Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. Augen auf der Hasenheide eifrig geturnt, aber damals schon mit seinemfrühreifen Geschäftsverstande allen überschwänglichen Plänen der jungen Teutonen scharf widersprochen. Vollends jetzt inmitten der Arbeiten des praktischen Lebens erschien ihm die deutsche Einheit als ein herrlicher, aber unmöglicher Traum. Alles Unbegrenzte, so gestand er selbst, wider- stand seinem Wesen. Es war ihm schwer genug geworden aus einem Osnabrücker ein Hannoveraner zu werden; nimmer durfte dieser Welfen- staat in einem großen nationalen Reiche verschwinden. Am wenigsten in Preußen, denn über das preußische Beamtenthum dachte er ganz wie Rehberg; nur selten einmal gestand er halb widerwillig zu, in Preußen habe sich der nationale Gedanke am stärksten entwickelt, weil dort das alte Ständewesen so gründlich zerstört sei. An Rehberg erinnerte auch die ernste, nüchterne, streng sachliche Haltung seiner gedankenreichen Schriften; jedoch er gehörte einem jüngeren, muthigeren Geschlechte an, sein Ehrgeiz war, dem Bürger und Bauern die altgermanische Freiheit in neuen Formen zurückzugeben, so daß der Ackerbauer die Früchte des Ackers ungeschmälert genießen, der Bürger bei den Geschäften seiner Gemeinde selber Hand an- legen sollte. Die Liberalen der Rotteck'schen Schule wußten gar nichts anzufangen mit diesem Verächter der Doctrin, in dem sich Deutschthum und Particularismus, reformatorischer Muth und Anhänglichkeit an alt- überlieferte Sitte so seltsam vermischten. Und leicht war es nicht mit ihm auszukommen. Streng, schroff, mäßig bis zur Pedanterei, etwas schulmeisterlich und ganz ohne Humor, konnte der kleine schmächtige Mann Keinen gewinnen, wohl aber durch die Ueberlegenheit seines Verstandes, seiner umfassenden Sachkenntniß, seines sittlichen Ernstes die Widerstre- benden beherrschen. Sechsundzwanzigjährig trat Stüve in den Landtag ein als Nach- III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. Augen auf der Haſenheide eifrig geturnt, aber damals ſchon mit ſeinemfrühreifen Geſchäftsverſtande allen überſchwänglichen Plänen der jungen Teutonen ſcharf widerſprochen. Vollends jetzt inmitten der Arbeiten des praktiſchen Lebens erſchien ihm die deutſche Einheit als ein herrlicher, aber unmöglicher Traum. Alles Unbegrenzte, ſo geſtand er ſelbſt, wider- ſtand ſeinem Weſen. Es war ihm ſchwer genug geworden aus einem Osnabrücker ein Hannoveraner zu werden; nimmer durfte dieſer Welfen- ſtaat in einem großen nationalen Reiche verſchwinden. Am wenigſten in Preußen, denn über das preußiſche Beamtenthum dachte er ganz wie Rehberg; nur ſelten einmal geſtand er halb widerwillig zu, in Preußen habe ſich der nationale Gedanke am ſtärkſten entwickelt, weil dort das alte Ständeweſen ſo gründlich zerſtört ſei. An Rehberg erinnerte auch die ernſte, nüchterne, ſtreng ſachliche Haltung ſeiner gedankenreichen Schriften; jedoch er gehörte einem jüngeren, muthigeren Geſchlechte an, ſein Ehrgeiz war, dem Bürger und Bauern die altgermaniſche Freiheit in neuen Formen zurückzugeben, ſo daß der Ackerbauer die Früchte des Ackers ungeſchmälert genießen, der Bürger bei den Geſchäften ſeiner Gemeinde ſelber Hand an- legen ſollte. Die Liberalen der Rotteck’ſchen Schule wußten gar nichts anzufangen mit dieſem Verächter der Doctrin, in dem ſich Deutſchthum und Particularismus, reformatoriſcher Muth und Anhänglichkeit an alt- überlieferte Sitte ſo ſeltſam vermiſchten. Und leicht war es nicht mit ihm auszukommen. Streng, ſchroff, mäßig bis zur Pedanterei, etwas ſchulmeiſterlich und ganz ohne Humor, konnte der kleine ſchmächtige Mann Keinen gewinnen, wohl aber durch die Ueberlegenheit ſeines Verſtandes, ſeiner umfaſſenden Sachkenntniß, ſeines ſittlichen Ernſtes die Widerſtre- benden beherrſchen. 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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Augen auf der Haſenheide eifrig geturnt, aber damals ſchon mit ſeinem
frühreifen Geſchäftsverſtande allen überſchwänglichen Plänen der jungen
Teutonen ſcharf widerſprochen. Vollends jetzt inmitten der Arbeiten des
praktiſchen Lebens erſchien ihm die deutſche Einheit als ein herrlicher,
aber unmöglicher Traum. Alles Unbegrenzte, ſo geſtand er ſelbſt, wider-
ſtand ſeinem Weſen. Es war ihm ſchwer genug geworden aus einem
Osnabrücker ein Hannoveraner zu werden; nimmer durfte dieſer Welfen-
ſtaat in einem großen nationalen Reiche verſchwinden. Am wenigſten in
Preußen, denn über das preußiſche Beamtenthum dachte er ganz wie
Rehberg; nur ſelten einmal geſtand er halb widerwillig zu, in Preußen
habe ſich der nationale Gedanke am ſtärkſten entwickelt, weil dort das
alte Ständeweſen ſo gründlich zerſtört ſei. An Rehberg erinnerte auch
die ernſte, nüchterne, ſtreng ſachliche Haltung ſeiner gedankenreichen Schriften;
jedoch er gehörte einem jüngeren, muthigeren Geſchlechte an, ſein Ehrgeiz
war, dem Bürger und Bauern die altgermaniſche Freiheit in neuen Formen
zurückzugeben, ſo daß der Ackerbauer die Früchte des Ackers ungeſchmälert
genießen, der Bürger bei den Geſchäften ſeiner Gemeinde ſelber Hand an-
legen ſollte. Die Liberalen der Rotteck’ſchen Schule wußten gar nichts
anzufangen mit dieſem Verächter der Doctrin, in dem ſich Deutſchthum
und Particularismus, reformatoriſcher Muth und Anhänglichkeit an alt-
überlieferte Sitte ſo ſeltſam vermiſchten. Und leicht war es nicht mit
ihm auszukommen. Streng, ſchroff, mäßig bis zur Pedanterei, etwas
ſchulmeiſterlich und ganz ohne Humor, konnte der kleine ſchmächtige Mann
Keinen gewinnen, wohl aber durch die Ueberlegenheit ſeines Verſtandes,
ſeiner umfaſſenden Sachkenntniß, ſeines ſittlichen Ernſtes die Widerſtre-
benden beherrſchen.
Sechsundzwanzigjährig trat Stüve in den Landtag ein als Nach-
folger des Hofraths Buch, dem ſein Collegium auf Befehl der Regierung
ferneren Urlaub verweigert hatte, weil er den Privilegien des Adels ent-
gegengetreten war. Unverdroſſen verwendete er ſeine ganze gewaltige Ar-
beitskraft für die Verhandlungen dieſer Kammer, die doch nur Monologe
hielt, da die Miniſter nicht vor ihr erſcheinen durften. Die von den
Bauern längſt erſehnte Ausgleichung der Grundſteuer war ſoeben voll-
zogen, allerdings ſehr zum Vortheil der Privilegirten. Sofort ging Stüve
einen Schritt weiter und forderte was dieſem Staate am meiſten noth
that: Ablöſung der Dienſte, Zehnten und Meiergefälle. Immer wieder
kam er auf dies ſein ceterum censeo zurück: die zweite Kammer ſtimmte
zu, die erſte widerſprach. Da griff der Bauernfreund zur Feder und
unterſtützte ſeine Reden durch die treffliche Schrift „über die Laſten des
Grundeigenthums in Hannover“ (1829). Endlich im Frühjahr 1830 er-
klärte ſich die Adelskammer zu Verhandlungen bereit, aber wie viele Jahre
mochten noch hingehen bis der Abſicht das Vollbringen folgte! Das Land-
volk begann ſchon die Geduld zu verlieren. Auch Hannover hatte die
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