Ueber die Eintheilung des Bundesheeres vermochten die Unterhändler in Karlsbad sich nicht zu einigen. Nur eine ganz allgemein gehaltene Uebereinkunft, nur der Entwurf eines Entwurfs kam zu Stande: die Bun- desstaaten verpflichten sich, in Kriegszeiten zwei Procent der Bevölkerung zum Bundesheere, und außerdem ein Procent Ersatztruppen zu stellen; wird der Bundeskrieg erklärt, so legen die Contingente der Bundesstaaten ein gemeinsames Abzeichen an und der Bundestag wählt einen Staat, der seinerseits den Bundesfeldherrn ernennt. Dieser Staat konnte nur Oester- reich sein. Boyen gewährte das Zugeständniß, weil er voraussah, daß die Natur der Dinge trotzdem wieder, wie im letzten Kriege, die Theilung des Kriegstheaters erzwingen würde. Um das kümmerliche Ergebniß der Karls- bader Conferenz durch einige bestimmtere Abreden zu ergänzen und über- haupt ein gemeinsames Vorgehen der beiden Großmächte am Bundestage zu vereinbaren, wurde im December noch Geh. Rath Jordan nach Wien ge- sendet; aber auch er erlangte nur unsichere Zusagen.
Unterdessen hatten die österreichischen Diplomaten das Geheimniß der Karlsbader Uebereinkunft schon längst den kleinen Höfen verrathen. Schon vierzehn Tage nach dem Abschluß, lange bevor der preußische Bundesge- sandte selbst von den Karlsbader Verhandlungen etwas ahnte, waren die süddeutschen Kabinette bereits unterrichtet. Ein jäher Schrecken ergriff die Souveräne, das Gespenst der deutschen Zweiherrschaft stand drohend vor den Thoren. Der Kurfürst von Hessen eilte sofort nach Darmstadt, der Großherzog von Baden nach Homburg zum Könige von Württemberg; die vier Fürsten verschworen sich, jedem Uebergriffe der Großmächte vereint entgegenzutreten. Als der Bundestag im Herbst nach seinen ersten Ferien wieder zusammentrat, fand Graf Goltz, der noch immer von nichts wußte, die Stimmung der Versammlung wunderbar aufgeregt und verbittert.*) Erst am 15. Januar 1818 wagte Buol die Karlsbader Convention als einen Präsidialantrag dem Bundestage vorzulegen. Um die entrüsteten Hörer zu beschwichtigen, betheuerte er, daß er damit nur das Feld für die freie Berathung eröffnen wolle; zwei Gesichtspunkte müßten bei der Ver- handlung festgehalten werden: "die vollkommene Würdigung der Souve- ränität der deutschen Staaten und die Rücksicht auf ein wirksames Ver- theidigungssystem." Dann überreichte er noch einen ungeheuerlichen Ent- wurf für die Eintheilung des Bundesheeres, der eine Friedensstärke von nur 120,000 Mann verlangte und den beiden Großmächten je ein Armeecorps von 41,500 Mann zuwies; die übrigen 37,000 Mann sollten in neun Corps zerfallen, also daß jeder Mittelstaat von Baiern bis auf Luxemburg herab sich den Hochgenuß eines commandirenden Generals gönnen konnte. Die Perle dieser elf Corps war das elfte, das 2606 Luxemburger, Nas-
*) Goltz's Bericht 8. Oktbr. 1817; dessen Uebersicht über die Bundesverhandlungen v. 13. April 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 11
Die Karlsbader Convention.
Ueber die Eintheilung des Bundesheeres vermochten die Unterhändler in Karlsbad ſich nicht zu einigen. Nur eine ganz allgemein gehaltene Uebereinkunft, nur der Entwurf eines Entwurfs kam zu Stande: die Bun- desſtaaten verpflichten ſich, in Kriegszeiten zwei Procent der Bevölkerung zum Bundesheere, und außerdem ein Procent Erſatztruppen zu ſtellen; wird der Bundeskrieg erklärt, ſo legen die Contingente der Bundesſtaaten ein gemeinſames Abzeichen an und der Bundestag wählt einen Staat, der ſeinerſeits den Bundesfeldherrn ernennt. Dieſer Staat konnte nur Oeſter- reich ſein. Boyen gewährte das Zugeſtändniß, weil er vorausſah, daß die Natur der Dinge trotzdem wieder, wie im letzten Kriege, die Theilung des Kriegstheaters erzwingen würde. Um das kümmerliche Ergebniß der Karls- bader Conferenz durch einige beſtimmtere Abreden zu ergänzen und über- haupt ein gemeinſames Vorgehen der beiden Großmächte am Bundestage zu vereinbaren, wurde im December noch Geh. Rath Jordan nach Wien ge- ſendet; aber auch er erlangte nur unſichere Zuſagen.
Unterdeſſen hatten die öſterreichiſchen Diplomaten das Geheimniß der Karlsbader Uebereinkunft ſchon längſt den kleinen Höfen verrathen. Schon vierzehn Tage nach dem Abſchluß, lange bevor der preußiſche Bundesge- ſandte ſelbſt von den Karlsbader Verhandlungen etwas ahnte, waren die ſüddeutſchen Kabinette bereits unterrichtet. Ein jäher Schrecken ergriff die Souveräne, das Geſpenſt der deutſchen Zweiherrſchaft ſtand drohend vor den Thoren. Der Kurfürſt von Heſſen eilte ſofort nach Darmſtadt, der Großherzog von Baden nach Homburg zum Könige von Württemberg; die vier Fürſten verſchworen ſich, jedem Uebergriffe der Großmächte vereint entgegenzutreten. Als der Bundestag im Herbſt nach ſeinen erſten Ferien wieder zuſammentrat, fand Graf Goltz, der noch immer von nichts wußte, die Stimmung der Verſammlung wunderbar aufgeregt und verbittert.*) Erſt am 15. Januar 1818 wagte Buol die Karlsbader Convention als einen Präſidialantrag dem Bundestage vorzulegen. Um die entrüſteten Hörer zu beſchwichtigen, betheuerte er, daß er damit nur das Feld für die freie Berathung eröffnen wolle; zwei Geſichtspunkte müßten bei der Ver- handlung feſtgehalten werden: „die vollkommene Würdigung der Souve- ränität der deutſchen Staaten und die Rückſicht auf ein wirkſames Ver- theidigungsſyſtem.“ Dann überreichte er noch einen ungeheuerlichen Ent- wurf für die Eintheilung des Bundesheeres, der eine Friedensſtärke von nur 120,000 Mann verlangte und den beiden Großmächten je ein Armeecorps von 41,500 Mann zuwies; die übrigen 37,000 Mann ſollten in neun Corps zerfallen, alſo daß jeder Mittelſtaat von Baiern bis auf Luxemburg herab ſich den Hochgenuß eines commandirenden Generals gönnen konnte. Die Perle dieſer elf Corps war das elfte, das 2606 Luxemburger, Naſ-
*) Goltz’s Bericht 8. Oktbr. 1817; deſſen Ueberſicht über die Bundesverhandlungen v. 13. April 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 11
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0175"n="161"/><fwplace="top"type="header">Die Karlsbader Convention.</fw><lb/><p>Ueber die Eintheilung des Bundesheeres vermochten die Unterhändler<lb/>
in Karlsbad ſich nicht zu einigen. Nur eine ganz allgemein gehaltene<lb/>
Uebereinkunft, nur der Entwurf eines Entwurfs kam zu Stande: die Bun-<lb/>
desſtaaten verpflichten ſich, in Kriegszeiten zwei Procent der Bevölkerung<lb/>
zum Bundesheere, und außerdem ein Procent Erſatztruppen zu ſtellen;<lb/>
wird der Bundeskrieg erklärt, ſo legen die Contingente der Bundesſtaaten<lb/>
ein gemeinſames Abzeichen an und der Bundestag wählt einen Staat, der<lb/>ſeinerſeits den Bundesfeldherrn ernennt. Dieſer Staat konnte nur Oeſter-<lb/>
reich ſein. Boyen gewährte das Zugeſtändniß, weil er vorausſah, daß die<lb/>
Natur der Dinge trotzdem wieder, wie im letzten Kriege, die Theilung des<lb/>
Kriegstheaters erzwingen würde. Um das kümmerliche Ergebniß der Karls-<lb/>
bader Conferenz durch einige beſtimmtere Abreden zu ergänzen und über-<lb/>
haupt ein gemeinſames Vorgehen der beiden Großmächte am Bundestage<lb/>
zu vereinbaren, wurde im December noch Geh. Rath Jordan nach Wien ge-<lb/>ſendet; aber auch er erlangte nur unſichere Zuſagen.</p><lb/><p>Unterdeſſen hatten die öſterreichiſchen Diplomaten das Geheimniß der<lb/>
Karlsbader Uebereinkunft ſchon längſt den kleinen Höfen verrathen. Schon<lb/>
vierzehn Tage nach dem Abſchluß, lange bevor der preußiſche Bundesge-<lb/>ſandte ſelbſt von den Karlsbader Verhandlungen etwas ahnte, waren die<lb/>ſüddeutſchen Kabinette bereits unterrichtet. Ein jäher Schrecken ergriff<lb/>
die Souveräne, das Geſpenſt der deutſchen Zweiherrſchaft ſtand drohend<lb/>
vor den Thoren. Der Kurfürſt von Heſſen eilte ſofort nach Darmſtadt,<lb/>
der Großherzog von Baden nach Homburg zum Könige von Württemberg;<lb/>
die vier Fürſten verſchworen ſich, jedem Uebergriffe der Großmächte vereint<lb/>
entgegenzutreten. Als der Bundestag im Herbſt nach ſeinen erſten Ferien<lb/>
wieder zuſammentrat, fand Graf Goltz, der noch immer von nichts wußte,<lb/>
die Stimmung der Verſammlung wunderbar aufgeregt und verbittert.<noteplace="foot"n="*)">Goltz’s Bericht 8. Oktbr. 1817; deſſen Ueberſicht über die Bundesverhandlungen<lb/>
v. 13. April 1819.</note><lb/>
Erſt am 15. Januar 1818 wagte Buol die Karlsbader Convention als<lb/>
einen Präſidialantrag dem Bundestage vorzulegen. Um die entrüſteten<lb/>
Hörer zu beſchwichtigen, betheuerte er, daß er damit nur das Feld für die<lb/>
freie Berathung eröffnen wolle; zwei Geſichtspunkte müßten bei der Ver-<lb/>
handlung feſtgehalten werden: „die vollkommene Würdigung der Souve-<lb/>
ränität der deutſchen Staaten und die Rückſicht auf ein wirkſames Ver-<lb/>
theidigungsſyſtem.“ Dann überreichte er noch einen ungeheuerlichen Ent-<lb/>
wurf für die Eintheilung des Bundesheeres, der eine Friedensſtärke von nur<lb/>
120,000 Mann verlangte und den beiden Großmächten je ein Armeecorps<lb/>
von 41,500 Mann zuwies; die übrigen 37,000 Mann ſollten in neun<lb/>
Corps zerfallen, alſo daß jeder Mittelſtaat von Baiern bis auf Luxemburg<lb/>
herab ſich den Hochgenuß eines commandirenden Generals gönnen konnte.<lb/>
Die Perle dieſer elf Corps war das elfte, das 2606 Luxemburger, Naſ-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hirendition="#aq">II.</hi> 11</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[161/0175]
Die Karlsbader Convention.
Ueber die Eintheilung des Bundesheeres vermochten die Unterhändler
in Karlsbad ſich nicht zu einigen. Nur eine ganz allgemein gehaltene
Uebereinkunft, nur der Entwurf eines Entwurfs kam zu Stande: die Bun-
desſtaaten verpflichten ſich, in Kriegszeiten zwei Procent der Bevölkerung
zum Bundesheere, und außerdem ein Procent Erſatztruppen zu ſtellen;
wird der Bundeskrieg erklärt, ſo legen die Contingente der Bundesſtaaten
ein gemeinſames Abzeichen an und der Bundestag wählt einen Staat, der
ſeinerſeits den Bundesfeldherrn ernennt. Dieſer Staat konnte nur Oeſter-
reich ſein. Boyen gewährte das Zugeſtändniß, weil er vorausſah, daß die
Natur der Dinge trotzdem wieder, wie im letzten Kriege, die Theilung des
Kriegstheaters erzwingen würde. Um das kümmerliche Ergebniß der Karls-
bader Conferenz durch einige beſtimmtere Abreden zu ergänzen und über-
haupt ein gemeinſames Vorgehen der beiden Großmächte am Bundestage
zu vereinbaren, wurde im December noch Geh. Rath Jordan nach Wien ge-
ſendet; aber auch er erlangte nur unſichere Zuſagen.
Unterdeſſen hatten die öſterreichiſchen Diplomaten das Geheimniß der
Karlsbader Uebereinkunft ſchon längſt den kleinen Höfen verrathen. Schon
vierzehn Tage nach dem Abſchluß, lange bevor der preußiſche Bundesge-
ſandte ſelbſt von den Karlsbader Verhandlungen etwas ahnte, waren die
ſüddeutſchen Kabinette bereits unterrichtet. Ein jäher Schrecken ergriff
die Souveräne, das Geſpenſt der deutſchen Zweiherrſchaft ſtand drohend
vor den Thoren. Der Kurfürſt von Heſſen eilte ſofort nach Darmſtadt,
der Großherzog von Baden nach Homburg zum Könige von Württemberg;
die vier Fürſten verſchworen ſich, jedem Uebergriffe der Großmächte vereint
entgegenzutreten. Als der Bundestag im Herbſt nach ſeinen erſten Ferien
wieder zuſammentrat, fand Graf Goltz, der noch immer von nichts wußte,
die Stimmung der Verſammlung wunderbar aufgeregt und verbittert. *)
Erſt am 15. Januar 1818 wagte Buol die Karlsbader Convention als
einen Präſidialantrag dem Bundestage vorzulegen. Um die entrüſteten
Hörer zu beſchwichtigen, betheuerte er, daß er damit nur das Feld für die
freie Berathung eröffnen wolle; zwei Geſichtspunkte müßten bei der Ver-
handlung feſtgehalten werden: „die vollkommene Würdigung der Souve-
ränität der deutſchen Staaten und die Rückſicht auf ein wirkſames Ver-
theidigungsſyſtem.“ Dann überreichte er noch einen ungeheuerlichen Ent-
wurf für die Eintheilung des Bundesheeres, der eine Friedensſtärke von nur
120,000 Mann verlangte und den beiden Großmächten je ein Armeecorps
von 41,500 Mann zuwies; die übrigen 37,000 Mann ſollten in neun
Corps zerfallen, alſo daß jeder Mittelſtaat von Baiern bis auf Luxemburg
herab ſich den Hochgenuß eines commandirenden Generals gönnen konnte.
Die Perle dieſer elf Corps war das elfte, das 2606 Luxemburger, Naſ-
*) Goltz’s Bericht 8. Oktbr. 1817; deſſen Ueberſicht über die Bundesverhandlungen
v. 13. April 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 11
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/175>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.