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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Das Regiment der Reichenbach.
Schwures zu erweisen suchten. Als er nun einst (1822) mit einem ver-
trauten Diener auf einem öffentlichen Maskenball erschien, Beide etwa
gleich gewachsen und mit gleichen Dominos bekleidet, da bot eine unbekannte
Maske dem Diener ein Glas Grog an; der Mann nahm, trank und stürzte
vergiftet zu Boden. Der Kurfürst, der den Prinzen auf seine Weise zärt-
lich liebte, befahl sofort die strengste Untersuchung, und seine Polizei be-
saß die Mittel dazu: sie befahl einfach, daß Jeder, der auf jenem Balle
zugegen gewesen, sich binnen achtundvierzig Stunden melden sollte, widrigen-
falls werde er als des Mordes verdächtig in Untersuchungshaft genommen.*)
Trotzdem blieb der unheimliche Vorfall völlig dunkel. Das Volk ließ
sich den Glauben nicht nehmen, daß der Streich von dem Kreise der
Reichenbach ausgegangen sei. Und welche Aussichten für das Land, wenn
dieser unglückliche Prinz dereinst zur Regierung gelangte, der thöricht er-
zogen, mißtrauisch und menschenscheu, in der Jugend schon Roheiten jeg-
licher Art, Ehebruch und Meuchelmord dicht vor Augen gesehen hatte!
Nach der argwöhnischen Weise der Despoten hatte sich der Kurfürst schon
oft bedroht geglaubt und einmal als er einen Vergiftungsversuch ver-
muthete, seine Leibköche in feierlicher Untersuchung dreiundzwanzig Eide
schwören lassen; da erhielt er, seit 1823, eine Reihe räthselhafter Briefe,
die ihm den Tod androhten falls er von der Reichenbach nicht lasse. Als-
bald ward das ganze Land beunruhigt, eine Menge von Verhaftungen
vorgenommen; eine "kurfürstliche, zur Entdeckung der gegen S. K. Hoheit
ausgestoßenen Drohungen eingesetzte Commission" versprach dem Entdecker
des Frevels hohe Belohnungen. Zuletzt blieb der Verdacht auf dem allge-
mein verhaßten Ober-Polizeidirector Manger selbst haften. Man setzte
ihn auf den Spangenberg, er gestand aber nur zu, daß er bei den Nach-
forschungen seiner Pflicht nicht gerecht geworden sei, weil sich die letzten
Spuren in unnahbare Regionen verloren hätten. Manger wurde zu
fünfjähriger Festungsstrafe verurtheilt, die der Kurfürst in lebenslängliche
Haft verwandelte; doch auch diese Sache blieb unaufgeklärt.

Das treue Land fühlte sich wie verrathen und verkauft. Liberale
Ideen fanden in Hessen vorerst nur vereinzelte Anhänger; eine Schrift
des Anwalts Martin, die an die Berufung des Landtags erinnerte,
verhallte ungehört. Aber das Gewissen des Volks forderte sein Recht.
Ueberall wo die geliebte Kurfürstin sich zeigte wurde sie geehrt mit Hul-
digungen, die ihre Spitze gegen die Reichenbach richteten; die Marburger
widmeten "der naturliebenden Fürstin" einen Obelisken auf der Augusten-
ruh hoch über der Lahn. Zuweilen brach der verhaltene Grimm durch.
Als sich nach dem Tode von Manger's Bruder herausstellte, der Ver-
storbene habe als Betrüger und Selbstmörder geendet, da wendete sich die
Kasseler Bürgerschaft an die Gerichte und erzwang, daß der geschändete

*) Bekanntmachung der kurfürstl. Ober-Polizeidirection, Kassel, 5. Febr. 1822.

Das Regiment der Reichenbach.
Schwures zu erweiſen ſuchten. Als er nun einſt (1822) mit einem ver-
trauten Diener auf einem öffentlichen Maskenball erſchien, Beide etwa
gleich gewachſen und mit gleichen Dominos bekleidet, da bot eine unbekannte
Maske dem Diener ein Glas Grog an; der Mann nahm, trank und ſtürzte
vergiftet zu Boden. Der Kurfürſt, der den Prinzen auf ſeine Weiſe zärt-
lich liebte, befahl ſofort die ſtrengſte Unterſuchung, und ſeine Polizei be-
ſaß die Mittel dazu: ſie befahl einfach, daß Jeder, der auf jenem Balle
zugegen geweſen, ſich binnen achtundvierzig Stunden melden ſollte, widrigen-
falls werde er als des Mordes verdächtig in Unterſuchungshaft genommen.*)
Trotzdem blieb der unheimliche Vorfall völlig dunkel. Das Volk ließ
ſich den Glauben nicht nehmen, daß der Streich von dem Kreiſe der
Reichenbach ausgegangen ſei. Und welche Ausſichten für das Land, wenn
dieſer unglückliche Prinz dereinſt zur Regierung gelangte, der thöricht er-
zogen, mißtrauiſch und menſchenſcheu, in der Jugend ſchon Roheiten jeg-
licher Art, Ehebruch und Meuchelmord dicht vor Augen geſehen hatte!
Nach der argwöhniſchen Weiſe der Despoten hatte ſich der Kurfürſt ſchon
oft bedroht geglaubt und einmal als er einen Vergiftungsverſuch ver-
muthete, ſeine Leibköche in feierlicher Unterſuchung dreiundzwanzig Eide
ſchwören laſſen; da erhielt er, ſeit 1823, eine Reihe räthſelhafter Briefe,
die ihm den Tod androhten falls er von der Reichenbach nicht laſſe. Als-
bald ward das ganze Land beunruhigt, eine Menge von Verhaftungen
vorgenommen; eine „kurfürſtliche, zur Entdeckung der gegen S. K. Hoheit
ausgeſtoßenen Drohungen eingeſetzte Commiſſion“ verſprach dem Entdecker
des Frevels hohe Belohnungen. Zuletzt blieb der Verdacht auf dem allge-
mein verhaßten Ober-Polizeidirector Manger ſelbſt haften. Man ſetzte
ihn auf den Spangenberg, er geſtand aber nur zu, daß er bei den Nach-
forſchungen ſeiner Pflicht nicht gerecht geworden ſei, weil ſich die letzten
Spuren in unnahbare Regionen verloren hätten. Manger wurde zu
fünfjähriger Feſtungsſtrafe verurtheilt, die der Kurfürſt in lebenslängliche
Haft verwandelte; doch auch dieſe Sache blieb unaufgeklärt.

Das treue Land fühlte ſich wie verrathen und verkauft. Liberale
Ideen fanden in Heſſen vorerſt nur vereinzelte Anhänger; eine Schrift
des Anwalts Martin, die an die Berufung des Landtags erinnerte,
verhallte ungehört. Aber das Gewiſſen des Volks forderte ſein Recht.
Ueberall wo die geliebte Kurfürſtin ſich zeigte wurde ſie geehrt mit Hul-
digungen, die ihre Spitze gegen die Reichenbach richteten; die Marburger
widmeten „der naturliebenden Fürſtin“ einen Obelisken auf der Auguſten-
ruh hoch über der Lahn. Zuweilen brach der verhaltene Grimm durch.
Als ſich nach dem Tode von Manger’s Bruder herausſtellte, der Ver-
ſtorbene habe als Betrüger und Selbſtmörder geendet, da wendete ſich die
Kaſſeler Bürgerſchaft an die Gerichte und erzwang, daß der geſchändete

*) Bekanntmachung der kurfürſtl. Ober-Polizeidirection, Kaſſel, 5. Febr. 1822.
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[533/0549] Das Regiment der Reichenbach. Schwures zu erweiſen ſuchten. Als er nun einſt (1822) mit einem ver- trauten Diener auf einem öffentlichen Maskenball erſchien, Beide etwa gleich gewachſen und mit gleichen Dominos bekleidet, da bot eine unbekannte Maske dem Diener ein Glas Grog an; der Mann nahm, trank und ſtürzte vergiftet zu Boden. Der Kurfürſt, der den Prinzen auf ſeine Weiſe zärt- lich liebte, befahl ſofort die ſtrengſte Unterſuchung, und ſeine Polizei be- ſaß die Mittel dazu: ſie befahl einfach, daß Jeder, der auf jenem Balle zugegen geweſen, ſich binnen achtundvierzig Stunden melden ſollte, widrigen- falls werde er als des Mordes verdächtig in Unterſuchungshaft genommen. *) Trotzdem blieb der unheimliche Vorfall völlig dunkel. Das Volk ließ ſich den Glauben nicht nehmen, daß der Streich von dem Kreiſe der Reichenbach ausgegangen ſei. Und welche Ausſichten für das Land, wenn dieſer unglückliche Prinz dereinſt zur Regierung gelangte, der thöricht er- zogen, mißtrauiſch und menſchenſcheu, in der Jugend ſchon Roheiten jeg- licher Art, Ehebruch und Meuchelmord dicht vor Augen geſehen hatte! Nach der argwöhniſchen Weiſe der Despoten hatte ſich der Kurfürſt ſchon oft bedroht geglaubt und einmal als er einen Vergiftungsverſuch ver- muthete, ſeine Leibköche in feierlicher Unterſuchung dreiundzwanzig Eide ſchwören laſſen; da erhielt er, ſeit 1823, eine Reihe räthſelhafter Briefe, die ihm den Tod androhten falls er von der Reichenbach nicht laſſe. Als- bald ward das ganze Land beunruhigt, eine Menge von Verhaftungen vorgenommen; eine „kurfürſtliche, zur Entdeckung der gegen S. K. Hoheit ausgeſtoßenen Drohungen eingeſetzte Commiſſion“ verſprach dem Entdecker des Frevels hohe Belohnungen. Zuletzt blieb der Verdacht auf dem allge- mein verhaßten Ober-Polizeidirector Manger ſelbſt haften. Man ſetzte ihn auf den Spangenberg, er geſtand aber nur zu, daß er bei den Nach- forſchungen ſeiner Pflicht nicht gerecht geworden ſei, weil ſich die letzten Spuren in unnahbare Regionen verloren hätten. Manger wurde zu fünfjähriger Feſtungsſtrafe verurtheilt, die der Kurfürſt in lebenslängliche Haft verwandelte; doch auch dieſe Sache blieb unaufgeklärt. Das treue Land fühlte ſich wie verrathen und verkauft. Liberale Ideen fanden in Heſſen vorerſt nur vereinzelte Anhänger; eine Schrift des Anwalts Martin, die an die Berufung des Landtags erinnerte, verhallte ungehört. Aber das Gewiſſen des Volks forderte ſein Recht. Ueberall wo die geliebte Kurfürſtin ſich zeigte wurde ſie geehrt mit Hul- digungen, die ihre Spitze gegen die Reichenbach richteten; die Marburger widmeten „der naturliebenden Fürſtin“ einen Obelisken auf der Auguſten- ruh hoch über der Lahn. Zuweilen brach der verhaltene Grimm durch. Als ſich nach dem Tode von Manger’s Bruder herausſtellte, der Ver- ſtorbene habe als Betrüger und Selbſtmörder geendet, da wendete ſich die Kaſſeler Bürgerſchaft an die Gerichte und erzwang, daß der geſchändete *) Bekanntmachung der kurfürſtl. Ober-Polizeidirection, Kaſſel, 5. Febr. 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/549>, abgerufen am 25.11.2024.