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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
blieb in der festen Hand des preußischen Gouverneurs; und Preußen ver-
mehrte freiwillig seine Besatzungstruppen fast auf das Doppelte, da das
luxemburgische Contingent, das in Kriegszeiten die kleinere Hälfte der
Garnison bilden sollte, nirgends vorhanden war. Aber welch ein An-
blick, als nun die anderen Bundestruppen, welche der Bundestag zur
Vertheidigung der Festung bestimmt hatte, die Kriegsschaaren von Det-
mold, Bückeburg und Waldeck langsam eintrafen. Sie erwiesen sich als
würdige Bundesbrüder des Frankfurter Kriegsheeres. Schon unterwegs
hatten sie gemeutert, und in der Festung betrugen sie sich so zuchtlos, daß
der preußische Gouverneur scharf eingreifen mußte; er ließ ihnen den
höheren preußischen Sold geben und sie unter preußischer Aufsicht in der
ihnen fast unbekannten Kunst des Schießens üben. Ueber diese Eigen-
mächtigkeit des preußischen Generals gerieth der Bundestag in vaterlän-
dischen Zorn und erörterte nunmehr mit gewohnter Gründlichkeit die
leider ganz unlösbare Frage: wer solle die Kosten der Soldzahlungen und
Schießübungen tragen? der Bund, oder Preußen, oder die Souveräne der
gebesserten Kriegsheere? Schließlich konnte das preußische Gouvernement
den Jammer nicht mehr ansehen und erklärte der Bundesversammlung
geradezu: mit solchem Gesindel sei in einer rings von Rebellen umgebenen
Festung nichts anzufangen. Neue Verlegenheit in Frankfurt. Man sah
wohl ein, daß der Rückmarsch der drei Heere unvermeidlich war, aber den
wahren Grund wollte man den drei Souveränen nicht mittheilen, das
hätte sie zu tief gekränkt; darum beschloß man am 27. October, die drei
Contingente sollten heimkehren, da "die Veranlassung ihres Ausmarsches
nicht mehr vorhanden sei". So väterlich sorgte der Bund nicht für die
Kriegstüchtigkeit des deutschen Heeres, sondern für die Gemüthsruhe seiner
Kleinfürsten. Für die Bundesfestung stand allerdings nichts zu fürchten;
denn König Friedrich Wilhelm befahl sofort, daß sein rheinisches Armee-
corps im Nothfall den Ersatz für die 1400 Lipper und Waldecker stellen
solle. *)

Um so trostloser gestalteten sich die Aussichten für die Bundes-Exe-
cution; es lag ein Fluch auf Allem was diese unglückliche Frankfurter Ver-
sammlung in die Hand nahm. Daß Preußen an der Execution nicht theil-
nehmen dürfe, war am Bundestage beschlossene Sache; denn das Erscheinen
preußischer Regimenter außerhalb der Bundesfestung konnte allerdings sehr
leicht das Signal zu einem europäischen Kriege geben. Frankreich hatte
auf der Londoner Conferenz den dringenden Wunsch ausgesprochen, die
Bundes-Execution möge in einer Form erfolgen, welche "unzweideutig"
beweise, daß der Bund allein, und nicht die Ostmächte, in Luxemburg ein-
schritten. **) Diese Bitte erschien, wie die Dinge lagen, wohl begreiflich,

*) Nagler's Berichte, 1. 19. Aug., 28. Sept., 4. Nov., 3. Dec. 1831.
**) Bernstorff, Weisung an Maltzahn, 14. Nov. 1830.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
blieb in der feſten Hand des preußiſchen Gouverneurs; und Preußen ver-
mehrte freiwillig ſeine Beſatzungstruppen faſt auf das Doppelte, da das
luxemburgiſche Contingent, das in Kriegszeiten die kleinere Hälfte der
Garniſon bilden ſollte, nirgends vorhanden war. Aber welch ein An-
blick, als nun die anderen Bundestruppen, welche der Bundestag zur
Vertheidigung der Feſtung beſtimmt hatte, die Kriegsſchaaren von Det-
mold, Bückeburg und Waldeck langſam eintrafen. Sie erwieſen ſich als
würdige Bundesbrüder des Frankfurter Kriegsheeres. Schon unterwegs
hatten ſie gemeutert, und in der Feſtung betrugen ſie ſich ſo zuchtlos, daß
der preußiſche Gouverneur ſcharf eingreifen mußte; er ließ ihnen den
höheren preußiſchen Sold geben und ſie unter preußiſcher Aufſicht in der
ihnen faſt unbekannten Kunſt des Schießens üben. Ueber dieſe Eigen-
mächtigkeit des preußiſchen Generals gerieth der Bundestag in vaterlän-
diſchen Zorn und erörterte nunmehr mit gewohnter Gründlichkeit die
leider ganz unlösbare Frage: wer ſolle die Koſten der Soldzahlungen und
Schießübungen tragen? der Bund, oder Preußen, oder die Souveräne der
gebeſſerten Kriegsheere? Schließlich konnte das preußiſche Gouvernement
den Jammer nicht mehr anſehen und erklärte der Bundesverſammlung
geradezu: mit ſolchem Geſindel ſei in einer rings von Rebellen umgebenen
Feſtung nichts anzufangen. Neue Verlegenheit in Frankfurt. Man ſah
wohl ein, daß der Rückmarſch der drei Heere unvermeidlich war, aber den
wahren Grund wollte man den drei Souveränen nicht mittheilen, das
hätte ſie zu tief gekränkt; darum beſchloß man am 27. October, die drei
Contingente ſollten heimkehren, da „die Veranlaſſung ihres Ausmarſches
nicht mehr vorhanden ſei“. So väterlich ſorgte der Bund nicht für die
Kriegstüchtigkeit des deutſchen Heeres, ſondern für die Gemüthsruhe ſeiner
Kleinfürſten. Für die Bundesfeſtung ſtand allerdings nichts zu fürchten;
denn König Friedrich Wilhelm befahl ſofort, daß ſein rheiniſches Armee-
corps im Nothfall den Erſatz für die 1400 Lipper und Waldecker ſtellen
ſolle. *)

Um ſo troſtloſer geſtalteten ſich die Ausſichten für die Bundes-Exe-
cution; es lag ein Fluch auf Allem was dieſe unglückliche Frankfurter Ver-
ſammlung in die Hand nahm. Daß Preußen an der Execution nicht theil-
nehmen dürfe, war am Bundestage beſchloſſene Sache; denn das Erſcheinen
preußiſcher Regimenter außerhalb der Bundesfeſtung konnte allerdings ſehr
leicht das Signal zu einem europäiſchen Kriege geben. Frankreich hatte
auf der Londoner Conferenz den dringenden Wunſch ausgeſprochen, die
Bundes-Execution möge in einer Form erfolgen, welche „unzweideutig“
beweiſe, daß der Bund allein, und nicht die Oſtmächte, in Luxemburg ein-
ſchritten. **) Dieſe Bitte erſchien, wie die Dinge lagen, wohl begreiflich,

*) Nagler’s Berichte, 1. 19. Aug., 28. Sept., 4. Nov., 3. Dec. 1831.
**) Bernſtorff, Weiſung an Maltzahn, 14. Nov. 1830.
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[314/0328] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. blieb in der feſten Hand des preußiſchen Gouverneurs; und Preußen ver- mehrte freiwillig ſeine Beſatzungstruppen faſt auf das Doppelte, da das luxemburgiſche Contingent, das in Kriegszeiten die kleinere Hälfte der Garniſon bilden ſollte, nirgends vorhanden war. Aber welch ein An- blick, als nun die anderen Bundestruppen, welche der Bundestag zur Vertheidigung der Feſtung beſtimmt hatte, die Kriegsſchaaren von Det- mold, Bückeburg und Waldeck langſam eintrafen. Sie erwieſen ſich als würdige Bundesbrüder des Frankfurter Kriegsheeres. Schon unterwegs hatten ſie gemeutert, und in der Feſtung betrugen ſie ſich ſo zuchtlos, daß der preußiſche Gouverneur ſcharf eingreifen mußte; er ließ ihnen den höheren preußiſchen Sold geben und ſie unter preußiſcher Aufſicht in der ihnen faſt unbekannten Kunſt des Schießens üben. Ueber dieſe Eigen- mächtigkeit des preußiſchen Generals gerieth der Bundestag in vaterlän- diſchen Zorn und erörterte nunmehr mit gewohnter Gründlichkeit die leider ganz unlösbare Frage: wer ſolle die Koſten der Soldzahlungen und Schießübungen tragen? der Bund, oder Preußen, oder die Souveräne der gebeſſerten Kriegsheere? Schließlich konnte das preußiſche Gouvernement den Jammer nicht mehr anſehen und erklärte der Bundesverſammlung geradezu: mit ſolchem Geſindel ſei in einer rings von Rebellen umgebenen Feſtung nichts anzufangen. Neue Verlegenheit in Frankfurt. Man ſah wohl ein, daß der Rückmarſch der drei Heere unvermeidlich war, aber den wahren Grund wollte man den drei Souveränen nicht mittheilen, das hätte ſie zu tief gekränkt; darum beſchloß man am 27. October, die drei Contingente ſollten heimkehren, da „die Veranlaſſung ihres Ausmarſches nicht mehr vorhanden ſei“. So väterlich ſorgte der Bund nicht für die Kriegstüchtigkeit des deutſchen Heeres, ſondern für die Gemüthsruhe ſeiner Kleinfürſten. Für die Bundesfeſtung ſtand allerdings nichts zu fürchten; denn König Friedrich Wilhelm befahl ſofort, daß ſein rheiniſches Armee- corps im Nothfall den Erſatz für die 1400 Lipper und Waldecker ſtellen ſolle. *) Um ſo troſtloſer geſtalteten ſich die Ausſichten für die Bundes-Exe- cution; es lag ein Fluch auf Allem was dieſe unglückliche Frankfurter Ver- ſammlung in die Hand nahm. Daß Preußen an der Execution nicht theil- nehmen dürfe, war am Bundestage beſchloſſene Sache; denn das Erſcheinen preußiſcher Regimenter außerhalb der Bundesfeſtung konnte allerdings ſehr leicht das Signal zu einem europäiſchen Kriege geben. Frankreich hatte auf der Londoner Conferenz den dringenden Wunſch ausgeſprochen, die Bundes-Execution möge in einer Form erfolgen, welche „unzweideutig“ beweiſe, daß der Bund allein, und nicht die Oſtmächte, in Luxemburg ein- ſchritten. **) Dieſe Bitte erſchien, wie die Dinge lagen, wohl begreiflich, *) Nagler’s Berichte, 1. 19. Aug., 28. Sept., 4. Nov., 3. Dec. 1831. **) Bernſtorff, Weiſung an Maltzahn, 14. Nov. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/328>, abgerufen am 24.11.2024.