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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Altbaiern.
bairischen Hauses, der gewaltige Maximilian I. eine seltene staatsmännische
Begabung um den Jammer des Glaubenskrieges über sein Vaterland
heraufzubeschwören; er stiftete die katholische Liga, er verfolgte, noch un-
versöhnlicher als der Kaiser selbst, die protestantischen pfälzischen Vettern
und führte noch nach dem Westphälischen Frieden, wider das Gesetz des
Reichs, seine Siegesbeute, die Oberpfalz gewaltsam zur katholischen Kirche
zurück. Kein Ketzer durfte dies Land der Glaubenseinheit bewohnen; allen
bairischen Unterthanen war der Aufenthalt in protestantischen Gebieten
untersagt. Der Bund des Fürstenhauses mit dem römischen Stuhle stand
um so fester, da das Herzogthum keinen eigenen Bischof besaß und die
Landesherren der Hilfe des Papstes bedurften um sich der herrischen An-
sprüche von sieben benachbarten reichsunmittelbaren Bischöfen zu erwehren.
Dem Glanze des Hofes kam diese hart katholische Politik zu gute; sie er-
warb ihm die Kurfürstenwürde und verschaffte seinen nachgeborenen Prinzen
reiche Versorgung in den großen Stiftern des Reichs, so daß Kurköln fast
zweihundert Jahre lang von bairischen Fürsten regiert wurde und drei,
zuweilen vier Kurstimmen dem Hause Wittelsbach angehörten. Aber zu
der selbstbewußten Haltung einer unabhängigen Macht vermochte die
Dynastie seit dem Tode des großen Max nicht mehr zu gelangen; bedroht
durch die Eroberungslust des österreichischen Nachbarn schloß sie immer
wieder den verhängnißvollen Bund mit dem Versailler Hofe, in München
wie in Köln gab der französische Gesandte den Ausschlag.

Unterdessen versank das altbairische Volk in den Seelenschlaf eines
behäbigen Sonderlebens. Während Franken und Alemannen sich überall
leicht zusammenfanden, stand der conservativste aller oberdeutschen Stämme
dem schweren niedersächsischen Volksthum innerlich näher als den ober-
ländischen Nachbarn. Nur die nördlichsten Ausläufer des bairischen
Stammes hatten sich etwas mit den Franken vermischt; von dem stamm-
verwandten Oesterreicher war der Baier durch alten politischen Haß ge-
trennt, und gegen Schwaben hin bildete der Lech von Altersher eine
starke natürliche Grenze, die den nachbarlichen Verkehr fast gänzlich ab-
schnitt. Neben der unübersehbaren Mannichfaltigkeit des schwäbischen
Lebens erschien Altbaiern als eine geschlossene Masse; kaum daß sich in
der Oberpfalz ein leiser Unterschied des Dialekts zeigte. Wohl trug der
reiche niederbairische Waizengraf seinen Bauernstolz, seine urwüchsige
Kraft weit ungeschlachter zur Schau als der beweglichere, sangeslustige
Jäger der Alpen oder der schlichte Wäldler aus dem armen Bairischen
Walde; im Grunde waren doch alle Baiern wie aus einem Holze ge-
schnitzt. Ueberall dieselben Charakterzüge rüstiger Tapferkeit, unverwüst-
licher Lebenslust und gemüthlicher Schlauheit; überall der gleiche naive
Stammesstolz, der "das Deutschland" zur Noth noch als ein Nebenland
Baierns gelten ließ, und dieselbe unverbrüchliche dynastische Treue. Wäh-
rend Schwaben eine lange Reihe glorreicher Fürstengeschlechter, die Zäh-

Altbaiern.
bairiſchen Hauſes, der gewaltige Maximilian I. eine ſeltene ſtaatsmänniſche
Begabung um den Jammer des Glaubenskrieges über ſein Vaterland
heraufzubeſchwören; er ſtiftete die katholiſche Liga, er verfolgte, noch un-
verſöhnlicher als der Kaiſer ſelbſt, die proteſtantiſchen pfälziſchen Vettern
und führte noch nach dem Weſtphäliſchen Frieden, wider das Geſetz des
Reichs, ſeine Siegesbeute, die Oberpfalz gewaltſam zur katholiſchen Kirche
zurück. Kein Ketzer durfte dies Land der Glaubenseinheit bewohnen; allen
bairiſchen Unterthanen war der Aufenthalt in proteſtantiſchen Gebieten
unterſagt. Der Bund des Fürſtenhauſes mit dem römiſchen Stuhle ſtand
um ſo feſter, da das Herzogthum keinen eigenen Biſchof beſaß und die
Landesherren der Hilfe des Papſtes bedurften um ſich der herriſchen An-
ſprüche von ſieben benachbarten reichsunmittelbaren Biſchöfen zu erwehren.
Dem Glanze des Hofes kam dieſe hart katholiſche Politik zu gute; ſie er-
warb ihm die Kurfürſtenwürde und verſchaffte ſeinen nachgeborenen Prinzen
reiche Verſorgung in den großen Stiftern des Reichs, ſo daß Kurköln faſt
zweihundert Jahre lang von bairiſchen Fürſten regiert wurde und drei,
zuweilen vier Kurſtimmen dem Hauſe Wittelsbach angehörten. Aber zu
der ſelbſtbewußten Haltung einer unabhängigen Macht vermochte die
Dynaſtie ſeit dem Tode des großen Max nicht mehr zu gelangen; bedroht
durch die Eroberungsluſt des öſterreichiſchen Nachbarn ſchloß ſie immer
wieder den verhängnißvollen Bund mit dem Verſailler Hofe, in München
wie in Köln gab der franzöſiſche Geſandte den Ausſchlag.

Unterdeſſen verſank das altbairiſche Volk in den Seelenſchlaf eines
behäbigen Sonderlebens. Während Franken und Alemannen ſich überall
leicht zuſammenfanden, ſtand der conſervativſte aller oberdeutſchen Stämme
dem ſchweren niederſächſiſchen Volksthum innerlich näher als den ober-
ländiſchen Nachbarn. Nur die nördlichſten Ausläufer des bairiſchen
Stammes hatten ſich etwas mit den Franken vermiſcht; von dem ſtamm-
verwandten Oeſterreicher war der Baier durch alten politiſchen Haß ge-
trennt, und gegen Schwaben hin bildete der Lech von Altersher eine
ſtarke natürliche Grenze, die den nachbarlichen Verkehr faſt gänzlich ab-
ſchnitt. Neben der unüberſehbaren Mannichfaltigkeit des ſchwäbiſchen
Lebens erſchien Altbaiern als eine geſchloſſene Maſſe; kaum daß ſich in
der Oberpfalz ein leiſer Unterſchied des Dialekts zeigte. Wohl trug der
reiche niederbairiſche Waizengraf ſeinen Bauernſtolz, ſeine urwüchſige
Kraft weit ungeſchlachter zur Schau als der beweglichere, ſangesluſtige
Jäger der Alpen oder der ſchlichte Wäldler aus dem armen Bairiſchen
Walde; im Grunde waren doch alle Baiern wie aus einem Holze ge-
ſchnitzt. Ueberall dieſelben Charakterzüge rüſtiger Tapferkeit, unverwüſt-
licher Lebensluſt und gemüthlicher Schlauheit; überall der gleiche naive
Stammesſtolz, der „das Deutſchland“ zur Noth noch als ein Nebenland
Baierns gelten ließ, und dieſelbe unverbrüchliche dynaſtiſche Treue. Wäh-
rend Schwaben eine lange Reihe glorreicher Fürſtengeſchlechter, die Zäh-

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[325/0339] Altbaiern. bairiſchen Hauſes, der gewaltige Maximilian I. eine ſeltene ſtaatsmänniſche Begabung um den Jammer des Glaubenskrieges über ſein Vaterland heraufzubeſchwören; er ſtiftete die katholiſche Liga, er verfolgte, noch un- verſöhnlicher als der Kaiſer ſelbſt, die proteſtantiſchen pfälziſchen Vettern und führte noch nach dem Weſtphäliſchen Frieden, wider das Geſetz des Reichs, ſeine Siegesbeute, die Oberpfalz gewaltſam zur katholiſchen Kirche zurück. Kein Ketzer durfte dies Land der Glaubenseinheit bewohnen; allen bairiſchen Unterthanen war der Aufenthalt in proteſtantiſchen Gebieten unterſagt. Der Bund des Fürſtenhauſes mit dem römiſchen Stuhle ſtand um ſo feſter, da das Herzogthum keinen eigenen Biſchof beſaß und die Landesherren der Hilfe des Papſtes bedurften um ſich der herriſchen An- ſprüche von ſieben benachbarten reichsunmittelbaren Biſchöfen zu erwehren. Dem Glanze des Hofes kam dieſe hart katholiſche Politik zu gute; ſie er- warb ihm die Kurfürſtenwürde und verſchaffte ſeinen nachgeborenen Prinzen reiche Verſorgung in den großen Stiftern des Reichs, ſo daß Kurköln faſt zweihundert Jahre lang von bairiſchen Fürſten regiert wurde und drei, zuweilen vier Kurſtimmen dem Hauſe Wittelsbach angehörten. Aber zu der ſelbſtbewußten Haltung einer unabhängigen Macht vermochte die Dynaſtie ſeit dem Tode des großen Max nicht mehr zu gelangen; bedroht durch die Eroberungsluſt des öſterreichiſchen Nachbarn ſchloß ſie immer wieder den verhängnißvollen Bund mit dem Verſailler Hofe, in München wie in Köln gab der franzöſiſche Geſandte den Ausſchlag. Unterdeſſen verſank das altbairiſche Volk in den Seelenſchlaf eines behäbigen Sonderlebens. Während Franken und Alemannen ſich überall leicht zuſammenfanden, ſtand der conſervativſte aller oberdeutſchen Stämme dem ſchweren niederſächſiſchen Volksthum innerlich näher als den ober- ländiſchen Nachbarn. Nur die nördlichſten Ausläufer des bairiſchen Stammes hatten ſich etwas mit den Franken vermiſcht; von dem ſtamm- verwandten Oeſterreicher war der Baier durch alten politiſchen Haß ge- trennt, und gegen Schwaben hin bildete der Lech von Altersher eine ſtarke natürliche Grenze, die den nachbarlichen Verkehr faſt gänzlich ab- ſchnitt. Neben der unüberſehbaren Mannichfaltigkeit des ſchwäbiſchen Lebens erſchien Altbaiern als eine geſchloſſene Maſſe; kaum daß ſich in der Oberpfalz ein leiſer Unterſchied des Dialekts zeigte. Wohl trug der reiche niederbairiſche Waizengraf ſeinen Bauernſtolz, ſeine urwüchſige Kraft weit ungeſchlachter zur Schau als der beweglichere, ſangesluſtige Jäger der Alpen oder der ſchlichte Wäldler aus dem armen Bairiſchen Walde; im Grunde waren doch alle Baiern wie aus einem Holze ge- ſchnitzt. Ueberall dieſelben Charakterzüge rüſtiger Tapferkeit, unverwüſt- licher Lebensluſt und gemüthlicher Schlauheit; überall der gleiche naive Stammesſtolz, der „das Deutſchland“ zur Noth noch als ein Nebenland Baierns gelten ließ, und dieſelbe unverbrüchliche dynaſtiſche Treue. Wäh- rend Schwaben eine lange Reihe glorreicher Fürſtengeſchlechter, die Zäh-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/339>, abgerufen am 22.11.2024.