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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
rütteten Welttheil eine dauerhafte Ordnung zu geben, mit einem neuen
europäischen Kriege enden?

Sehr bald sah Hardenberg ein, daß er eine solche Verantwortung
nicht übernehmen dürfe. In der Sitzung der Fünf vom 12. Januar
verlangte er zwar nochmals das ungetheilte Sachsen; doch insgeheim berieth
er bereits seit einigen Tagen mit dem getreuen Hoffmann, ob es nicht ge-
rathen sei, auf einen Theil Sachsens zu verzichten, und schon am 13. Januar
entwarf er einen Plan tres-confidentiel, worin er die Möglichkeit zugab
etwa 840,000 Einwohner von Sachsen wieder an Friedrich August zu
überlassen. Dafür forderte er Baireuth, "die Wiege unserer Ahnen.
Politische und militärische Gründe rathen sowohl uns als den andern
Mächten, nicht zu gestatten, daß Frankreich, Baiern und Sachsen in den
Besitz einer ununterbrochenen, Deutschland von den Grenzen Frankreichs
bis nach Böhmen und Preußen hin durchschneidenden Querlinie kommen."
Die Sorge vor einem neuen Rheinbunde blieb nach wie vor bestimmend
für Preußens Politik.

Sobald dieser Entschluß dem Ausschusse der Fünf bekannt wurde,
war der Boden geebnet für die Verständigung. Die sächsische Angelegen-
heit verlor den Charakter einer Principienfrage, und es begann der un-
erquickliche Streit um die einzelnen Stücke des sächsischen Landes. Die
Aufgabe der preußischen Unterhändler blieb noch immer sehr schwierig.
Sie verlangten vor Allem die Saalepässe sowie die Festungen Wittenberg
und Torgau; die Bedeutung dieser Positionen für die damalige Kriegs-
weise hatte sich in den Kriegen von 1806 und 13 genugsam gezeigt, und
-- dessen hatten Hardenberg und Humboldt gar kein Hehl -- ein freund-
nachbarliches Verhältniß zu den Albertinern stand auf lange Jahre hinaus
nicht zu hoffen. Sie forderten ferner den größten Theil der Lausitz mit
dem reichen Görlitz, und endlich Leipzig. Die Stadt war nicht nur hoch-
wichtig als der Mittelpunkt des geistigen wie des wirthschaftlichen Lebens
der obersächsischen Lande; der große Meßplatz mußte auch, wenn er eine
sächsische Grenzstadt blieb, voraussichtlich durch einen schwunghaften
Schmuggelhandel für das preußische Zollwesen sehr gefährlich werden.
Fast jede dieser Forderungen fand bei den Verbündeten vom 3. Januar
lebhaften Widerspruch. Talleyrand zitterte für das deutsche Gleichgewicht:
falle Torgau an Preußen, so werde Oesterreich gezwungen ein unerschwing-
lich kostspieliges Heer zu halten. Metternich wünschte den preußischen
Antheil auf die Niederlausitz zu beschränken und bot dem Staatskanzler
sogar das schon für Oesterreich selbst bestimmte Tarnopol an, wenn er
nur seine sächsischen Ansprüche ermäßige. Castlereagh endlich suchte
namentlich Leipzig für die Albertiner -- das will sagen: für den englischen
Schmuggel -- zu retten.

Höchstwahrscheinlich hätte Preußen, einem so allgemeinen Widerstande
gegenüber, selbst in diesem letzten Stadium der sächsischen Frage nochmals

II. 1. Der Wiener Congreß.
rütteten Welttheil eine dauerhafte Ordnung zu geben, mit einem neuen
europäiſchen Kriege enden?

Sehr bald ſah Hardenberg ein, daß er eine ſolche Verantwortung
nicht übernehmen dürfe. In der Sitzung der Fünf vom 12. Januar
verlangte er zwar nochmals das ungetheilte Sachſen; doch insgeheim berieth
er bereits ſeit einigen Tagen mit dem getreuen Hoffmann, ob es nicht ge-
rathen ſei, auf einen Theil Sachſens zu verzichten, und ſchon am 13. Januar
entwarf er einen Plan très-confidentiel, worin er die Möglichkeit zugab
etwa 840,000 Einwohner von Sachſen wieder an Friedrich Auguſt zu
überlaſſen. Dafür forderte er Baireuth, „die Wiege unſerer Ahnen.
Politiſche und militäriſche Gründe rathen ſowohl uns als den andern
Mächten, nicht zu geſtatten, daß Frankreich, Baiern und Sachſen in den
Beſitz einer ununterbrochenen, Deutſchland von den Grenzen Frankreichs
bis nach Böhmen und Preußen hin durchſchneidenden Querlinie kommen.“
Die Sorge vor einem neuen Rheinbunde blieb nach wie vor beſtimmend
für Preußens Politik.

Sobald dieſer Entſchluß dem Ausſchuſſe der Fünf bekannt wurde,
war der Boden geebnet für die Verſtändigung. Die ſächſiſche Angelegen-
heit verlor den Charakter einer Principienfrage, und es begann der un-
erquickliche Streit um die einzelnen Stücke des ſächſiſchen Landes. Die
Aufgabe der preußiſchen Unterhändler blieb noch immer ſehr ſchwierig.
Sie verlangten vor Allem die Saalepäſſe ſowie die Feſtungen Wittenberg
und Torgau; die Bedeutung dieſer Poſitionen für die damalige Kriegs-
weiſe hatte ſich in den Kriegen von 1806 und 13 genugſam gezeigt, und
— deſſen hatten Hardenberg und Humboldt gar kein Hehl — ein freund-
nachbarliches Verhältniß zu den Albertinern ſtand auf lange Jahre hinaus
nicht zu hoffen. Sie forderten ferner den größten Theil der Lauſitz mit
dem reichen Görlitz, und endlich Leipzig. Die Stadt war nicht nur hoch-
wichtig als der Mittelpunkt des geiſtigen wie des wirthſchaftlichen Lebens
der oberſächſiſchen Lande; der große Meßplatz mußte auch, wenn er eine
ſächſiſche Grenzſtadt blieb, vorausſichtlich durch einen ſchwunghaften
Schmuggelhandel für das preußiſche Zollweſen ſehr gefährlich werden.
Faſt jede dieſer Forderungen fand bei den Verbündeten vom 3. Januar
lebhaften Widerſpruch. Talleyrand zitterte für das deutſche Gleichgewicht:
falle Torgau an Preußen, ſo werde Oeſterreich gezwungen ein unerſchwing-
lich koſtſpieliges Heer zu halten. Metternich wünſchte den preußiſchen
Antheil auf die Niederlauſitz zu beſchränken und bot dem Staatskanzler
ſogar das ſchon für Oeſterreich ſelbſt beſtimmte Tarnopol an, wenn er
nur ſeine ſächſiſchen Anſprüche ermäßige. Caſtlereagh endlich ſuchte
namentlich Leipzig für die Albertiner — das will ſagen: für den engliſchen
Schmuggel — zu retten.

Höchſtwahrſcheinlich hätte Preußen, einem ſo allgemeinen Widerſtande
gegenüber, ſelbſt in dieſem letzten Stadium der ſächſiſchen Frage nochmals

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[656/0672] II. 1. Der Wiener Congreß. rütteten Welttheil eine dauerhafte Ordnung zu geben, mit einem neuen europäiſchen Kriege enden? Sehr bald ſah Hardenberg ein, daß er eine ſolche Verantwortung nicht übernehmen dürfe. In der Sitzung der Fünf vom 12. Januar verlangte er zwar nochmals das ungetheilte Sachſen; doch insgeheim berieth er bereits ſeit einigen Tagen mit dem getreuen Hoffmann, ob es nicht ge- rathen ſei, auf einen Theil Sachſens zu verzichten, und ſchon am 13. Januar entwarf er einen Plan très-confidentiel, worin er die Möglichkeit zugab etwa 840,000 Einwohner von Sachſen wieder an Friedrich Auguſt zu überlaſſen. Dafür forderte er Baireuth, „die Wiege unſerer Ahnen. Politiſche und militäriſche Gründe rathen ſowohl uns als den andern Mächten, nicht zu geſtatten, daß Frankreich, Baiern und Sachſen in den Beſitz einer ununterbrochenen, Deutſchland von den Grenzen Frankreichs bis nach Böhmen und Preußen hin durchſchneidenden Querlinie kommen.“ Die Sorge vor einem neuen Rheinbunde blieb nach wie vor beſtimmend für Preußens Politik. Sobald dieſer Entſchluß dem Ausſchuſſe der Fünf bekannt wurde, war der Boden geebnet für die Verſtändigung. Die ſächſiſche Angelegen- heit verlor den Charakter einer Principienfrage, und es begann der un- erquickliche Streit um die einzelnen Stücke des ſächſiſchen Landes. Die Aufgabe der preußiſchen Unterhändler blieb noch immer ſehr ſchwierig. Sie verlangten vor Allem die Saalepäſſe ſowie die Feſtungen Wittenberg und Torgau; die Bedeutung dieſer Poſitionen für die damalige Kriegs- weiſe hatte ſich in den Kriegen von 1806 und 13 genugſam gezeigt, und — deſſen hatten Hardenberg und Humboldt gar kein Hehl — ein freund- nachbarliches Verhältniß zu den Albertinern ſtand auf lange Jahre hinaus nicht zu hoffen. Sie forderten ferner den größten Theil der Lauſitz mit dem reichen Görlitz, und endlich Leipzig. Die Stadt war nicht nur hoch- wichtig als der Mittelpunkt des geiſtigen wie des wirthſchaftlichen Lebens der oberſächſiſchen Lande; der große Meßplatz mußte auch, wenn er eine ſächſiſche Grenzſtadt blieb, vorausſichtlich durch einen ſchwunghaften Schmuggelhandel für das preußiſche Zollweſen ſehr gefährlich werden. Faſt jede dieſer Forderungen fand bei den Verbündeten vom 3. Januar lebhaften Widerſpruch. Talleyrand zitterte für das deutſche Gleichgewicht: falle Torgau an Preußen, ſo werde Oeſterreich gezwungen ein unerſchwing- lich koſtſpieliges Heer zu halten. Metternich wünſchte den preußiſchen Antheil auf die Niederlauſitz zu beſchränken und bot dem Staatskanzler ſogar das ſchon für Oeſterreich ſelbſt beſtimmte Tarnopol an, wenn er nur ſeine ſächſiſchen Anſprüche ermäßige. Caſtlereagh endlich ſuchte namentlich Leipzig für die Albertiner — das will ſagen: für den engliſchen Schmuggel — zu retten. Höchſtwahrſcheinlich hätte Preußen, einem ſo allgemeinen Widerſtande gegenüber, ſelbſt in dieſem letzten Stadium der ſächſiſchen Frage nochmals

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/672>, abgerufen am 22.11.2024.