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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Berwicklung im Orient.
chischen Gemeinde auf Geheiß des Sultans hingerichtet. Das war die
Antwort der Pforte auf die Empörung der Giaurs. Noch einmal er-
hob er sich in der ungebrochenen Barbarei seiner Glaubenswuth, der alte
streitbare Islam. In Galata freilich sangen die römischen Katholiken ein
Tedeum als der Kirchenfürst der Schismatiker gefallen war, ganz wie
einst die Genuesen von den Mauern derselben Stadt der Eroberung Kon-
stantinopels lachend zugeschaut hatten. Das Abendland aber empfand die
Unthat wie eine der ganzen Christenheit angethane Schmach. Und wie
durfte der russische Hof, der sich seit dem Frieden von Kutschuk-Kainardsche
die Schirmherrschaft über die orientalische Kirche zuschrieb, diese Gräuel
schweigend ansehen? Die Leiche des Patriarchen wurde von den Wellen
des Meeres einem russischen Schiffe entgegengetrieben und dann in Odessa
feierlich beigesetzt; das gläubige Russenvolk verehrte in diesem Wunder zer-
knirscht den Wink der Gottheit und nahm die griechischen Flüchtlinge, die
bei ihm Schutz suchten, gastlich auf. Auch die Armee ließ den Czaren über
ihre Gesinnung nicht im Zweifel. Als die Aufständischen am Pruth,
dicht an der Grenze, ein Gefecht gegen die Türken wagten, da waren
die russischen Truppen auf dem anderen Ufer kaum zurückzuhalten und
begrüßten ihre Glaubensgenossen mit donnerndem Hurrah. Sogleich nach
den blutigen Ostertagen versuchte der russische Gesandte in Konstantinopel
die Vertreter der Großmächte zu einem gemeinsamen Protest zu bewegen.
Sein Vorschlag scheiterte an dem Widerspruche Lord Strangford's; und
nunmehr entspann sich eine sehr gereizte Verhandlung zwischen der Pforte
und dem Petersburger Hofe allein. Die Kriegsgefahr rückte näher; wie
lange noch konnte Alexander's legitimistische Gesinnung den Todhaß des
russischen Volkes wider den ungläubigen Bussurman bändigen? Um so
kräftiger bethätigte Metternich sein Wohlwollen für Oesterreichs treuesten
Alliirten. Der Aufstand in Rumänien wurde von den Türken niederge-
schlagen, und als Ypsilanti darauf nach Ungarn floh, ließ ihn Kaiser Franz
auf die Festung Munkacz abführen und jahrelang im Kerker schmachten.

Die Welt sollte lernen, dies glückliche Oesterreich als das große Zucht-
haus für alle Demagogen Europas zu fürchten. Doch der Haß war
stärker als die Furcht. Die Höfe hatten sich den Machtgeboten der Ost-
mächte gern oder ungern unterworfen; in der öffentlichen Meinung wuchs
der radikale Zorn, seit der Vorkämpfer der christlichen Legitimität die ge-
schworenen Feinde des Christenthums so hartnäckig begünstigte. In Italien
hatten die Hoffnungen der Liberalen eine klägliche Enttäuschung erfahren,
beim Anblick des barbarischen Heldenmuths der Hellenen richteten sie sich
wieder fröhlich auf. Der französische Radikalismus erhielt jetzt erst eine
festere Organisation, seit der junge Dugied aus Neapel heimgekehrt war
und die Geheimbünde seiner Landsleute nach dem Vorbilde der italieni-
schen Carboneria umgestaltete. An die Spitze der hohen Venta der fran-
zösischen Carbonari trat als Ehrenpräsident der unverwüstliche alte Lafayette,

Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 13

Berwicklung im Orient.
chiſchen Gemeinde auf Geheiß des Sultans hingerichtet. Das war die
Antwort der Pforte auf die Empörung der Giaurs. Noch einmal er-
hob er ſich in der ungebrochenen Barbarei ſeiner Glaubenswuth, der alte
ſtreitbare Islam. In Galata freilich ſangen die römiſchen Katholiken ein
Tedeum als der Kirchenfürſt der Schismatiker gefallen war, ganz wie
einſt die Genueſen von den Mauern derſelben Stadt der Eroberung Kon-
ſtantinopels lachend zugeſchaut hatten. Das Abendland aber empfand die
Unthat wie eine der ganzen Chriſtenheit angethane Schmach. Und wie
durfte der ruſſiſche Hof, der ſich ſeit dem Frieden von Kutſchuk-Kainardſche
die Schirmherrſchaft über die orientaliſche Kirche zuſchrieb, dieſe Gräuel
ſchweigend anſehen? Die Leiche des Patriarchen wurde von den Wellen
des Meeres einem ruſſiſchen Schiffe entgegengetrieben und dann in Odeſſa
feierlich beigeſetzt; das gläubige Ruſſenvolk verehrte in dieſem Wunder zer-
knirſcht den Wink der Gottheit und nahm die griechiſchen Flüchtlinge, die
bei ihm Schutz ſuchten, gaſtlich auf. Auch die Armee ließ den Czaren über
ihre Geſinnung nicht im Zweifel. Als die Aufſtändiſchen am Pruth,
dicht an der Grenze, ein Gefecht gegen die Türken wagten, da waren
die ruſſiſchen Truppen auf dem anderen Ufer kaum zurückzuhalten und
begrüßten ihre Glaubensgenoſſen mit donnerndem Hurrah. Sogleich nach
den blutigen Oſtertagen verſuchte der ruſſiſche Geſandte in Konſtantinopel
die Vertreter der Großmächte zu einem gemeinſamen Proteſt zu bewegen.
Sein Vorſchlag ſcheiterte an dem Widerſpruche Lord Strangford’s; und
nunmehr entſpann ſich eine ſehr gereizte Verhandlung zwiſchen der Pforte
und dem Petersburger Hofe allein. Die Kriegsgefahr rückte näher; wie
lange noch konnte Alexander’s legitimiſtiſche Geſinnung den Todhaß des
ruſſiſchen Volkes wider den ungläubigen Buſſurman bändigen? Um ſo
kräftiger bethätigte Metternich ſein Wohlwollen für Oeſterreichs treueſten
Alliirten. Der Aufſtand in Rumänien wurde von den Türken niederge-
ſchlagen, und als Ypſilanti darauf nach Ungarn floh, ließ ihn Kaiſer Franz
auf die Feſtung Munkacz abführen und jahrelang im Kerker ſchmachten.

Die Welt ſollte lernen, dies glückliche Oeſterreich als das große Zucht-
haus für alle Demagogen Europas zu fürchten. Doch der Haß war
ſtärker als die Furcht. Die Höfe hatten ſich den Machtgeboten der Oſt-
mächte gern oder ungern unterworfen; in der öffentlichen Meinung wuchs
der radikale Zorn, ſeit der Vorkämpfer der chriſtlichen Legitimität die ge-
ſchworenen Feinde des Chriſtenthums ſo hartnäckig begünſtigte. In Italien
hatten die Hoffnungen der Liberalen eine klägliche Enttäuſchung erfahren,
beim Anblick des barbariſchen Heldenmuths der Hellenen richteten ſie ſich
wieder fröhlich auf. Der franzöſiſche Radikalismus erhielt jetzt erſt eine
feſtere Organiſation, ſeit der junge Dugied aus Neapel heimgekehrt war
und die Geheimbünde ſeiner Landsleute nach dem Vorbilde der italieni-
ſchen Carboneria umgeſtaltete. An die Spitze der hohen Venta der fran-
zöſiſchen Carbonari trat als Ehrenpräſident der unverwüſtliche alte Lafayette,

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 13
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[193/0209] Berwicklung im Orient. chiſchen Gemeinde auf Geheiß des Sultans hingerichtet. Das war die Antwort der Pforte auf die Empörung der Giaurs. Noch einmal er- hob er ſich in der ungebrochenen Barbarei ſeiner Glaubenswuth, der alte ſtreitbare Islam. In Galata freilich ſangen die römiſchen Katholiken ein Tedeum als der Kirchenfürſt der Schismatiker gefallen war, ganz wie einſt die Genueſen von den Mauern derſelben Stadt der Eroberung Kon- ſtantinopels lachend zugeſchaut hatten. Das Abendland aber empfand die Unthat wie eine der ganzen Chriſtenheit angethane Schmach. Und wie durfte der ruſſiſche Hof, der ſich ſeit dem Frieden von Kutſchuk-Kainardſche die Schirmherrſchaft über die orientaliſche Kirche zuſchrieb, dieſe Gräuel ſchweigend anſehen? Die Leiche des Patriarchen wurde von den Wellen des Meeres einem ruſſiſchen Schiffe entgegengetrieben und dann in Odeſſa feierlich beigeſetzt; das gläubige Ruſſenvolk verehrte in dieſem Wunder zer- knirſcht den Wink der Gottheit und nahm die griechiſchen Flüchtlinge, die bei ihm Schutz ſuchten, gaſtlich auf. Auch die Armee ließ den Czaren über ihre Geſinnung nicht im Zweifel. Als die Aufſtändiſchen am Pruth, dicht an der Grenze, ein Gefecht gegen die Türken wagten, da waren die ruſſiſchen Truppen auf dem anderen Ufer kaum zurückzuhalten und begrüßten ihre Glaubensgenoſſen mit donnerndem Hurrah. Sogleich nach den blutigen Oſtertagen verſuchte der ruſſiſche Geſandte in Konſtantinopel die Vertreter der Großmächte zu einem gemeinſamen Proteſt zu bewegen. Sein Vorſchlag ſcheiterte an dem Widerſpruche Lord Strangford’s; und nunmehr entſpann ſich eine ſehr gereizte Verhandlung zwiſchen der Pforte und dem Petersburger Hofe allein. Die Kriegsgefahr rückte näher; wie lange noch konnte Alexander’s legitimiſtiſche Geſinnung den Todhaß des ruſſiſchen Volkes wider den ungläubigen Buſſurman bändigen? Um ſo kräftiger bethätigte Metternich ſein Wohlwollen für Oeſterreichs treueſten Alliirten. Der Aufſtand in Rumänien wurde von den Türken niederge- ſchlagen, und als Ypſilanti darauf nach Ungarn floh, ließ ihn Kaiſer Franz auf die Feſtung Munkacz abführen und jahrelang im Kerker ſchmachten. Die Welt ſollte lernen, dies glückliche Oeſterreich als das große Zucht- haus für alle Demagogen Europas zu fürchten. Doch der Haß war ſtärker als die Furcht. Die Höfe hatten ſich den Machtgeboten der Oſt- mächte gern oder ungern unterworfen; in der öffentlichen Meinung wuchs der radikale Zorn, ſeit der Vorkämpfer der chriſtlichen Legitimität die ge- ſchworenen Feinde des Chriſtenthums ſo hartnäckig begünſtigte. In Italien hatten die Hoffnungen der Liberalen eine klägliche Enttäuſchung erfahren, beim Anblick des barbariſchen Heldenmuths der Hellenen richteten ſie ſich wieder fröhlich auf. Der franzöſiſche Radikalismus erhielt jetzt erſt eine feſtere Organiſation, ſeit der junge Dugied aus Neapel heimgekehrt war und die Geheimbünde ſeiner Landsleute nach dem Vorbilde der italieni- ſchen Carboneria umgeſtaltete. An die Spitze der hohen Venta der fran- zöſiſchen Carbonari trat als Ehrenpräſident der unverwüſtliche alte Lafayette, Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 13

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/209>, abgerufen am 21.11.2024.