Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Sacks Führung erworbenen guten Ruf behauptete. Bassewitz hielt die
Grundsätze der neuen Gesetzgebung unverbrüchlich fest, verstand jedoch mit
Jedermann so schonend und freundlich umzugehen, daß selbst die feudalen
Edelleute dem Reformer nicht ernstlich gram wurden.

Auf dem flachen Lande blieb die Ritterschaft hier noch so mächtig wie
in Pommern, obgleich die Rittergüter der Kurmark nur einen Werth von
27 Mill. Thlr. darstellten und mit 21 Mill. Hypothekenschulden belastet
waren, während der Bauernstand bereits einen Bodenwerth von 31 Mill.
mit einer Schuldenlast von 61/2 Mill. besaß. Gewaltig war noch das An-
sehen des Landraths, zumal wenn er sein Amt so tüchtig verwaltete, wie
der Sohn des alten Zieten, der berühmte Musterlandrath in der Grafschaft
Ruppin. Altväterisch einfach blieben die Sitten des Landvolks selbst dicht vor
den Thoren Berlins, die alte kunstlose Dreifelderwirthschaft herrschte noch
überall vor. Doch begann jetzt allmählich die Thätigkeit Albrecht Thaers
ihre reichen Früchte zu tragen. Seine Schule zu Möglin im Oderbruch,
soeben zur königlichen landwirthschaftlichen Lehranstalt erhoben, lockte eine
stetig wachsende Zahl von alten und jungen Landwirthen an, die hier
unter den alten Erlen am Teiche die freundlichen Rathschläge des gelehrten
und doch so schlicht praktischen Mannes empfingen und draußen auf den
Feldern lernten, wie die Brache durch geregelten Fruchtwechsel entbehrlich
werden könne. Seit die weichen Vließe des Mögliner Wollmarktskönigs
alle andere Wolle aus dem Felde schlugen, war der Ruf der veredelten
Schafzucht fest begründet, die großen Grundbesitzer begannen nach und
nach ihren Betrieb nach den Grundsätzen der neuen "rationellen Land-
wirthschaft" umzugestalten, und Goethe rief dem Reformator des deutschen
Landbaues ermunternd zu: "nicht ruhen soll der Erdenkloß, am wenigsten
der Mann!"

Wie eine Insel lag die so rasch aufgestiegene Hauptstadt inmitten
dieser ackerbauenden Provinz, ganz abgetrennt von den Interessen des
platten Landes. Der Charakter des Berliner Lebens ward trotz seiner
188,000 Einwohner noch wesentlich durch den Hof und die Garnison, die
Beamten und die Universität bestimmt. Nirgends in Deutschland konnte
man feinere Urtheile über Theater und Musik, Philosophie und Geschichte
hören als in den einfachen Theegesellschaften der Berliner literarischen
Kreise. Wie viele geistvolle Männer dachten noch nach Jahren sehnsüchtig
des gastfreien Mendelssohn'schen Hauses in der Leipziger Straße; dort in
dem stillen Parke, nahe dem Potsdamer Thore, wo für den Berliner die
Welt aufhörte, fanden sich die Künstler, die Gelehrten und Kritiker fröhlich
zusammen. Aber die Gesellschaft sonderte sich noch streng nach den Be-
rufsständen. Selbst Gneisenau, der neue Gouverneur, verkehrte fast aus-
schließlich mit Offizieren, und alle Welt verwunderte sich über die uner-
hörte Neuerung, als der König im Jahre 1817 im Concertsaale des Opern-
hauses einige Subscriptionsbälle für Jedermann veranstalten ließ und

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Sacks Führung erworbenen guten Ruf behauptete. Baſſewitz hielt die
Grundſätze der neuen Geſetzgebung unverbrüchlich feſt, verſtand jedoch mit
Jedermann ſo ſchonend und freundlich umzugehen, daß ſelbſt die feudalen
Edelleute dem Reformer nicht ernſtlich gram wurden.

Auf dem flachen Lande blieb die Ritterſchaft hier noch ſo mächtig wie
in Pommern, obgleich die Rittergüter der Kurmark nur einen Werth von
27 Mill. Thlr. darſtellten und mit 21 Mill. Hypothekenſchulden belaſtet
waren, während der Bauernſtand bereits einen Bodenwerth von 31 Mill.
mit einer Schuldenlaſt von 6½ Mill. beſaß. Gewaltig war noch das An-
ſehen des Landraths, zumal wenn er ſein Amt ſo tüchtig verwaltete, wie
der Sohn des alten Zieten, der berühmte Muſterlandrath in der Grafſchaft
Ruppin. Altväteriſch einfach blieben die Sitten des Landvolks ſelbſt dicht vor
den Thoren Berlins, die alte kunſtloſe Dreifelderwirthſchaft herrſchte noch
überall vor. Doch begann jetzt allmählich die Thätigkeit Albrecht Thaers
ihre reichen Früchte zu tragen. Seine Schule zu Möglin im Oderbruch,
ſoeben zur königlichen landwirthſchaftlichen Lehranſtalt erhoben, lockte eine
ſtetig wachſende Zahl von alten und jungen Landwirthen an, die hier
unter den alten Erlen am Teiche die freundlichen Rathſchläge des gelehrten
und doch ſo ſchlicht praktiſchen Mannes empfingen und draußen auf den
Feldern lernten, wie die Brache durch geregelten Fruchtwechſel entbehrlich
werden könne. Seit die weichen Vließe des Mögliner Wollmarktskönigs
alle andere Wolle aus dem Felde ſchlugen, war der Ruf der veredelten
Schafzucht feſt begründet, die großen Grundbeſitzer begannen nach und
nach ihren Betrieb nach den Grundſätzen der neuen „rationellen Land-
wirthſchaft“ umzugeſtalten, und Goethe rief dem Reformator des deutſchen
Landbaues ermunternd zu: „nicht ruhen ſoll der Erdenkloß, am wenigſten
der Mann!“

Wie eine Inſel lag die ſo raſch aufgeſtiegene Hauptſtadt inmitten
dieſer ackerbauenden Provinz, ganz abgetrennt von den Intereſſen des
platten Landes. Der Charakter des Berliner Lebens ward trotz ſeiner
188,000 Einwohner noch weſentlich durch den Hof und die Garniſon, die
Beamten und die Univerſität beſtimmt. Nirgends in Deutſchland konnte
man feinere Urtheile über Theater und Muſik, Philoſophie und Geſchichte
hören als in den einfachen Theegeſellſchaften der Berliner literariſchen
Kreiſe. Wie viele geiſtvolle Männer dachten noch nach Jahren ſehnſüchtig
des gaſtfreien Mendelsſohn’ſchen Hauſes in der Leipziger Straße; dort in
dem ſtillen Parke, nahe dem Potsdamer Thore, wo für den Berliner die
Welt aufhörte, fanden ſich die Künſtler, die Gelehrten und Kritiker fröhlich
zuſammen. Aber die Geſellſchaft ſonderte ſich noch ſtreng nach den Be-
rufsſtänden. Selbſt Gneiſenau, der neue Gouverneur, verkehrte faſt aus-
ſchließlich mit Offizieren, und alle Welt verwunderte ſich über die uner-
hörte Neuerung, als der König im Jahre 1817 im Concertſaale des Opern-
hauſes einige Subſcriptionsbälle für Jedermann veranſtalten ließ und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="256"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5. Die Wiederher&#x017F;tellung des preußi&#x017F;chen Staates.</fw><lb/>
Sacks Führung erworbenen guten Ruf behauptete. Ba&#x017F;&#x017F;ewitz hielt die<lb/>
Grund&#x017F;ätze der neuen Ge&#x017F;etzgebung unverbrüchlich fe&#x017F;t, ver&#x017F;tand jedoch mit<lb/>
Jedermann &#x017F;o &#x017F;chonend und freundlich umzugehen, daß &#x017F;elb&#x017F;t die feudalen<lb/>
Edelleute dem Reformer nicht ern&#x017F;tlich gram wurden.</p><lb/>
          <p>Auf dem flachen Lande blieb die Ritter&#x017F;chaft hier noch &#x017F;o mächtig wie<lb/>
in Pommern, obgleich die Rittergüter der Kurmark nur einen Werth von<lb/>
27 Mill. Thlr. dar&#x017F;tellten und mit 21 Mill. Hypotheken&#x017F;chulden bela&#x017F;tet<lb/>
waren, während der Bauern&#x017F;tand bereits einen Bodenwerth von 31 Mill.<lb/>
mit einer Schuldenla&#x017F;t von 6½ Mill. be&#x017F;aß. Gewaltig war noch das An-<lb/>
&#x017F;ehen des Landraths, zumal wenn er &#x017F;ein Amt &#x017F;o tüchtig verwaltete, wie<lb/>
der Sohn des alten Zieten, der berühmte Mu&#x017F;terlandrath in der Graf&#x017F;chaft<lb/>
Ruppin. Altväteri&#x017F;ch einfach blieben die Sitten des Landvolks &#x017F;elb&#x017F;t dicht vor<lb/>
den Thoren Berlins, die alte kun&#x017F;tlo&#x017F;e Dreifelderwirth&#x017F;chaft herr&#x017F;chte noch<lb/>
überall vor. Doch begann jetzt allmählich die Thätigkeit Albrecht Thaers<lb/>
ihre reichen Früchte zu tragen. Seine Schule zu Möglin im Oderbruch,<lb/>
&#x017F;oeben zur königlichen landwirth&#x017F;chaftlichen Lehran&#x017F;talt erhoben, lockte eine<lb/>
&#x017F;tetig wach&#x017F;ende Zahl von alten und jungen Landwirthen an, die hier<lb/>
unter den alten Erlen am Teiche die freundlichen Rath&#x017F;chläge des gelehrten<lb/>
und doch &#x017F;o &#x017F;chlicht prakti&#x017F;chen Mannes empfingen und draußen auf den<lb/>
Feldern lernten, wie die Brache durch geregelten Fruchtwech&#x017F;el entbehrlich<lb/>
werden könne. Seit die weichen Vließe des Mögliner Wollmarktskönigs<lb/>
alle andere Wolle aus dem Felde &#x017F;chlugen, war der Ruf der veredelten<lb/>
Schafzucht fe&#x017F;t begründet, die großen Grundbe&#x017F;itzer begannen nach und<lb/>
nach ihren Betrieb nach den Grund&#x017F;ätzen der neuen &#x201E;rationellen Land-<lb/>
wirth&#x017F;chaft&#x201C; umzuge&#x017F;talten, und Goethe rief dem Reformator des deut&#x017F;chen<lb/>
Landbaues ermunternd zu: &#x201E;nicht ruhen &#x017F;oll der Erdenkloß, am wenig&#x017F;ten<lb/>
der Mann!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wie eine In&#x017F;el lag die &#x017F;o ra&#x017F;ch aufge&#x017F;tiegene Haupt&#x017F;tadt inmitten<lb/>
die&#x017F;er ackerbauenden Provinz, ganz abgetrennt von den Intere&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
platten Landes. Der Charakter des Berliner Lebens ward trotz &#x017F;einer<lb/>
188,000 Einwohner noch we&#x017F;entlich durch den Hof und die Garni&#x017F;on, die<lb/>
Beamten und die Univer&#x017F;ität be&#x017F;timmt. Nirgends in Deut&#x017F;chland konnte<lb/>
man feinere Urtheile über Theater und Mu&#x017F;ik, Philo&#x017F;ophie und Ge&#x017F;chichte<lb/>
hören als in den einfachen Theege&#x017F;ell&#x017F;chaften der Berliner literari&#x017F;chen<lb/>
Krei&#x017F;e. Wie viele gei&#x017F;tvolle Männer dachten noch nach Jahren &#x017F;ehn&#x017F;üchtig<lb/>
des ga&#x017F;tfreien Mendels&#x017F;ohn&#x2019;&#x017F;chen Hau&#x017F;es in der Leipziger Straße; dort in<lb/>
dem &#x017F;tillen Parke, nahe dem Potsdamer Thore, wo für den Berliner die<lb/>
Welt aufhörte, fanden &#x017F;ich die Kün&#x017F;tler, die Gelehrten und Kritiker fröhlich<lb/>
zu&#x017F;ammen. Aber die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;onderte &#x017F;ich noch &#x017F;treng nach den Be-<lb/>
rufs&#x017F;tänden. Selb&#x017F;t Gnei&#x017F;enau, der neue Gouverneur, verkehrte fa&#x017F;t aus-<lb/>
&#x017F;chließlich mit Offizieren, und alle Welt verwunderte &#x017F;ich über die uner-<lb/>
hörte Neuerung, als der König im Jahre 1817 im Concert&#x017F;aale des Opern-<lb/>
hau&#x017F;es einige Sub&#x017F;criptionsbälle für Jedermann veran&#x017F;talten ließ und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0270] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Sacks Führung erworbenen guten Ruf behauptete. Baſſewitz hielt die Grundſätze der neuen Geſetzgebung unverbrüchlich feſt, verſtand jedoch mit Jedermann ſo ſchonend und freundlich umzugehen, daß ſelbſt die feudalen Edelleute dem Reformer nicht ernſtlich gram wurden. Auf dem flachen Lande blieb die Ritterſchaft hier noch ſo mächtig wie in Pommern, obgleich die Rittergüter der Kurmark nur einen Werth von 27 Mill. Thlr. darſtellten und mit 21 Mill. Hypothekenſchulden belaſtet waren, während der Bauernſtand bereits einen Bodenwerth von 31 Mill. mit einer Schuldenlaſt von 6½ Mill. beſaß. Gewaltig war noch das An- ſehen des Landraths, zumal wenn er ſein Amt ſo tüchtig verwaltete, wie der Sohn des alten Zieten, der berühmte Muſterlandrath in der Grafſchaft Ruppin. Altväteriſch einfach blieben die Sitten des Landvolks ſelbſt dicht vor den Thoren Berlins, die alte kunſtloſe Dreifelderwirthſchaft herrſchte noch überall vor. Doch begann jetzt allmählich die Thätigkeit Albrecht Thaers ihre reichen Früchte zu tragen. Seine Schule zu Möglin im Oderbruch, ſoeben zur königlichen landwirthſchaftlichen Lehranſtalt erhoben, lockte eine ſtetig wachſende Zahl von alten und jungen Landwirthen an, die hier unter den alten Erlen am Teiche die freundlichen Rathſchläge des gelehrten und doch ſo ſchlicht praktiſchen Mannes empfingen und draußen auf den Feldern lernten, wie die Brache durch geregelten Fruchtwechſel entbehrlich werden könne. Seit die weichen Vließe des Mögliner Wollmarktskönigs alle andere Wolle aus dem Felde ſchlugen, war der Ruf der veredelten Schafzucht feſt begründet, die großen Grundbeſitzer begannen nach und nach ihren Betrieb nach den Grundſätzen der neuen „rationellen Land- wirthſchaft“ umzugeſtalten, und Goethe rief dem Reformator des deutſchen Landbaues ermunternd zu: „nicht ruhen ſoll der Erdenkloß, am wenigſten der Mann!“ Wie eine Inſel lag die ſo raſch aufgeſtiegene Hauptſtadt inmitten dieſer ackerbauenden Provinz, ganz abgetrennt von den Intereſſen des platten Landes. Der Charakter des Berliner Lebens ward trotz ſeiner 188,000 Einwohner noch weſentlich durch den Hof und die Garniſon, die Beamten und die Univerſität beſtimmt. Nirgends in Deutſchland konnte man feinere Urtheile über Theater und Muſik, Philoſophie und Geſchichte hören als in den einfachen Theegeſellſchaften der Berliner literariſchen Kreiſe. Wie viele geiſtvolle Männer dachten noch nach Jahren ſehnſüchtig des gaſtfreien Mendelsſohn’ſchen Hauſes in der Leipziger Straße; dort in dem ſtillen Parke, nahe dem Potsdamer Thore, wo für den Berliner die Welt aufhörte, fanden ſich die Künſtler, die Gelehrten und Kritiker fröhlich zuſammen. Aber die Geſellſchaft ſonderte ſich noch ſtreng nach den Be- rufsſtänden. Selbſt Gneiſenau, der neue Gouverneur, verkehrte faſt aus- ſchließlich mit Offizieren, und alle Welt verwunderte ſich über die uner- hörte Neuerung, als der König im Jahre 1817 im Concertſaale des Opern- hauſes einige Subſcriptionsbälle für Jedermann veranſtalten ließ und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/270
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/270>, abgerufen am 24.11.2024.