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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
stadt, damit die von den Conferenzen ausgeschlossenen Höfe doch auch
einen Vertreter fänden.

Dergestalt ward durch den Kaiser Franz verhindert, daß dieselben
Höfe, welche auf dem Wiener Congresse das von Preußen vorgeschlagene
ordentliche Bundesgericht verworfen hatten, vier Jahre darauf ein außer-
ordentliches Bundestribunal zur Abstrafung der Demagogen einsetzten.
Was man statt dessen beschloß war freilich fast noch ärger. Ein Tribual
bot durch die Formen des gerichtlichen Verfahrens doch immerhin einige
Sicherheit gegen die Willkür; die neue Central-Untersuchungscommission
hingegen, die nur durch Anzeigen, Befehle und Verhaftungen in die
regelmäßige Rechtspflege eingreifen durfte, erschien von Haus aus als ein
Werkzeug der Tyrannei, sie erhielt im Volke sogleich den Namen der
schwarzen Commission, wurde durch die widersprechenden Urtheile der
Landesgerichte Tag für Tag Lügen gestraft und verfiel, wie Hardenberg
vorhergesehen, dem allgemeinen Abscheu. --

Die vier Gesetze waren allesammt genehmigt, und was zur Aus-
legung des Art. 13 noch fehlte, konnte auf den Wiener Conferenzen, zu
denen man sich im November wieder zusammenfinden wollte, leicht nach-
geholt werden, da alle Theile über "die Aufrechterhaltung des monarchi-
schen Prinzips" einig waren. Selbst eine Erweiterung der Rechte der
Mehrheit am Bundestage, wie sie die beiden Großmächte in Teplitz geplant
hatten, ließ sich in Wien vielleicht noch erreichen. Der Erfolg übertraf alle
Erwartungen Metternichs;*) niemals, so ließ er sich vernehmen, hat eine
musterhaftere Eintracht und Unterwürfigkeit geherrscht als auf unseren
Conferenzen. Als man am 1. Sept. noch einmal zum Abschied zusammen
trat, war Alles glückselig, und einer der Minister fühlte sich so hoch begeistert,
daß er den Genossen vorschlug, den Ambrosianischen Lobgesang anzu-
stimmen. Natürlich ward am Schlusse "dieser auf immer denkwürdigen
Vereinigung" dem Meister der Staatskunst, der Alles so wohl geleitet,
"der vereinte Ausdruck unbegrenzter Verehrung und Dankbarkeit" dar-
gebracht und auch dem großen Talente des Hofraths v. Gentz das ver-
diente Lob gezollt. Wunderbar in der That, was in wenigen Tagen
gelungen war. Dieser schwerfällige Bund, der zu jeder Entwickelung
unfähig schien, riß plötzlich mit revolutionärem Ungestüm politische Rechte
an sich, welche dem alten Reiche nie zugestanden hatten; er maßte sich
die Herrschaft an selbst über solche Zweige des inneren Staatslebens,
welche die kraftvolle Centralgewalt des heutigen Deutschen Reichs den
Territorien unverkümmert überläßt; er schritt über die Schranken seines
Grundgesetzes so rücksichtslos hinaus, daß scharfsinnige Staatsrechtslehrer
wie Albrecht behaupten konnten, seit den Karlsbader Beschlüssen habe der
deutsche Bund den Charakter eines völkerrechtlichen Staatenbundes auf-

*) Bernstorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſtadt, damit die von den Conferenzen ausgeſchloſſenen Höfe doch auch
einen Vertreter fänden.

Dergeſtalt ward durch den Kaiſer Franz verhindert, daß dieſelben
Höfe, welche auf dem Wiener Congreſſe das von Preußen vorgeſchlagene
ordentliche Bundesgericht verworfen hatten, vier Jahre darauf ein außer-
ordentliches Bundestribunal zur Abſtrafung der Demagogen einſetzten.
Was man ſtatt deſſen beſchloß war freilich faſt noch ärger. Ein Tribual
bot durch die Formen des gerichtlichen Verfahrens doch immerhin einige
Sicherheit gegen die Willkür; die neue Central-Unterſuchungscommiſſion
hingegen, die nur durch Anzeigen, Befehle und Verhaftungen in die
regelmäßige Rechtspflege eingreifen durfte, erſchien von Haus aus als ein
Werkzeug der Tyrannei, ſie erhielt im Volke ſogleich den Namen der
ſchwarzen Commiſſion, wurde durch die widerſprechenden Urtheile der
Landesgerichte Tag für Tag Lügen geſtraft und verfiel, wie Hardenberg
vorhergeſehen, dem allgemeinen Abſcheu. —

Die vier Geſetze waren alleſammt genehmigt, und was zur Aus-
legung des Art. 13 noch fehlte, konnte auf den Wiener Conferenzen, zu
denen man ſich im November wieder zuſammenfinden wollte, leicht nach-
geholt werden, da alle Theile über „die Aufrechterhaltung des monarchi-
ſchen Prinzips“ einig waren. Selbſt eine Erweiterung der Rechte der
Mehrheit am Bundestage, wie ſie die beiden Großmächte in Teplitz geplant
hatten, ließ ſich in Wien vielleicht noch erreichen. Der Erfolg übertraf alle
Erwartungen Metternichs;*) niemals, ſo ließ er ſich vernehmen, hat eine
muſterhaftere Eintracht und Unterwürfigkeit geherrſcht als auf unſeren
Conferenzen. Als man am 1. Sept. noch einmal zum Abſchied zuſammen
trat, war Alles glückſelig, und einer der Miniſter fühlte ſich ſo hoch begeiſtert,
daß er den Genoſſen vorſchlug, den Ambroſianiſchen Lobgeſang anzu-
ſtimmen. Natürlich ward am Schluſſe „dieſer auf immer denkwürdigen
Vereinigung“ dem Meiſter der Staatskunſt, der Alles ſo wohl geleitet,
„der vereinte Ausdruck unbegrenzter Verehrung und Dankbarkeit“ dar-
gebracht und auch dem großen Talente des Hofraths v. Gentz das ver-
diente Lob gezollt. Wunderbar in der That, was in wenigen Tagen
gelungen war. Dieſer ſchwerfällige Bund, der zu jeder Entwickelung
unfähig ſchien, riß plötzlich mit revolutionärem Ungeſtüm politiſche Rechte
an ſich, welche dem alten Reiche nie zugeſtanden hatten; er maßte ſich
die Herrſchaft an ſelbſt über ſolche Zweige des inneren Staatslebens,
welche die kraftvolle Centralgewalt des heutigen Deutſchen Reichs den
Territorien unverkümmert überläßt; er ſchritt über die Schranken ſeines
Grundgeſetzes ſo rückſichtslos hinaus, daß ſcharfſinnige Staatsrechtslehrer
wie Albrecht behaupten konnten, ſeit den Karlsbader Beſchlüſſen habe der
deutſche Bund den Charakter eines völkerrechtlichen Staatenbundes auf-

*) Bernſtorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.
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[566/0580] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. ſtadt, damit die von den Conferenzen ausgeſchloſſenen Höfe doch auch einen Vertreter fänden. Dergeſtalt ward durch den Kaiſer Franz verhindert, daß dieſelben Höfe, welche auf dem Wiener Congreſſe das von Preußen vorgeſchlagene ordentliche Bundesgericht verworfen hatten, vier Jahre darauf ein außer- ordentliches Bundestribunal zur Abſtrafung der Demagogen einſetzten. Was man ſtatt deſſen beſchloß war freilich faſt noch ärger. Ein Tribual bot durch die Formen des gerichtlichen Verfahrens doch immerhin einige Sicherheit gegen die Willkür; die neue Central-Unterſuchungscommiſſion hingegen, die nur durch Anzeigen, Befehle und Verhaftungen in die regelmäßige Rechtspflege eingreifen durfte, erſchien von Haus aus als ein Werkzeug der Tyrannei, ſie erhielt im Volke ſogleich den Namen der ſchwarzen Commiſſion, wurde durch die widerſprechenden Urtheile der Landesgerichte Tag für Tag Lügen geſtraft und verfiel, wie Hardenberg vorhergeſehen, dem allgemeinen Abſcheu. — Die vier Geſetze waren alleſammt genehmigt, und was zur Aus- legung des Art. 13 noch fehlte, konnte auf den Wiener Conferenzen, zu denen man ſich im November wieder zuſammenfinden wollte, leicht nach- geholt werden, da alle Theile über „die Aufrechterhaltung des monarchi- ſchen Prinzips“ einig waren. Selbſt eine Erweiterung der Rechte der Mehrheit am Bundestage, wie ſie die beiden Großmächte in Teplitz geplant hatten, ließ ſich in Wien vielleicht noch erreichen. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen Metternichs; *) niemals, ſo ließ er ſich vernehmen, hat eine muſterhaftere Eintracht und Unterwürfigkeit geherrſcht als auf unſeren Conferenzen. Als man am 1. Sept. noch einmal zum Abſchied zuſammen trat, war Alles glückſelig, und einer der Miniſter fühlte ſich ſo hoch begeiſtert, daß er den Genoſſen vorſchlug, den Ambroſianiſchen Lobgeſang anzu- ſtimmen. Natürlich ward am Schluſſe „dieſer auf immer denkwürdigen Vereinigung“ dem Meiſter der Staatskunſt, der Alles ſo wohl geleitet, „der vereinte Ausdruck unbegrenzter Verehrung und Dankbarkeit“ dar- gebracht und auch dem großen Talente des Hofraths v. Gentz das ver- diente Lob gezollt. Wunderbar in der That, was in wenigen Tagen gelungen war. Dieſer ſchwerfällige Bund, der zu jeder Entwickelung unfähig ſchien, riß plötzlich mit revolutionärem Ungeſtüm politiſche Rechte an ſich, welche dem alten Reiche nie zugeſtanden hatten; er maßte ſich die Herrſchaft an ſelbſt über ſolche Zweige des inneren Staatslebens, welche die kraftvolle Centralgewalt des heutigen Deutſchen Reichs den Territorien unverkümmert überläßt; er ſchritt über die Schranken ſeines Grundgeſetzes ſo rückſichtslos hinaus, daß ſcharfſinnige Staatsrechtslehrer wie Albrecht behaupten konnten, ſeit den Karlsbader Beſchlüſſen habe der deutſche Bund den Charakter eines völkerrechtlichen Staatenbundes auf- *) Bernſtorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/580>, abgerufen am 22.11.2024.