Metternich erzählt in dem Berichte vom 30. Juli, er habe dem Könige gesagt: "Sind Ew. Majestät entschlossen, keine Volksvertretung in Ihrem Staate einzuführen, der sich weniger als irgend ein anderer hiezu eignet, so ist die Möglichkeit der Hilfe vor- handen." Angenommen, diese Aeußerung sei wortgetreu berichtet, so fragt sich: was wollte Metternich damit sagen? Den Sinn seiner Worte hat er ja erst im Verlaufe "einer langen Unterredung", welche wir nicht kennen, näher dargelegt. Die Antwort auf diese Frage ist im Grunde schon enthalten in der oben angedeuteten damaligen Verfassungsdoktrin des Wiener Hofes. Glücklicherweise giebt aber Metternich selbst eine bestimmte Antwort in seinem zweiten Berichte vom 1. August. Da sagt er (III. 265): hier in Teplitz habe er dem Könige eine Denkschrift übergeben, "die den wahren Unterschied zwischen landständischen Verfassungen und einem sogenannten Re- präsentativsystem deutlich bezeichnet". Dies muß wahr sein, da Metternich seinem Kaiser eine Copie der Denkschrift beilegte. Dann fährt er fort: er habe dies gethan, weil er wisse, welchen Werth der König schon auf seine "weit oberflächlichere" Aachener Denk- schrift gelegt habe. Daraus folgt unwidersprechlich: die Teplitzer Denkschrift muß un- gefähr die nämlichen Grundsätze entwickelt haben, wie die Aachener, nur klarer, bestimmter, eindringlicher. Der Herausgeber der "Nachgelassenen Papiere" bemerkt auch selbst ganz richtig in einer Note: die Teplitzer Denkschrift "liegt nicht vor, dürfte aber ziemlich analog mit Nr. 305 (d. h. mit der Aachener Denkschrift) sein". Nun versteht sich's von selbst, Metternich konnte in dem Gespräche dem Könige nicht das Gegentheil dessen anrathen, was er ihm gleichzeitig in seiner Denkschrift empfahl. Folglich hat Metternich zu dem Könige nicht gesagt: Sire, führen Sie das Versprechen vom Mai 1815 gar nicht aus; sondern er warnte ihn -- wie schon in Aachen, nur noch eindringlicher -- vor einer Volksvertretung nach bairisch-badischer Art: dergleichen sei demokratisch, revolutionär, demagogisch u. s. w.; und er beschwor ihn, wie schon in Aachen, statt einer Volksvertretung vielmehr Landstände einzuführen. Ich habe mich mithin ganz correct und nach allen Regeln der historischen Kritik ausgedrückt, wenn ich den Inhalt des Gesprächs dahin zusammenfaßte: Metternich habe den König gebeten "keine Volks- vertretung in dem modernen demokratischen Sinne zu geben, sondern sich mit Ständen zu begnügen". Wenn Baumgarten sich nunmehr den von ihm übersehenen zweiten Bericht Metternich's ernstlich ansieht, so wird er selbst erkennen, wie nachlässig und oberflächlich er bei seiner Kritik zu Werke gegangen ist. Eingestehen wird er sein Un- recht freilich nicht. Das thut der echte und gerechte deutsche Zunft-Professor niemals.
Das Alles ist für Unbefangene klar wie der Tag. Zum Ueberfluß bringe ich noch einen zweiten, ebenso durchschlagenden Beweis. Die nächste Folge jener Unterredung vom 29. Juli war die Punctation vom 1. August, und diese sagt ausdrücklich, Preußen werde keine allgemeine Volksvertretung einführen, sondern landständische Verfassungen in den Provinzen und aus diesen einen Centralausschuß von Landesrepräsentanten bilden. Noch ein dritter Beweis. Dreizehn Tage nach jener Teplitzer Unterredung legte Harden- berg dem Könige seinen Verfassungsplan vor, der sodann auf Befehl des Monarchen der Verfassungscommission übergeben wurde, und dieser Plan beruhte ebenfalls auf dem Grundsatze: keine Volksvertretung nach bairisch-badischem Muster, sondern eine ständisch gegliederte Verfassung.
Auch diese Teplitzer Händel kann Baumgarten nicht vorübergehen lassen, ohne mir nochmals meine Parteilichkeit zu Gunsten des Königs vorzuwerfen, weil ich den Staats- kanzler in erster Linie für die Schande der Teplitzer Punctation verantwortlich gemacht habe. Ich halte dies Urtheil durchaus aufrecht. Die jedem Preußen unvergeßliche Schmach jener Punctation liegt nicht in ihrem Inhalt; denn über die Nothwendigkeit der Karlsbader Ausnahmegesetze waren beide Mächte von vorn herein einverstanden, und auch der Artikel VII. über die preußische Verfassung sagte streng genommen nichts Neues. Das Anstößige des Vertrages lag in seiner Form; es lag darin, daß Preußen ohne jede Gegenleistung dem Hause Oesterreich eine einseitige Zusage über preußische
Metternich und die preußiſche Verfaſſung.
Metternich erzählt in dem Berichte vom 30. Juli, er habe dem Könige geſagt: „Sind Ew. Majeſtät entſchloſſen, keine Volksvertretung in Ihrem Staate einzuführen, der ſich weniger als irgend ein anderer hiezu eignet, ſo iſt die Möglichkeit der Hilfe vor- handen.“ Angenommen, dieſe Aeußerung ſei wortgetreu berichtet, ſo fragt ſich: was wollte Metternich damit ſagen? Den Sinn ſeiner Worte hat er ja erſt im Verlaufe „einer langen Unterredung“, welche wir nicht kennen, näher dargelegt. Die Antwort auf dieſe Frage iſt im Grunde ſchon enthalten in der oben angedeuteten damaligen Verfaſſungsdoktrin des Wiener Hofes. Glücklicherweiſe giebt aber Metternich ſelbſt eine beſtimmte Antwort in ſeinem zweiten Berichte vom 1. Auguſt. Da ſagt er (III. 265): hier in Teplitz habe er dem Könige eine Denkſchrift übergeben, „die den wahren Unterſchied zwiſchen landſtändiſchen Verfaſſungen und einem ſogenannten Re- präſentativſyſtem deutlich bezeichnet“. Dies muß wahr ſein, da Metternich ſeinem Kaiſer eine Copie der Denkſchrift beilegte. Dann fährt er fort: er habe dies gethan, weil er wiſſe, welchen Werth der König ſchon auf ſeine „weit oberflächlichere“ Aachener Denk- ſchrift gelegt habe. Daraus folgt unwiderſprechlich: die Teplitzer Denkſchrift muß un- gefähr die nämlichen Grundſätze entwickelt haben, wie die Aachener, nur klarer, beſtimmter, eindringlicher. Der Herausgeber der „Nachgelaſſenen Papiere“ bemerkt auch ſelbſt ganz richtig in einer Note: die Teplitzer Denkſchrift „liegt nicht vor, dürfte aber ziemlich analog mit Nr. 305 (d. h. mit der Aachener Denkſchrift) ſein“. Nun verſteht ſich’s von ſelbſt, Metternich konnte in dem Geſpräche dem Könige nicht das Gegentheil deſſen anrathen, was er ihm gleichzeitig in ſeiner Denkſchrift empfahl. Folglich hat Metternich zu dem Könige nicht geſagt: Sire, führen Sie das Verſprechen vom Mai 1815 gar nicht aus; ſondern er warnte ihn — wie ſchon in Aachen, nur noch eindringlicher — vor einer Volksvertretung nach bairiſch-badiſcher Art: dergleichen ſei demokratiſch, revolutionär, demagogiſch u. ſ. w.; und er beſchwor ihn, wie ſchon in Aachen, ſtatt einer Volksvertretung vielmehr Landſtände einzuführen. Ich habe mich mithin ganz correct und nach allen Regeln der hiſtoriſchen Kritik ausgedrückt, wenn ich den Inhalt des Geſprächs dahin zuſammenfaßte: Metternich habe den König gebeten „keine Volks- vertretung in dem modernen demokratiſchen Sinne zu geben, ſondern ſich mit Ständen zu begnügen“. Wenn Baumgarten ſich nunmehr den von ihm überſehenen zweiten Bericht Metternich’s ernſtlich anſieht, ſo wird er ſelbſt erkennen, wie nachläſſig und oberflächlich er bei ſeiner Kritik zu Werke gegangen iſt. Eingeſtehen wird er ſein Un- recht freilich nicht. Das thut der echte und gerechte deutſche Zunft-Profeſſor niemals.
Das Alles iſt für Unbefangene klar wie der Tag. Zum Ueberfluß bringe ich noch einen zweiten, ebenſo durchſchlagenden Beweis. Die nächſte Folge jener Unterredung vom 29. Juli war die Punctation vom 1. Auguſt, und dieſe ſagt ausdrücklich, Preußen werde keine allgemeine Volksvertretung einführen, ſondern landſtändiſche Verfaſſungen in den Provinzen und aus dieſen einen Centralausſchuß von Landesrepräſentanten bilden. Noch ein dritter Beweis. Dreizehn Tage nach jener Teplitzer Unterredung legte Harden- berg dem Könige ſeinen Verfaſſungsplan vor, der ſodann auf Befehl des Monarchen der Verfaſſungscommiſſion übergeben wurde, und dieſer Plan beruhte ebenfalls auf dem Grundſatze: keine Volksvertretung nach bairiſch-badiſchem Muſter, ſondern eine ſtändiſch gegliederte Verfaſſung.
Auch dieſe Teplitzer Händel kann Baumgarten nicht vorübergehen laſſen, ohne mir nochmals meine Parteilichkeit zu Gunſten des Königs vorzuwerfen, weil ich den Staats- kanzler in erſter Linie für die Schande der Teplitzer Punctation verantwortlich gemacht habe. Ich halte dies Urtheil durchaus aufrecht. Die jedem Preußen unvergeßliche Schmach jener Punctation liegt nicht in ihrem Inhalt; denn über die Nothwendigkeit der Karlsbader Ausnahmegeſetze waren beide Mächte von vorn herein einverſtanden, und auch der Artikel VII. über die preußiſche Verfaſſung ſagte ſtreng genommen nichts Neues. Das Anſtößige des Vertrages lag in ſeiner Form; es lag darin, daß Preußen ohne jede Gegenleiſtung dem Hauſe Oeſterreich eine einſeitige Zuſage über preußiſche
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[758/0774]
Metternich und die preußiſche Verfaſſung.
Metternich erzählt in dem Berichte vom 30. Juli, er habe dem Könige geſagt:
„Sind Ew. Majeſtät entſchloſſen, keine Volksvertretung in Ihrem Staate einzuführen,
der ſich weniger als irgend ein anderer hiezu eignet, ſo iſt die Möglichkeit der Hilfe vor-
handen.“ Angenommen, dieſe Aeußerung ſei wortgetreu berichtet, ſo fragt ſich: was
wollte Metternich damit ſagen? Den Sinn ſeiner Worte hat er ja erſt im Verlaufe
„einer langen Unterredung“, welche wir nicht kennen, näher dargelegt. Die Antwort
auf dieſe Frage iſt im Grunde ſchon enthalten in der oben angedeuteten damaligen
Verfaſſungsdoktrin des Wiener Hofes. Glücklicherweiſe giebt aber Metternich ſelbſt
eine beſtimmte Antwort in ſeinem zweiten Berichte vom 1. Auguſt. Da ſagt er
(III. 265): hier in Teplitz habe er dem Könige eine Denkſchrift übergeben, „die den
wahren Unterſchied zwiſchen landſtändiſchen Verfaſſungen und einem ſogenannten Re-
präſentativſyſtem deutlich bezeichnet“. Dies muß wahr ſein, da Metternich ſeinem Kaiſer
eine Copie der Denkſchrift beilegte. Dann fährt er fort: er habe dies gethan, weil er
wiſſe, welchen Werth der König ſchon auf ſeine „weit oberflächlichere“ Aachener Denk-
ſchrift gelegt habe. Daraus folgt unwiderſprechlich: die Teplitzer Denkſchrift muß un-
gefähr die nämlichen Grundſätze entwickelt haben, wie die Aachener, nur klarer, beſtimmter,
eindringlicher. Der Herausgeber der „Nachgelaſſenen Papiere“ bemerkt auch ſelbſt ganz
richtig in einer Note: die Teplitzer Denkſchrift „liegt nicht vor, dürfte aber ziemlich
analog mit Nr. 305 (d. h. mit der Aachener Denkſchrift) ſein“. Nun verſteht ſich’s
von ſelbſt, Metternich konnte in dem Geſpräche dem Könige nicht das Gegentheil deſſen
anrathen, was er ihm gleichzeitig in ſeiner Denkſchrift empfahl. Folglich hat Metternich
zu dem Könige nicht geſagt: Sire, führen Sie das Verſprechen vom Mai 1815 gar
nicht aus; ſondern er warnte ihn — wie ſchon in Aachen, nur noch eindringlicher —
vor einer Volksvertretung nach bairiſch-badiſcher Art: dergleichen ſei demokratiſch,
revolutionär, demagogiſch u. ſ. w.; und er beſchwor ihn, wie ſchon in Aachen, ſtatt
einer Volksvertretung vielmehr Landſtände einzuführen. Ich habe mich mithin ganz
correct und nach allen Regeln der hiſtoriſchen Kritik ausgedrückt, wenn ich den Inhalt
des Geſprächs dahin zuſammenfaßte: Metternich habe den König gebeten „keine Volks-
vertretung in dem modernen demokratiſchen Sinne zu geben, ſondern ſich mit Ständen
zu begnügen“. Wenn Baumgarten ſich nunmehr den von ihm überſehenen zweiten
Bericht Metternich’s ernſtlich anſieht, ſo wird er ſelbſt erkennen, wie nachläſſig und
oberflächlich er bei ſeiner Kritik zu Werke gegangen iſt. Eingeſtehen wird er ſein Un-
recht freilich nicht. Das thut der echte und gerechte deutſche Zunft-Profeſſor niemals.
Das Alles iſt für Unbefangene klar wie der Tag. Zum Ueberfluß bringe ich noch
einen zweiten, ebenſo durchſchlagenden Beweis. Die nächſte Folge jener Unterredung
vom 29. Juli war die Punctation vom 1. Auguſt, und dieſe ſagt ausdrücklich, Preußen
werde keine allgemeine Volksvertretung einführen, ſondern landſtändiſche Verfaſſungen in
den Provinzen und aus dieſen einen Centralausſchuß von Landesrepräſentanten bilden.
Noch ein dritter Beweis. Dreizehn Tage nach jener Teplitzer Unterredung legte Harden-
berg dem Könige ſeinen Verfaſſungsplan vor, der ſodann auf Befehl des Monarchen
der Verfaſſungscommiſſion übergeben wurde, und dieſer Plan beruhte ebenfalls auf dem
Grundſatze: keine Volksvertretung nach bairiſch-badiſchem Muſter, ſondern eine ſtändiſch
gegliederte Verfaſſung.
Auch dieſe Teplitzer Händel kann Baumgarten nicht vorübergehen laſſen, ohne mir
nochmals meine Parteilichkeit zu Gunſten des Königs vorzuwerfen, weil ich den Staats-
kanzler in erſter Linie für die Schande der Teplitzer Punctation verantwortlich gemacht
habe. Ich halte dies Urtheil durchaus aufrecht. Die jedem Preußen unvergeßliche
Schmach jener Punctation liegt nicht in ihrem Inhalt; denn über die Nothwendigkeit
der Karlsbader Ausnahmegeſetze waren beide Mächte von vorn herein einverſtanden,
und auch der Artikel VII. über die preußiſche Verfaſſung ſagte ſtreng genommen nichts
Neues. Das Anſtößige des Vertrages lag in ſeiner Form; es lag darin, daß Preußen
ohne jede Gegenleiſtung dem Hauſe Oeſterreich eine einſeitige Zuſage über preußiſche
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/774>, abgerufen am 21.11.2024.
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