Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages. an die verheißenen landständischen Verfassungen erinnerte, als er denempfindlichen neuen König von Württemberg durch scharfe Bemerkungen über den schwäbischen Verfassungskampf reizte, als er gar von der kind- lichen Unwissenheit der liberalen Presse wie ein Volkstribun verherrlicht wurde, da kam der treue Vorkämpfer des Foederalismus, der Lebensretter des Kleinfürstenstandes bald in den Geruch eines Jakobiners, und Metter- nich beschloß den gefährlichen Demagogen zu beseitigen. Ein Wink am niederländischen Hofe genügte. Der König der Niederlande befand sich seit Kurzem in argem Gedränge; denn soeben war an den Tag gekommen, daß der ehrgeizige Prinz von Oranien, schwerlich ganz ohne Vorwissen seines königlichen Vaters, mit den französischen Flüchtlingen zu Brüssel eine revo- lutionäre Verschwörung gegen den Thron der Bourbonen angezettelt hatte. Um so bereitwilliger ergriff der Monarch die Gelegenheit den großen Mächten seine conservative Gesinnung zu beweisen; unbedenklich ließ er den Staats- mann fallen, der so viel zur Bildung des neuen niederländischen Gesammt- staates beigetragen hatte. Was frug er auch nach dem Bundestage und den Träumen deutscher Reichspatrioten? Im April 1818 ward Gagern abberufen und verabschiedete sich mit dem naiven Geständniß: der Grund meiner Entlassung "ist mehr eine zu hohe Würdigung von meiner Seite als ein Verschmähen meines Amtes". An seiner Statt erschien Graf Grünne, ein Holländer, der die deutschen Dinge so gründlich kannte, daß er alles Ernstes vorschlug Frankreich für das Elsaß mit in den Deutschen Bund aufzunehmen. An dem fand die Hofburg nichts auszusetzen. Also war jene Drohung Metternichs vom December 1817 zum ersten male in Erfüllung gegangen. Der Bundestag wußte nunmehr, daß jedem "auf- wiegelnden" Worte "die Abberufung des ungetreuen Gesandten" auf dem Fuße folgte. Alsbald nach seinem Ausscheiden veröffentlichte Gagern in seiner un- II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages. an die verheißenen landſtändiſchen Verfaſſungen erinnerte, als er denempfindlichen neuen König von Württemberg durch ſcharfe Bemerkungen über den ſchwäbiſchen Verfaſſungskampf reizte, als er gar von der kind- lichen Unwiſſenheit der liberalen Preſſe wie ein Volkstribun verherrlicht wurde, da kam der treue Vorkämpfer des Foederalismus, der Lebensretter des Kleinfürſtenſtandes bald in den Geruch eines Jakobiners, und Metter- nich beſchloß den gefährlichen Demagogen zu beſeitigen. Ein Wink am niederländiſchen Hofe genügte. Der König der Niederlande befand ſich ſeit Kurzem in argem Gedränge; denn ſoeben war an den Tag gekommen, daß der ehrgeizige Prinz von Oranien, ſchwerlich ganz ohne Vorwiſſen ſeines königlichen Vaters, mit den franzöſiſchen Flüchtlingen zu Brüſſel eine revo- lutionäre Verſchwörung gegen den Thron der Bourbonen angezettelt hatte. Um ſo bereitwilliger ergriff der Monarch die Gelegenheit den großen Mächten ſeine conſervative Geſinnung zu beweiſen; unbedenklich ließ er den Staats- mann fallen, der ſo viel zur Bildung des neuen niederländiſchen Geſammt- ſtaates beigetragen hatte. Was frug er auch nach dem Bundestage und den Träumen deutſcher Reichspatrioten? Im April 1818 ward Gagern abberufen und verabſchiedete ſich mit dem naiven Geſtändniß: der Grund meiner Entlaſſung „iſt mehr eine zu hohe Würdigung von meiner Seite als ein Verſchmähen meines Amtes“. An ſeiner Statt erſchien Graf Grünne, ein Holländer, der die deutſchen Dinge ſo gründlich kannte, daß er alles Ernſtes vorſchlug Frankreich für das Elſaß mit in den Deutſchen Bund aufzunehmen. An dem fand die Hofburg nichts auszuſetzen. Alſo war jene Drohung Metternichs vom December 1817 zum erſten male in Erfüllung gegangen. Der Bundestag wußte nunmehr, daß jedem „auf- wiegelnden“ Worte „die Abberufung des ungetreuen Geſandten“ auf dem Fuße folgte. 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II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
an die verheißenen landſtändiſchen Verfaſſungen erinnerte, als er den
empfindlichen neuen König von Württemberg durch ſcharfe Bemerkungen
über den ſchwäbiſchen Verfaſſungskampf reizte, als er gar von der kind-
lichen Unwiſſenheit der liberalen Preſſe wie ein Volkstribun verherrlicht
wurde, da kam der treue Vorkämpfer des Foederalismus, der Lebensretter
des Kleinfürſtenſtandes bald in den Geruch eines Jakobiners, und Metter-
nich beſchloß den gefährlichen Demagogen zu beſeitigen. Ein Wink am
niederländiſchen Hofe genügte. Der König der Niederlande befand ſich ſeit
Kurzem in argem Gedränge; denn ſoeben war an den Tag gekommen, daß
der ehrgeizige Prinz von Oranien, ſchwerlich ganz ohne Vorwiſſen ſeines
königlichen Vaters, mit den franzöſiſchen Flüchtlingen zu Brüſſel eine revo-
lutionäre Verſchwörung gegen den Thron der Bourbonen angezettelt hatte.
Um ſo bereitwilliger ergriff der Monarch die Gelegenheit den großen Mächten
ſeine conſervative Geſinnung zu beweiſen; unbedenklich ließ er den Staats-
mann fallen, der ſo viel zur Bildung des neuen niederländiſchen Geſammt-
ſtaates beigetragen hatte. Was frug er auch nach dem Bundestage und
den Träumen deutſcher Reichspatrioten? Im April 1818 ward Gagern
abberufen und verabſchiedete ſich mit dem naiven Geſtändniß: der Grund
meiner Entlaſſung „iſt mehr eine zu hohe Würdigung von meiner Seite
als ein Verſchmähen meines Amtes“. An ſeiner Statt erſchien Graf
Grünne, ein Holländer, der die deutſchen Dinge ſo gründlich kannte, daß
er alles Ernſtes vorſchlug Frankreich für das Elſaß mit in den Deutſchen
Bund aufzunehmen. An dem fand die Hofburg nichts auszuſetzen. Alſo
war jene Drohung Metternichs vom December 1817 zum erſten male in
Erfüllung gegangen. Der Bundestag wußte nunmehr, daß jedem „auf-
wiegelnden“ Worte „die Abberufung des ungetreuen Geſandten“ auf dem
Fuße folgte.
Alsbald nach ſeinem Ausſcheiden veröffentlichte Gagern in ſeiner un-
wandelbaren Gutmüthigkeit eine Schrift „Ueber Deutſchlands Zuſtand und
Bundesverfaſſung“ — um die Deutſchen mit ihrem Bundestage zu ver-
ſöhnen. Als Motto ſtand darauf: Ut ameris amabilis esto! Die Nation
aber nahm den vertrauensvollen Zuruf mit grimmigem Spotte auf. Selbſt
die Gemäßigten hatten ſich längſt voll Ekels von dem Geſpenſterſpuk der
Eſchenheimer Gaſſe abgewendet; und ſchon kam die Zeit, da dieſem treuen,
geſetzliebenden Volke kein Hohn zu frech, kein Schimpfwort zu roh ſchien
für die einzige Behörde, deren Name noch an Deutſchlands Einheit er-
innerte. —
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