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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
unmöglich machte den Staatshaushalt vollständig zu übersehen. Er trug
vor der Welt die Verantwortung für das gesammte Finanzwesen; und gleich-
wohl verfügte Ladenberg mit seiner Generalcontrole selbständig über alle
Ausgaben und einen Theil der Einnahmen des Staates. Und dazu noch
die unabhängige Staatsschuldenverwaltung, bei deren Einsetzung Klewiz
nicht einmal befragt wurde. Da der Streit der Departements einen
vollständigen Etat gar nicht mehr zu Stande kommen ließ, so mußte der
Minister schon 1824 die für jedes dritte Jahr versprochene Bekannt-
machung des Budgets unterlassen. Müde der ewigen Reibungen und
doch zu schüchtern um für sich selber die gebührende Macht zu fordern,
erklärte er im December 1824 dem Könige, unter den bestehenden Ressort-
verhältnissen vermöge er das Gleichgewicht der Finanzen nicht herzustellen,
und erbat sich nachher die Oberpräsidentenstelle in seiner sächsischen Heimath.

Der König ließ darauf (12. December) den vier Präsidenten Schön,
Vincke, Motz und Schönberg den Entwurf des neuen Etats zusenden mit
der Anfrage: welche Bedenken sie dawider hätten, und welche besonderen
Befugnisse sie für den künftigen Finanzminister noch verlangten, damit
er das Gleichgewicht wieder herstellen könne. Jeder der Vier sollte ant-
worten, als ob er selber zur Uebernahme des Finanzministeriums bestimmt
sei; Keiner durfte von der Befragung der Anderen etwas erfahren. In ihren
Erwiderungen empfahlen Vincke und Schönberg lediglich eine abermalige
Verminderung der Ausgaben, ohne die Mittel und Wege anzugeben.
Tiefer ging Schön auf die Frage ein. Er wollte die Verwaltung der
Staatsschuld und des Staatsschatzes mit dem Finanzministerium vereinigen
und verlangte nach seiner Gewohnheit zugleich, daß dem Ministerium "das
Vertrauen des Volks" zur Seite stehen müsse. Auch benutzte er die Ge-
legenheit um die neue Instruction für die Oberpräsidenten zu tadeln und
in einer besonderen Denkschrift seinen alten Lieblingsgedanken, die vom
Könige soeben erst endgiltig verworfene Wiederherstellung der Provinzial-
minister, zu befürworten.*) Nur Motz traf in seiner Antwort mit sicherer
Hand den eigentlichen Sitz des Uebels, den Dualismus der Finanzver-
waltung. Er forderte für den Minister kurz und gut Sitz und Stimme
in der Generalcontrole, so daß auch die Ausgabe-Etats nicht ohne seine
Genehmigung zu Stande kommen könnten; sodann ganz freie Hand bei
der Auswahl seiner Räthe, endlich Centralisation des Kassenwesens. In
zwei weiteren Denkschriften, die er gleich darauf dem Grafen Lottum über-
gab, verlangte er ferner die Aufstellung völlig zuverlässiger Etats und
erklärte sich entschieden gegen die Wiedereinführung der Provinzialmini-
sterien. Denn neben solchen Unterministern sei ein mächtiger Finanz-
minister unmöglich; dieser müsse unmittelbar an der Verwaltung theil-
nehmen um "unverbesserliche Mißgriffe, Einseitigkeit und Indolenz" zu ver-

*) S. o. III. 420.

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
unmöglich machte den Staatshaushalt vollſtändig zu überſehen. Er trug
vor der Welt die Verantwortung für das geſammte Finanzweſen; und gleich-
wohl verfügte Ladenberg mit ſeiner Generalcontrole ſelbſtändig über alle
Ausgaben und einen Theil der Einnahmen des Staates. Und dazu noch
die unabhängige Staatsſchuldenverwaltung, bei deren Einſetzung Klewiz
nicht einmal befragt wurde. Da der Streit der Departements einen
vollſtändigen Etat gar nicht mehr zu Stande kommen ließ, ſo mußte der
Miniſter ſchon 1824 die für jedes dritte Jahr verſprochene Bekannt-
machung des Budgets unterlaſſen. Müde der ewigen Reibungen und
doch zu ſchüchtern um für ſich ſelber die gebührende Macht zu fordern,
erklärte er im December 1824 dem Könige, unter den beſtehenden Reſſort-
verhältniſſen vermöge er das Gleichgewicht der Finanzen nicht herzuſtellen,
und erbat ſich nachher die Oberpräſidentenſtelle in ſeiner ſächſiſchen Heimath.

Der König ließ darauf (12. December) den vier Präſidenten Schön,
Vincke, Motz und Schönberg den Entwurf des neuen Etats zuſenden mit
der Anfrage: welche Bedenken ſie dawider hätten, und welche beſonderen
Befugniſſe ſie für den künftigen Finanzminiſter noch verlangten, damit
er das Gleichgewicht wieder herſtellen könne. Jeder der Vier ſollte ant-
worten, als ob er ſelber zur Uebernahme des Finanzminiſteriums beſtimmt
ſei; Keiner durfte von der Befragung der Anderen etwas erfahren. In ihren
Erwiderungen empfahlen Vincke und Schönberg lediglich eine abermalige
Verminderung der Ausgaben, ohne die Mittel und Wege anzugeben.
Tiefer ging Schön auf die Frage ein. Er wollte die Verwaltung der
Staatsſchuld und des Staatsſchatzes mit dem Finanzminiſterium vereinigen
und verlangte nach ſeiner Gewohnheit zugleich, daß dem Miniſterium „das
Vertrauen des Volks“ zur Seite ſtehen müſſe. Auch benutzte er die Ge-
legenheit um die neue Inſtruction für die Oberpräſidenten zu tadeln und
in einer beſonderen Denkſchrift ſeinen alten Lieblingsgedanken, die vom
Könige ſoeben erſt endgiltig verworfene Wiederherſtellung der Provinzial-
miniſter, zu befürworten.*) Nur Motz traf in ſeiner Antwort mit ſicherer
Hand den eigentlichen Sitz des Uebels, den Dualismus der Finanzver-
waltung. Er forderte für den Miniſter kurz und gut Sitz und Stimme
in der Generalcontrole, ſo daß auch die Ausgabe-Etats nicht ohne ſeine
Genehmigung zu Stande kommen könnten; ſodann ganz freie Hand bei
der Auswahl ſeiner Räthe, endlich Centraliſation des Kaſſenweſens. In
zwei weiteren Denkſchriften, die er gleich darauf dem Grafen Lottum über-
gab, verlangte er ferner die Aufſtellung völlig zuverläſſiger Etats und
erklärte ſich entſchieden gegen die Wiedereinführung der Provinzialmini-
ſterien. Denn neben ſolchen Unterminiſtern ſei ein mächtiger Finanz-
miniſter unmöglich; dieſer müſſe unmittelbar an der Verwaltung theil-
nehmen um „unverbeſſerliche Mißgriffe, Einſeitigkeit und Indolenz“ zu ver-

*) S. o. III. 420.
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[454/0470] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. unmöglich machte den Staatshaushalt vollſtändig zu überſehen. Er trug vor der Welt die Verantwortung für das geſammte Finanzweſen; und gleich- wohl verfügte Ladenberg mit ſeiner Generalcontrole ſelbſtändig über alle Ausgaben und einen Theil der Einnahmen des Staates. Und dazu noch die unabhängige Staatsſchuldenverwaltung, bei deren Einſetzung Klewiz nicht einmal befragt wurde. Da der Streit der Departements einen vollſtändigen Etat gar nicht mehr zu Stande kommen ließ, ſo mußte der Miniſter ſchon 1824 die für jedes dritte Jahr verſprochene Bekannt- machung des Budgets unterlaſſen. Müde der ewigen Reibungen und doch zu ſchüchtern um für ſich ſelber die gebührende Macht zu fordern, erklärte er im December 1824 dem Könige, unter den beſtehenden Reſſort- verhältniſſen vermöge er das Gleichgewicht der Finanzen nicht herzuſtellen, und erbat ſich nachher die Oberpräſidentenſtelle in ſeiner ſächſiſchen Heimath. Der König ließ darauf (12. December) den vier Präſidenten Schön, Vincke, Motz und Schönberg den Entwurf des neuen Etats zuſenden mit der Anfrage: welche Bedenken ſie dawider hätten, und welche beſonderen Befugniſſe ſie für den künftigen Finanzminiſter noch verlangten, damit er das Gleichgewicht wieder herſtellen könne. Jeder der Vier ſollte ant- worten, als ob er ſelber zur Uebernahme des Finanzminiſteriums beſtimmt ſei; Keiner durfte von der Befragung der Anderen etwas erfahren. In ihren Erwiderungen empfahlen Vincke und Schönberg lediglich eine abermalige Verminderung der Ausgaben, ohne die Mittel und Wege anzugeben. Tiefer ging Schön auf die Frage ein. Er wollte die Verwaltung der Staatsſchuld und des Staatsſchatzes mit dem Finanzminiſterium vereinigen und verlangte nach ſeiner Gewohnheit zugleich, daß dem Miniſterium „das Vertrauen des Volks“ zur Seite ſtehen müſſe. Auch benutzte er die Ge- legenheit um die neue Inſtruction für die Oberpräſidenten zu tadeln und in einer beſonderen Denkſchrift ſeinen alten Lieblingsgedanken, die vom Könige ſoeben erſt endgiltig verworfene Wiederherſtellung der Provinzial- miniſter, zu befürworten. *) Nur Motz traf in ſeiner Antwort mit ſicherer Hand den eigentlichen Sitz des Uebels, den Dualismus der Finanzver- waltung. Er forderte für den Miniſter kurz und gut Sitz und Stimme in der Generalcontrole, ſo daß auch die Ausgabe-Etats nicht ohne ſeine Genehmigung zu Stande kommen könnten; ſodann ganz freie Hand bei der Auswahl ſeiner Räthe, endlich Centraliſation des Kaſſenweſens. In zwei weiteren Denkſchriften, die er gleich darauf dem Grafen Lottum über- gab, verlangte er ferner die Aufſtellung völlig zuverläſſiger Etats und erklärte ſich entſchieden gegen die Wiedereinführung der Provinzialmini- ſterien. Denn neben ſolchen Unterminiſtern ſei ein mächtiger Finanz- miniſter unmöglich; dieſer müſſe unmittelbar an der Verwaltung theil- nehmen um „unverbeſſerliche Mißgriffe, Einſeitigkeit und Indolenz“ zu ver- *) S. o. III. 420.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/470>, abgerufen am 22.11.2024.