Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Geheime Erneuerung des Vierbunds.
kommen, so würde dies nur auf förmliche Aufforderung und unter Mit-
wirkung der betheiligten Staaten geschehen. Dies Protokoll wurde allen
europäischen Höfen mitgetheilt nebst einer Declaration (v. 15. Nov.), einem
Meisterwerke Gentzischer Stilistik, dessen glänzende Form freilich den dürf-
tigen Inhalt kaum verhüllen konnte. "Der Zweck dieser Verbindung,
hieß es da, ist ebenso einfach als wohlthätig und groß. In ihrem festen
und ruhigen Gange strebt sie nach nichts als nach Aufrechthaltung des
Friedens und Gewährleistung aller der Verhandlungen, durch welche er
gestiftet und bekräftigt worden ist. Die Souveräne erkennen feierlich an,
daß ihre Pflicht gegen Gott und gegen die Völker, welche sie beherrschen,
ihnen gebietet, der Welt, so viel an ihnen ist, das Beispiel der Gerechtig-
keit, der Eintracht, der Mäßigung zu geben."

So war denn Frankreich scheinbar in den Bund der vier Mächte
aufgenommen, und der wackere Richelieu, dessen ritterliche Haltung auf
dem Congresse allgemein gefiel, erlebte die Genugthuung, daß ihm die
unwissende Presse nachrühmte, er habe nicht nur den französischen Boden
befreit, sondern auch die europäische Pentarchie erneuert. In Wahrheit
hatte Frankreich nichts davon getragen als einen ziemlich werthlosen Be-
weis diplomatischer Höflichkeit. Die Bourbonen konnten fortan erwarten,
daß ihre Bevollmächtigten zu den Zusammenkünften der vier Verbündeten
zugezogen würden, aber ein Vertrag war nicht geschlossen, der Name
Fünferbund absichtlich vermieden. Dagegen versammelten sich die Ver-
treter der vier Mächte noch an demselben 15. November, da sie die Decla-
ration an die europäischen Höfe erließen, zu einer vertraulichen Sitzung
und erklärten in einem geheimen Protokolle, daß ihr in Chaumont abge-
schlossener, in Paris auf unbestimmte Zeit erneuerter Bund unverändert
fortbestehe; nur um Frankreich und die übrigen Staaten nicht zu er-
schrecken, sollte der Fortbestand der Quadrupel-Allianz geheim gehalten
werden. Die vier Mächte blieben mithin verpflichtet, einander mit je
60,000 Mann mindestens sofort zu unterstützen falls in Frankreich eine
Revolution ausbräche oder die Bonapartes zurückkehrten oder sonst eine
Kriegsgefahr sich zeigte. Sie behielten sich vor, nöthigenfalls in beson-
deren Zusammenkünften (reunions speciales) die Maßregeln zu verab-
reden, welche "den verhängnißvollen Folgen eines neuen Umsturzes in
Frankreich zuvorkommen können".*)

In derselben Sitzung übergab der geheime militärische Ausschuß der
vier Mächte, der unter Wellingtons Vorsitz tagte, seinen Plan für die
Aufstellung der verbündeten Streitkräfte. Nach diesem "militärischen Pro-
tokoll" sollten, sobald die vier Mächte ausgesprochen hätten, daß der
casus foederis et belli gegeben sei, binnen zwei Monaten die englischen
Truppen um Brüssel, die Preußen um Köln, die Oesterreicher um Stutt-

*) Geheimes Protokoll der 33. Sitzung vom 15. Nov. 1818.

Geheime Erneuerung des Vierbunds.
kommen, ſo würde dies nur auf förmliche Aufforderung und unter Mit-
wirkung der betheiligten Staaten geſchehen. Dies Protokoll wurde allen
europäiſchen Höfen mitgetheilt nebſt einer Declaration (v. 15. Nov.), einem
Meiſterwerke Gentziſcher Stiliſtik, deſſen glänzende Form freilich den dürf-
tigen Inhalt kaum verhüllen konnte. „Der Zweck dieſer Verbindung,
hieß es da, iſt ebenſo einfach als wohlthätig und groß. In ihrem feſten
und ruhigen Gange ſtrebt ſie nach nichts als nach Aufrechthaltung des
Friedens und Gewährleiſtung aller der Verhandlungen, durch welche er
geſtiftet und bekräftigt worden iſt. Die Souveräne erkennen feierlich an,
daß ihre Pflicht gegen Gott und gegen die Völker, welche ſie beherrſchen,
ihnen gebietet, der Welt, ſo viel an ihnen iſt, das Beiſpiel der Gerechtig-
keit, der Eintracht, der Mäßigung zu geben.“

So war denn Frankreich ſcheinbar in den Bund der vier Mächte
aufgenommen, und der wackere Richelieu, deſſen ritterliche Haltung auf
dem Congreſſe allgemein gefiel, erlebte die Genugthuung, daß ihm die
unwiſſende Preſſe nachrühmte, er habe nicht nur den franzöſiſchen Boden
befreit, ſondern auch die europäiſche Pentarchie erneuert. In Wahrheit
hatte Frankreich nichts davon getragen als einen ziemlich werthloſen Be-
weis diplomatiſcher Höflichkeit. Die Bourbonen konnten fortan erwarten,
daß ihre Bevollmächtigten zu den Zuſammenkünften der vier Verbündeten
zugezogen würden, aber ein Vertrag war nicht geſchloſſen, der Name
Fünferbund abſichtlich vermieden. Dagegen verſammelten ſich die Ver-
treter der vier Mächte noch an demſelben 15. November, da ſie die Decla-
ration an die europäiſchen Höfe erließen, zu einer vertraulichen Sitzung
und erklärten in einem geheimen Protokolle, daß ihr in Chaumont abge-
ſchloſſener, in Paris auf unbeſtimmte Zeit erneuerter Bund unverändert
fortbeſtehe; nur um Frankreich und die übrigen Staaten nicht zu er-
ſchrecken, ſollte der Fortbeſtand der Quadrupel-Allianz geheim gehalten
werden. Die vier Mächte blieben mithin verpflichtet, einander mit je
60,000 Mann mindeſtens ſofort zu unterſtützen falls in Frankreich eine
Revolution ausbräche oder die Bonapartes zurückkehrten oder ſonſt eine
Kriegsgefahr ſich zeigte. Sie behielten ſich vor, nöthigenfalls in beſon-
deren Zuſammenkünften (réunions spéciales) die Maßregeln zu verab-
reden, welche „den verhängnißvollen Folgen eines neuen Umſturzes in
Frankreich zuvorkommen können“.*)

In derſelben Sitzung übergab der geheime militäriſche Ausſchuß der
vier Mächte, der unter Wellingtons Vorſitz tagte, ſeinen Plan für die
Aufſtellung der verbündeten Streitkräfte. Nach dieſem „militäriſchen Pro-
tokoll“ ſollten, ſobald die vier Mächte ausgeſprochen hätten, daß der
casus foederis et belli gegeben ſei, binnen zwei Monaten die engliſchen
Truppen um Brüſſel, die Preußen um Köln, die Oeſterreicher um Stutt-

*) Geheimes Protokoll der 33. Sitzung vom 15. Nov. 1818.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0485" n="471"/><fw place="top" type="header">Geheime Erneuerung des Vierbunds.</fw><lb/>
kommen, &#x017F;o würde dies nur auf förmliche Aufforderung und unter Mit-<lb/>
wirkung der betheiligten Staaten ge&#x017F;chehen. Dies Protokoll wurde allen<lb/>
europäi&#x017F;chen Höfen mitgetheilt neb&#x017F;t einer Declaration (v. 15. Nov.), einem<lb/>
Mei&#x017F;terwerke Gentzi&#x017F;cher Stili&#x017F;tik, de&#x017F;&#x017F;en glänzende Form freilich den dürf-<lb/>
tigen Inhalt kaum verhüllen konnte. &#x201E;Der Zweck die&#x017F;er Verbindung,<lb/>
hieß es da, i&#x017F;t eben&#x017F;o einfach als wohlthätig und groß. In ihrem fe&#x017F;ten<lb/>
und ruhigen Gange &#x017F;trebt &#x017F;ie nach nichts als nach Aufrechthaltung des<lb/>
Friedens und Gewährlei&#x017F;tung aller der Verhandlungen, durch welche er<lb/>
ge&#x017F;tiftet und bekräftigt worden i&#x017F;t. Die Souveräne erkennen feierlich an,<lb/>
daß ihre Pflicht gegen Gott und gegen die Völker, welche &#x017F;ie beherr&#x017F;chen,<lb/>
ihnen gebietet, der Welt, &#x017F;o viel an ihnen i&#x017F;t, das Bei&#x017F;piel der Gerechtig-<lb/>
keit, der Eintracht, der Mäßigung zu geben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>So war denn Frankreich &#x017F;cheinbar in den Bund der vier Mächte<lb/>
aufgenommen, und der wackere Richelieu, de&#x017F;&#x017F;en ritterliche Haltung auf<lb/>
dem Congre&#x017F;&#x017F;e allgemein gefiel, erlebte die Genugthuung, daß ihm die<lb/>
unwi&#x017F;&#x017F;ende Pre&#x017F;&#x017F;e nachrühmte, er habe nicht nur den franzö&#x017F;i&#x017F;chen Boden<lb/>
befreit, &#x017F;ondern auch die europäi&#x017F;che Pentarchie erneuert. In Wahrheit<lb/>
hatte Frankreich nichts davon getragen als einen ziemlich werthlo&#x017F;en Be-<lb/>
weis diplomati&#x017F;cher Höflichkeit. Die Bourbonen konnten fortan erwarten,<lb/>
daß ihre Bevollmächtigten zu den Zu&#x017F;ammenkünften der vier Verbündeten<lb/>
zugezogen würden, aber ein Vertrag war nicht ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, der Name<lb/>
Fünferbund ab&#x017F;ichtlich vermieden. Dagegen ver&#x017F;ammelten &#x017F;ich die Ver-<lb/>
treter der vier Mächte noch an dem&#x017F;elben 15. November, da &#x017F;ie die Decla-<lb/>
ration an die europäi&#x017F;chen Höfe erließen, zu einer vertraulichen Sitzung<lb/>
und erklärten in einem geheimen Protokolle, daß ihr in Chaumont abge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener, in Paris auf unbe&#x017F;timmte Zeit erneuerter Bund unverändert<lb/>
fortbe&#x017F;tehe; nur um Frankreich und die übrigen Staaten nicht zu er-<lb/>
&#x017F;chrecken, &#x017F;ollte der Fortbe&#x017F;tand der Quadrupel-Allianz geheim gehalten<lb/>
werden. Die vier Mächte blieben mithin verpflichtet, einander mit je<lb/>
60,000 Mann minde&#x017F;tens &#x017F;ofort zu unter&#x017F;tützen falls in Frankreich eine<lb/>
Revolution ausbräche oder die Bonapartes zurückkehrten oder &#x017F;on&#x017F;t eine<lb/>
Kriegsgefahr &#x017F;ich zeigte. Sie behielten &#x017F;ich vor, nöthigenfalls in be&#x017F;on-<lb/>
deren Zu&#x017F;ammenkünften <hi rendition="#aq">(réunions spéciales)</hi> die Maßregeln zu verab-<lb/>
reden, welche &#x201E;den verhängnißvollen Folgen eines neuen Um&#x017F;turzes in<lb/>
Frankreich zuvorkommen können&#x201C;.<note place="foot" n="*)">Geheimes Protokoll der 33. Sitzung vom 15. Nov. 1818.</note></p><lb/>
          <p>In der&#x017F;elben Sitzung übergab der geheime militäri&#x017F;che Aus&#x017F;chuß der<lb/>
vier Mächte, der unter Wellingtons Vor&#x017F;itz tagte, &#x017F;einen Plan für die<lb/>
Auf&#x017F;tellung der verbündeten Streitkräfte. Nach die&#x017F;em &#x201E;militäri&#x017F;chen Pro-<lb/>
tokoll&#x201C; &#x017F;ollten, &#x017F;obald die vier Mächte ausge&#x017F;prochen hätten, daß der<lb/><hi rendition="#aq">casus foederis et belli</hi> gegeben &#x017F;ei, binnen zwei Monaten die engli&#x017F;chen<lb/>
Truppen um Brü&#x017F;&#x017F;el, die Preußen um Köln, die Oe&#x017F;terreicher um Stutt-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0485] Geheime Erneuerung des Vierbunds. kommen, ſo würde dies nur auf förmliche Aufforderung und unter Mit- wirkung der betheiligten Staaten geſchehen. Dies Protokoll wurde allen europäiſchen Höfen mitgetheilt nebſt einer Declaration (v. 15. Nov.), einem Meiſterwerke Gentziſcher Stiliſtik, deſſen glänzende Form freilich den dürf- tigen Inhalt kaum verhüllen konnte. „Der Zweck dieſer Verbindung, hieß es da, iſt ebenſo einfach als wohlthätig und groß. In ihrem feſten und ruhigen Gange ſtrebt ſie nach nichts als nach Aufrechthaltung des Friedens und Gewährleiſtung aller der Verhandlungen, durch welche er geſtiftet und bekräftigt worden iſt. Die Souveräne erkennen feierlich an, daß ihre Pflicht gegen Gott und gegen die Völker, welche ſie beherrſchen, ihnen gebietet, der Welt, ſo viel an ihnen iſt, das Beiſpiel der Gerechtig- keit, der Eintracht, der Mäßigung zu geben.“ So war denn Frankreich ſcheinbar in den Bund der vier Mächte aufgenommen, und der wackere Richelieu, deſſen ritterliche Haltung auf dem Congreſſe allgemein gefiel, erlebte die Genugthuung, daß ihm die unwiſſende Preſſe nachrühmte, er habe nicht nur den franzöſiſchen Boden befreit, ſondern auch die europäiſche Pentarchie erneuert. In Wahrheit hatte Frankreich nichts davon getragen als einen ziemlich werthloſen Be- weis diplomatiſcher Höflichkeit. Die Bourbonen konnten fortan erwarten, daß ihre Bevollmächtigten zu den Zuſammenkünften der vier Verbündeten zugezogen würden, aber ein Vertrag war nicht geſchloſſen, der Name Fünferbund abſichtlich vermieden. Dagegen verſammelten ſich die Ver- treter der vier Mächte noch an demſelben 15. November, da ſie die Decla- ration an die europäiſchen Höfe erließen, zu einer vertraulichen Sitzung und erklärten in einem geheimen Protokolle, daß ihr in Chaumont abge- ſchloſſener, in Paris auf unbeſtimmte Zeit erneuerter Bund unverändert fortbeſtehe; nur um Frankreich und die übrigen Staaten nicht zu er- ſchrecken, ſollte der Fortbeſtand der Quadrupel-Allianz geheim gehalten werden. Die vier Mächte blieben mithin verpflichtet, einander mit je 60,000 Mann mindeſtens ſofort zu unterſtützen falls in Frankreich eine Revolution ausbräche oder die Bonapartes zurückkehrten oder ſonſt eine Kriegsgefahr ſich zeigte. Sie behielten ſich vor, nöthigenfalls in beſon- deren Zuſammenkünften (réunions spéciales) die Maßregeln zu verab- reden, welche „den verhängnißvollen Folgen eines neuen Umſturzes in Frankreich zuvorkommen können“. *) In derſelben Sitzung übergab der geheime militäriſche Ausſchuß der vier Mächte, der unter Wellingtons Vorſitz tagte, ſeinen Plan für die Aufſtellung der verbündeten Streitkräfte. Nach dieſem „militäriſchen Pro- tokoll“ ſollten, ſobald die vier Mächte ausgeſprochen hätten, daß der casus foederis et belli gegeben ſei, binnen zwei Monaten die engliſchen Truppen um Brüſſel, die Preußen um Köln, die Oeſterreicher um Stutt- *) Geheimes Protokoll der 33. Sitzung vom 15. Nov. 1818.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/485
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/485>, abgerufen am 22.11.2024.