlungen in wenigen Wochen beendigte und der
König ebenſo ſchnell den Vorſchlägen ſeine Genehmigung ertheilte.

Schon am 3. September 1814 erſchien das Geſetz über die Ver-
pflichtung zum Kriegsdienſte, von dem Könige und ſämmtlichen Miniſtern
unterzeichnet — ein Grundgeſetz des preußiſchen Staates, einer jener
epochemachenden Akte der Geſetzgebung, welche mit ſiegreicher Beredſam-
keit erweiſen, daß alle Geſchichte weſentlich politiſche Geſchichte iſt, daß
die Hiſtorie nicht die Aufgabe hat einen Volta unter ſeinen Froſchſchen-
keln zu beobachten oder aus den Funden der Topfgräber die Entwicklung
der Lampen und der Trinkgeſchirre nachzuweiſen, ſondern die Thaten der
Völker als wollender Perſonen, als Staaten, erforſchen ſoll. Das Wehr-
geſetz von 1814 hat die ſittlichen und politiſchen Grundanſchauungen der
Preußen auf Generationen hinaus beſtimmt, in alle ihre Lebensgewohn-
heiten tiefer eingegriffen als jemals eine wiſſenſchaftliche Entdeckung oder
eine techniſche Erfindung.

Das Geſetz begann, wie einſt Scharnhorſts Entwurf, mit einer Wie-
derholung jener monumentalen Worte Friedrich Wilhelms I.: „jeder
Eingeborene iſt zur Vertheidigung des Vaterlandes verpflichtet;“ doch
jetzt machte man unerbittlich Ernſt mit der altpreußiſchen Regel. Der
König erinnerte nochmals daran, wie die allgemeine Anſtrengung ſeines
treuen Volkes, ohne Ausnahme und Unterſchied die Befreiung des Va-
terlandes bewirkt und dem Staate ſeinen heutigen ehrenvollen Stand-
punkt erworben hätte. Die Einrichtungen alſo, die dieſen glücklichen
Erfolg hervorgebracht und deren Beibehaltung die ganze Nation wünſche,
ſollten als Grundlage für alle Kriegseinrichtungen des Staates dienen,
doch ſo daß die Fortſchritte der Wiſſenſchaften und Gewerbe nicht geſtört
würden; „denn in einer geſetzmäßig geordneten Bewaffnung der Nation
liegt die ſicherſte Bürgſchaft für einen dauernden Frieden.“ Statt der
alten zwanzigjährigen Dienſtzeit der Cantoniſten ward allen Wehrfähigen
für neunzehn Jahre die Waffenpflicht aufgelegt. Sie dienten fünf Jahre
im ſtehenden Heere, davon drei Jahre bei den Fahnen, zwei Jahre als
beurlaubte Reſerviſten, und traten im ſechsundzwanzigſten Lebensjahre
auf ſieben Jahre in das erſte Aufgebot der Landwehr ein. Dies Auf-
gebot war in Kriegszeiten, wie das ſtehende Heer, zum Dienſte im In-
und Auslande verpflichtet, hielt an beſtimmten Tagen in der Heimath
kleinere Uebungen ab und vereinigte ſich jährlich einmal mit Abtheilungen
des ſtehenden Heeres zu längeren Manövern. Das zweite Aufgebot der
Landwehr, ebenfalls mit ſiebenjähriger Dienſtzeit, wurde während des
Friedens nur in der Heimath und an einzelnen Tagen verſammelt,
diente im Kriege zunächſt zur Verſtärkung der Garniſonen; doch behielt

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[588/0604] I. 5. Ende der Kriegszeit. aus eingehenden Berathungen längſt geläufig; hatte doch Boyen einſt jahrelang die Organiſation des Krümperſyſtems unmittelbar geleitet. Nur durch dieſe vieljährige Vorarbeit wird es erklärlich, daß die Commiſſion ihre ſchwierigen Verhandlungen in wenigen Wochen beendigte und der König ebenſo ſchnell den Vorſchlägen ſeine Genehmigung ertheilte. Schon am 3. September 1814 erſchien das Geſetz über die Ver- pflichtung zum Kriegsdienſte, von dem Könige und ſämmtlichen Miniſtern unterzeichnet — ein Grundgeſetz des preußiſchen Staates, einer jener epochemachenden Akte der Geſetzgebung, welche mit ſiegreicher Beredſam- keit erweiſen, daß alle Geſchichte weſentlich politiſche Geſchichte iſt, daß die Hiſtorie nicht die Aufgabe hat einen Volta unter ſeinen Froſchſchen- keln zu beobachten oder aus den Funden der Topfgräber die Entwicklung der Lampen und der Trinkgeſchirre nachzuweiſen, ſondern die Thaten der Völker als wollender Perſonen, als Staaten, erforſchen ſoll. Das Wehr- geſetz von 1814 hat die ſittlichen und politiſchen Grundanſchauungen der Preußen auf Generationen hinaus beſtimmt, in alle ihre Lebensgewohn- heiten tiefer eingegriffen als jemals eine wiſſenſchaftliche Entdeckung oder eine techniſche Erfindung. Das Geſetz begann, wie einſt Scharnhorſts Entwurf, mit einer Wie- derholung jener monumentalen Worte Friedrich Wilhelms I.: „jeder Eingeborene iſt zur Vertheidigung des Vaterlandes verpflichtet;“ doch jetzt machte man unerbittlich Ernſt mit der altpreußiſchen Regel. Der König erinnerte nochmals daran, wie die allgemeine Anſtrengung ſeines treuen Volkes, ohne Ausnahme und Unterſchied die Befreiung des Va- terlandes bewirkt und dem Staate ſeinen heutigen ehrenvollen Stand- punkt erworben hätte. Die Einrichtungen alſo, die dieſen glücklichen Erfolg hervorgebracht und deren Beibehaltung die ganze Nation wünſche, ſollten als Grundlage für alle Kriegseinrichtungen des Staates dienen, doch ſo daß die Fortſchritte der Wiſſenſchaften und Gewerbe nicht geſtört würden; „denn in einer geſetzmäßig geordneten Bewaffnung der Nation liegt die ſicherſte Bürgſchaft für einen dauernden Frieden.“ Statt der alten zwanzigjährigen Dienſtzeit der Cantoniſten ward allen Wehrfähigen für neunzehn Jahre die Waffenpflicht aufgelegt. Sie dienten fünf Jahre im ſtehenden Heere, davon drei Jahre bei den Fahnen, zwei Jahre als beurlaubte Reſerviſten, und traten im ſechsundzwanzigſten Lebensjahre auf ſieben Jahre in das erſte Aufgebot der Landwehr ein. Dies Auf- gebot war in Kriegszeiten, wie das ſtehende Heer, zum Dienſte im In- und Auslande verpflichtet, hielt an beſtimmten Tagen in der Heimath kleinere Uebungen ab und vereinigte ſich jährlich einmal mit Abtheilungen des ſtehenden Heeres zu längeren Manövern. Das zweite Aufgebot der Landwehr, ebenfalls mit ſiebenjähriger Dienſtzeit, wurde während des Friedens nur in der Heimath und an einzelnen Tagen verſammelt, diente im Kriege zunächſt zur Verſtärkung der Garniſonen; doch behielt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/604>, abgerufen am 22.11.2024.