Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Stüve. nunmehr auch den beiden Trabantenvölkern der englischen Sonne, denIren und den Deutschen im Glanze der Majestät zeigen. Lärmend war die Freude der Iren, fast noch herzlicher der Empfang in Hannover. Ein fragwürdiger Anblick allerdings: diese unbehilfliche Gestalt mit dem gedunsenen Gesicht und der jugendlichen braunen Kakadu-Perrücke; der rothe Hals war von dem rothen Uniformkragen schwer zu unterscheiden, und der gerühmte königliche Anstand ließ sich auch nur dann bemerken, wenn der Landesvater nüchtern war. Einerlei, das Volk konnte sich an seinem lebendigen Könige nicht satt sehen; und als er nun gar, in sehr gehobener Stimmung, den Bürgern seiner deutschen Hauptstadt versicherte: "ich bin stets Hannoveraner gewesen, ich will für immer als Hannove- raner leben und sterben" -- da flammte die Begeisterung hoch auf. Wenige Wochen zuvor hatte er, ebenfalls in sehr gehobener Stimmung, den Iren betheuert, sein Herz sei stets irisch gewesen. Ueberall im Lande dieselbe Glückseligkeit, zahllose Reden und Gedichte, bald welfisch stolz, bald deutsch gemüthlich. Ein wackeres Bäuerlein hatte mit feinem Verständniß den einzigen Charakterzug Georg's, der deutschen Gemüthern zusagte, her- ausgefunden und über seiner Thür einen gefüllten Humpen abmalen lassen, darunter die Inschrift: "hei kümmt, hei kümmt; ob hei wohl enen nümmt?" Die Georgia Augusta feierte in prachtvoller Ode das Glück der vereinten gens Britanna und gens Guelphica, und Heeren schilderte nachher mit historischer Gründlichkeit in einer besonderen Schrift die Empfangsfeier der Musenstadt. Das politische Ergebniß dieses Triumphzuges aber wurde von einem patriotischen Dichter sinnig zusammengefaßt in den Versen: Heil mir, spricht Jeder hochbeglückt, Daß ich den König hab' erblickt! In den Landtag brachten um die Mitte der zwanziger Jahre zwei Stüve. nunmehr auch den beiden Trabantenvölkern der engliſchen Sonne, denIren und den Deutſchen im Glanze der Majeſtät zeigen. Lärmend war die Freude der Iren, faſt noch herzlicher der Empfang in Hannover. Ein fragwürdiger Anblick allerdings: dieſe unbehilfliche Geſtalt mit dem gedunſenen Geſicht und der jugendlichen braunen Kakadu-Perrücke; der rothe Hals war von dem rothen Uniformkragen ſchwer zu unterſcheiden, und der gerühmte königliche Anſtand ließ ſich auch nur dann bemerken, wenn der Landesvater nüchtern war. Einerlei, das Volk konnte ſich an ſeinem lebendigen Könige nicht ſatt ſehen; und als er nun gar, in ſehr gehobener Stimmung, den Bürgern ſeiner deutſchen Hauptſtadt verſicherte: „ich bin ſtets Hannoveraner geweſen, ich will für immer als Hannove- raner leben und ſterben“ — da flammte die Begeiſterung hoch auf. Wenige Wochen zuvor hatte er, ebenfalls in ſehr gehobener Stimmung, den Iren betheuert, ſein Herz ſei ſtets iriſch geweſen. Ueberall im Lande dieſelbe Glückſeligkeit, zahlloſe Reden und Gedichte, bald welfiſch ſtolz, bald deutſch gemüthlich. Ein wackeres Bäuerlein hatte mit feinem Verſtändniß den einzigen Charakterzug Georg’s, der deutſchen Gemüthern zuſagte, her- ausgefunden und über ſeiner Thür einen gefüllten Humpen abmalen laſſen, darunter die Inſchrift: „hei kümmt, hei kümmt; ob hei wohl enen nümmt?“ Die Georgia Auguſta feierte in prachtvoller Ode das Glück der vereinten gens Britanna und gens Guelphica, und Heeren ſchilderte nachher mit hiſtoriſcher Gründlichkeit in einer beſonderen Schrift die Empfangsfeier der Muſenſtadt. Das politiſche Ergebniß dieſes Triumphzuges aber wurde von einem patriotiſchen Dichter ſinnig zuſammengefaßt in den Verſen: Heil mir, ſpricht Jeder hochbeglückt, Daß ich den König hab’ erblickt! 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Stüve.
nunmehr auch den beiden Trabantenvölkern der engliſchen Sonne, den
Iren und den Deutſchen im Glanze der Majeſtät zeigen. Lärmend war
die Freude der Iren, faſt noch herzlicher der Empfang in Hannover.
Ein fragwürdiger Anblick allerdings: dieſe unbehilfliche Geſtalt mit dem
gedunſenen Geſicht und der jugendlichen braunen Kakadu-Perrücke; der
rothe Hals war von dem rothen Uniformkragen ſchwer zu unterſcheiden,
und der gerühmte königliche Anſtand ließ ſich auch nur dann bemerken,
wenn der Landesvater nüchtern war. Einerlei, das Volk konnte ſich an
ſeinem lebendigen Könige nicht ſatt ſehen; und als er nun gar, in ſehr
gehobener Stimmung, den Bürgern ſeiner deutſchen Hauptſtadt verſicherte:
„ich bin ſtets Hannoveraner geweſen, ich will für immer als Hannove-
raner leben und ſterben“ — da flammte die Begeiſterung hoch auf.
Wenige Wochen zuvor hatte er, ebenfalls in ſehr gehobener Stimmung,
den Iren betheuert, ſein Herz ſei ſtets iriſch geweſen. Ueberall im Lande
dieſelbe Glückſeligkeit, zahlloſe Reden und Gedichte, bald welfiſch ſtolz, bald
deutſch gemüthlich. Ein wackeres Bäuerlein hatte mit feinem Verſtändniß
den einzigen Charakterzug Georg’s, der deutſchen Gemüthern zuſagte, her-
ausgefunden und über ſeiner Thür einen gefüllten Humpen abmalen laſſen,
darunter die Inſchrift: „hei kümmt, hei kümmt; ob hei wohl enen nümmt?“
Die Georgia Auguſta feierte in prachtvoller Ode das Glück der vereinten
gens Britanna und gens Guelphica, und Heeren ſchilderte nachher mit
hiſtoriſcher Gründlichkeit in einer beſonderen Schrift die Empfangsfeier
der Muſenſtadt. Das politiſche Ergebniß dieſes Triumphzuges aber wurde
von einem patriotiſchen Dichter ſinnig zuſammengefaßt in den Verſen:
Heil mir, ſpricht Jeder hochbeglückt,
Daß ich den König hab’ erblickt!
In den Landtag brachten um die Mitte der zwanziger Jahre zwei
neu eingetretene Mitglieder wieder einiges Leben: Lüntzel aus Hildesheim,
der gelehrte Geſchichtsſchreiber ſeiner Vaterſtadt, ein wohlmeinender, etwas
redſeliger Liberaler, und der Osnabrücker Anwalt Carl Stüve, ein Mann,
in dem ſich die Eigenart des niederſächſiſchen Stammes faſt ſo vollſtändig
verkörperte wie das ſchwäbiſche Weſen in Ludwig Uhland. „Freigeſinnt
ſich ſelbſt beſchränkend, immerfort das Nächſte denkend“ — alſo rühmten
ihn ſeine Landsleute auf ſeinem Denkmal, und in der That hat im buch-
gelehrten Deutſchland ſelten ein Staatsmann ſo feſt gehaftet an der väter-
lichen Scholle, an den Gedanken und Gewohnheiten der nächſten Heimath.
Stüve’s Vater hatte als Syndicus von Osnabrück mit Juſtus Möſer
vertraulich verkehrt, und des Sohnes erſte literariſche Leiſtung war die
Herausgabe des nachgelaſſenen Bandes von Möſer’s Osnabrückiſcher Ge-
ſchichte. Hier war ſeine Welt, unter den ſeßhaften Hofſchulzen und den
derben Kleinbürgern Weſtphalens; der wohlhabende Junggeſell hat nie-
mals auch nur den Rhein beſucht, die Welt des Schönen blieb ihm ver-
ſchloſſen. Er hatte der Burſchenſchaft angehört und unter Vater Jahn’s
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