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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Hegel's Religionsphilosophie.

Das System gab sich für unangreifbar aus, seine Sätze sollten einan-
der wechselseitig tragen und halten. Aber die Gestaltung der Welt, wie
Hegel sie darstellte, ergab sich in Wahrheit nicht mit logischer Nothwen-
digkeit aus den obersten Grundsätzen, sie war erdacht und erdichtet durch
die subjektive Willkür des Philosophen selber. Darum zeigte sich in der
Ausführung des Systems überall eine auffällige Ungleichheit; einzelne
Theile waren völlig mißlungen, andere enthielten den Keim einer frucht-
baren, weit in die Zukunft hinauswirkenden Weltansicht. Gänzlich ver-
fehlt war Hegel's Naturphilosophie; denn die greifbare Wirklichkeit der
Natur setzt jedem Versuche, sie aus dem Begriffe heraus zu construiren,
einen harten, fast spöttischen Widerstand entgegen, und eben hier fehlte
dem Philosophen alle Sachkenntniß. Die jungen Meister der exakten
Forschung, die sich in Berlin um Alexander Humboldt schaarten, hatten
guten Grund über diese Träume zu spotten, denn was Humboldt eben jetzt
von seiner sibirischen Reise an wirklicher Naturerkenntniß heimbrachte, wog
allein schon schwerer als Hegel's gesammte naturphilophische Constructionen.

Ebenso unglücklich zeigte sich Hegel in der Religionsphilosophie; auf
diesem ihrem eigensten Gebiete war ihm Schleiermacher's religiöse Natur
weit überlegen. Er begann mit der, aller Erfahrung widersprechenden Be-
hauptung, daß Philosophie und Religion denselben Inhalt hätten, jene
aber das Absolute darstelle in der Form des Denkens, diese in der Form
der Vorstellung. Der religöse Glaube war ihm also nicht eine ursprüng-
liche, den ganzen Menschen, sein Denken und sein Wollen bestimmende
Macht des Gemüths, sondern nur eine unreife Form der Wissenschaft.
Daraus ergab sich -- wie geschickt man das auch durch dialektische Künste
zu verhüllen suchte -- unwidersprechlich die Nothwendigkeit des Cäsaro-
papismus; denn der denkende Staat muß einer Kirche, die sich nur in
der Welt der Einbildungskraft bewegt, unbedingt übergeordnet sein. Wenn
Hegel's gelehriger Schüler Altenstein das innere Leben der Kirchen bestän-
dig zu meistern versuchte, so trugen die Lehren des Meisters an dieser
verfehlten Kirchenpolitik unzweifelhaft einige Mitschuld. Die Idee der Er-
lösung, der Mittelpunkt von Schleiermacher's Glaubenslehre, trat in Hegel's
System ganz zurück. Ihm lag vielmehr daran, die Dogmen wissenschaft-
lich zu erweisen, selbst die harten, der Vernunft ewig unzugänglichen, selbst
das Dogma der Dreieinigkeit; und diese gewaltsame Künstelei erschien um
so unfruchtbarer, da der pantheistische Grundgedanke des Systems der
christlichen Dogmatik offenbar widersprach.

Um so mächtiger entfaltete sich Hegel's Genius auf dem Gebiete der
Aesthetik. Was er hier sagte über die Einheit von Idee und Bild im
Kunstwerk, war groß, tief, neu und so lebensvoll, daß noch heute alle
ernsten ästhetischen Urtheile der Deutschen sich bewußt oder unbewußt an
Hegel anlehnen. Den zeitgenössischen Dichtern wurde er gerecht mit der
Sicherheit einer großen Seele; er verstand nicht nur Goethe, sondern auch

Hegel’s Religionsphiloſophie.

Das Syſtem gab ſich für unangreifbar aus, ſeine Sätze ſollten einan-
der wechſelſeitig tragen und halten. Aber die Geſtaltung der Welt, wie
Hegel ſie darſtellte, ergab ſich in Wahrheit nicht mit logiſcher Nothwen-
digkeit aus den oberſten Grundſätzen, ſie war erdacht und erdichtet durch
die ſubjektive Willkür des Philoſophen ſelber. Darum zeigte ſich in der
Ausführung des Syſtems überall eine auffällige Ungleichheit; einzelne
Theile waren völlig mißlungen, andere enthielten den Keim einer frucht-
baren, weit in die Zukunft hinauswirkenden Weltanſicht. Gänzlich ver-
fehlt war Hegel’s Naturphiloſophie; denn die greifbare Wirklichkeit der
Natur ſetzt jedem Verſuche, ſie aus dem Begriffe heraus zu conſtruiren,
einen harten, faſt ſpöttiſchen Widerſtand entgegen, und eben hier fehlte
dem Philoſophen alle Sachkenntniß. Die jungen Meiſter der exakten
Forſchung, die ſich in Berlin um Alexander Humboldt ſchaarten, hatten
guten Grund über dieſe Träume zu ſpotten, denn was Humboldt eben jetzt
von ſeiner ſibiriſchen Reiſe an wirklicher Naturerkenntniß heimbrachte, wog
allein ſchon ſchwerer als Hegel’s geſammte naturphilophiſche Conſtructionen.

Ebenſo unglücklich zeigte ſich Hegel in der Religionsphiloſophie; auf
dieſem ihrem eigenſten Gebiete war ihm Schleiermacher’s religiöſe Natur
weit überlegen. Er begann mit der, aller Erfahrung widerſprechenden Be-
hauptung, daß Philoſophie und Religion denſelben Inhalt hätten, jene
aber das Abſolute darſtelle in der Form des Denkens, dieſe in der Form
der Vorſtellung. Der religöſe Glaube war ihm alſo nicht eine urſprüng-
liche, den ganzen Menſchen, ſein Denken und ſein Wollen beſtimmende
Macht des Gemüths, ſondern nur eine unreife Form der Wiſſenſchaft.
Daraus ergab ſich — wie geſchickt man das auch durch dialektiſche Künſte
zu verhüllen ſuchte — unwiderſprechlich die Nothwendigkeit des Cäſaro-
papismus; denn der denkende Staat muß einer Kirche, die ſich nur in
der Welt der Einbildungskraft bewegt, unbedingt übergeordnet ſein. Wenn
Hegel’s gelehriger Schüler Altenſtein das innere Leben der Kirchen beſtän-
dig zu meiſtern verſuchte, ſo trugen die Lehren des Meiſters an dieſer
verfehlten Kirchenpolitik unzweifelhaft einige Mitſchuld. Die Idee der Er-
löſung, der Mittelpunkt von Schleiermacher’s Glaubenslehre, trat in Hegel’s
Syſtem ganz zurück. Ihm lag vielmehr daran, die Dogmen wiſſenſchaft-
lich zu erweiſen, ſelbſt die harten, der Vernunft ewig unzugänglichen, ſelbſt
das Dogma der Dreieinigkeit; und dieſe gewaltſame Künſtelei erſchien um
ſo unfruchtbarer, da der pantheiſtiſche Grundgedanke des Syſtems der
chriſtlichen Dogmatik offenbar widerſprach.

Um ſo mächtiger entfaltete ſich Hegel’s Genius auf dem Gebiete der
Aeſthetik. Was er hier ſagte über die Einheit von Idee und Bild im
Kunſtwerk, war groß, tief, neu und ſo lebensvoll, daß noch heute alle
ernſten äſthetiſchen Urtheile der Deutſchen ſich bewußt oder unbewußt an
Hegel anlehnen. Den zeitgenöſſiſchen Dichtern wurde er gerecht mit der
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[717/0733] Hegel’s Religionsphiloſophie. Das Syſtem gab ſich für unangreifbar aus, ſeine Sätze ſollten einan- der wechſelſeitig tragen und halten. Aber die Geſtaltung der Welt, wie Hegel ſie darſtellte, ergab ſich in Wahrheit nicht mit logiſcher Nothwen- digkeit aus den oberſten Grundſätzen, ſie war erdacht und erdichtet durch die ſubjektive Willkür des Philoſophen ſelber. Darum zeigte ſich in der Ausführung des Syſtems überall eine auffällige Ungleichheit; einzelne Theile waren völlig mißlungen, andere enthielten den Keim einer frucht- baren, weit in die Zukunft hinauswirkenden Weltanſicht. Gänzlich ver- fehlt war Hegel’s Naturphiloſophie; denn die greifbare Wirklichkeit der Natur ſetzt jedem Verſuche, ſie aus dem Begriffe heraus zu conſtruiren, einen harten, faſt ſpöttiſchen Widerſtand entgegen, und eben hier fehlte dem Philoſophen alle Sachkenntniß. Die jungen Meiſter der exakten Forſchung, die ſich in Berlin um Alexander Humboldt ſchaarten, hatten guten Grund über dieſe Träume zu ſpotten, denn was Humboldt eben jetzt von ſeiner ſibiriſchen Reiſe an wirklicher Naturerkenntniß heimbrachte, wog allein ſchon ſchwerer als Hegel’s geſammte naturphilophiſche Conſtructionen. Ebenſo unglücklich zeigte ſich Hegel in der Religionsphiloſophie; auf dieſem ihrem eigenſten Gebiete war ihm Schleiermacher’s religiöſe Natur weit überlegen. Er begann mit der, aller Erfahrung widerſprechenden Be- hauptung, daß Philoſophie und Religion denſelben Inhalt hätten, jene aber das Abſolute darſtelle in der Form des Denkens, dieſe in der Form der Vorſtellung. Der religöſe Glaube war ihm alſo nicht eine urſprüng- liche, den ganzen Menſchen, ſein Denken und ſein Wollen beſtimmende Macht des Gemüths, ſondern nur eine unreife Form der Wiſſenſchaft. Daraus ergab ſich — wie geſchickt man das auch durch dialektiſche Künſte zu verhüllen ſuchte — unwiderſprechlich die Nothwendigkeit des Cäſaro- papismus; denn der denkende Staat muß einer Kirche, die ſich nur in der Welt der Einbildungskraft bewegt, unbedingt übergeordnet ſein. Wenn Hegel’s gelehriger Schüler Altenſtein das innere Leben der Kirchen beſtän- dig zu meiſtern verſuchte, ſo trugen die Lehren des Meiſters an dieſer verfehlten Kirchenpolitik unzweifelhaft einige Mitſchuld. Die Idee der Er- löſung, der Mittelpunkt von Schleiermacher’s Glaubenslehre, trat in Hegel’s Syſtem ganz zurück. Ihm lag vielmehr daran, die Dogmen wiſſenſchaft- lich zu erweiſen, ſelbſt die harten, der Vernunft ewig unzugänglichen, ſelbſt das Dogma der Dreieinigkeit; und dieſe gewaltſame Künſtelei erſchien um ſo unfruchtbarer, da der pantheiſtiſche Grundgedanke des Syſtems der chriſtlichen Dogmatik offenbar widerſprach. Um ſo mächtiger entfaltete ſich Hegel’s Genius auf dem Gebiete der Aeſthetik. Was er hier ſagte über die Einheit von Idee und Bild im Kunſtwerk, war groß, tief, neu und ſo lebensvoll, daß noch heute alle ernſten äſthetiſchen Urtheile der Deutſchen ſich bewußt oder unbewußt an Hegel anlehnen. Den zeitgenöſſiſchen Dichtern wurde er gerecht mit der Sicherheit einer großen Seele; er verſtand nicht nur Goethe, ſondern auch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/733>, abgerufen am 22.11.2024.