ges" klang fast wie eine Weissagung der Kämpfe von 1870: der wahr- haft "kriegerische Krieg", so führte er hier aus, muß auf die Zertrüm- merung der feindlichen Streitkraft ausgehen, zu einem solchen Erfolge gehört ein umfassender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Front. Nach den bisherigen Erfahrungen glaubte Clausewitz noch, in den meisten Fällen würde sich der Krieg nur beschränktere Zwecke setzen; unmöglich konnte er vorhersehen, daß dereinst überall nach Preußens Vorbilde große Nationalheere entstehen, und dadurch das Ideal des absoluten Kriegs zur Regel werden sollte.
Seine Ideen entsprachen dem natürlichen Heldensinne der Deutschen und der Verfassung des preußischen Heeres, die in Allem auf rasche, durch- schlagende Entscheidungen berechnet war; einfach und groß, wie die Kriegs- kunst selbst, drückten sie nur mit wissenschaftlicher Schärfe aus, was die tüchtigeren deutschen Offiziere längst ahnten. Darum nahm man das Buch überall mit Bewunderung auf; mannichfache populäre Bearbei- tungen -- so die Militärischen Briefe eines Verstorbenen von dem sächsi- schen Militärschriftsteller Pönitz -- machten es auch den mindergebildeten Offizieren zugänglich; die gesammte deutsche Kriegswissenschaft nährte sich daran, viele seiner Sätze galten bald als Gemeinplätze. Also wurden die Gedanken der napoleonischen Kriegführung im preußischen Generalstabe unablässig weitergebildet, während sie bei den Franzosen selbst fast in Ver- gessenheit geriethen. Das französische Heer war jetzt in gutem Stande, dem auswärtigen Feinde gegenüber unbedingt zuverlässig, trotz der Parteikämpfe, welche das Offizierscorps zerspalteten; aber die Ausbildung der Mann- schaften erfolgte bei Weitem nicht so gewissenhaft wie in Preußen, die zahlreichen altgedienten Unteroffiziere schadeten durch Trunksucht und schlechte Kasernensitten fast mehr als sie durch ihre technische Fertigkeit nützten, und durchaus verderblich wurden dem Geiste des Heeres die in Algier er- fochtenen Siege. Die "afrikanischen" Generale erlangten ein unverdientes Ansehen, obgleich ihre rohe Kriegführung gegen einen gesitteten Feind offen- bar nicht genügen konnte; die ohnehin wenig zuverlässige Armeeverwaltung gewöhnte sich in Algier an Diebstahl und Unredlichkeit; die Truppen ver- wilderten in dem Kampfe wider ein barbarisches Volk und wütheten, als sie nachher die Arbeiteraufstände in Lyon und Paris unterdrückten, mit teuflischer Grausamkeit gegen ihre eigenen Landsleute. Trotz aller Miß- stände, welche der lange Frieden hervorrief, blieb Preußens Heer dem fran- zösischen überlegen durch Treue, Mannszucht, Bildung, Menschlichkeit und einen frischen kriegerischen Sinn, der ohne zu prahlen sich's doch zutraute die alten Siegesbahnen in das Herz des feindlichen Landes wiederzufinden. --
Unter den vielen Enttäuschungen seiner alten Tage empfand es der König besonders schwer, daß er die Umarbeitung der fridericianischen Ge- setzbücher, die ihm unter allen Reformen am nöthigsten schien, nicht mehr erleben sollte. Derweil Minister Mühler durch seine stramme Justizver-
Clauſewitz, vom Kriege.
ges“ klang faſt wie eine Weiſſagung der Kämpfe von 1870: der wahr- haft „kriegeriſche Krieg“, ſo führte er hier aus, muß auf die Zertrüm- merung der feindlichen Streitkraft ausgehen, zu einem ſolchen Erfolge gehört ein umfaſſender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Front. Nach den bisherigen Erfahrungen glaubte Clauſewitz noch, in den meiſten Fällen würde ſich der Krieg nur beſchränktere Zwecke ſetzen; unmöglich konnte er vorherſehen, daß dereinſt überall nach Preußens Vorbilde große Nationalheere entſtehen, und dadurch das Ideal des abſoluten Kriegs zur Regel werden ſollte.
Seine Ideen entſprachen dem natürlichen Heldenſinne der Deutſchen und der Verfaſſung des preußiſchen Heeres, die in Allem auf raſche, durch- ſchlagende Entſcheidungen berechnet war; einfach und groß, wie die Kriegs- kunſt ſelbſt, drückten ſie nur mit wiſſenſchaftlicher Schärfe aus, was die tüchtigeren deutſchen Offiziere längſt ahnten. Darum nahm man das Buch überall mit Bewunderung auf; mannichfache populäre Bearbei- tungen — ſo die Militäriſchen Briefe eines Verſtorbenen von dem ſächſi- ſchen Militärſchriftſteller Pönitz — machten es auch den mindergebildeten Offizieren zugänglich; die geſammte deutſche Kriegswiſſenſchaft nährte ſich daran, viele ſeiner Sätze galten bald als Gemeinplätze. Alſo wurden die Gedanken der napoleoniſchen Kriegführung im preußiſchen Generalſtabe unabläſſig weitergebildet, während ſie bei den Franzoſen ſelbſt faſt in Ver- geſſenheit geriethen. Das franzöſiſche Heer war jetzt in gutem Stande, dem auswärtigen Feinde gegenüber unbedingt zuverläſſig, trotz der Parteikämpfe, welche das Offizierscorps zerſpalteten; aber die Ausbildung der Mann- ſchaften erfolgte bei Weitem nicht ſo gewiſſenhaft wie in Preußen, die zahlreichen altgedienten Unteroffiziere ſchadeten durch Trunkſucht und ſchlechte Kaſernenſitten faſt mehr als ſie durch ihre techniſche Fertigkeit nützten, und durchaus verderblich wurden dem Geiſte des Heeres die in Algier er- fochtenen Siege. Die „afrikaniſchen“ Generale erlangten ein unverdientes Anſehen, obgleich ihre rohe Kriegführung gegen einen geſitteten Feind offen- bar nicht genügen konnte; die ohnehin wenig zuverläſſige Armeeverwaltung gewöhnte ſich in Algier an Diebſtahl und Unredlichkeit; die Truppen ver- wilderten in dem Kampfe wider ein barbariſches Volk und wütheten, als ſie nachher die Arbeiteraufſtände in Lyon und Paris unterdrückten, mit teufliſcher Grauſamkeit gegen ihre eigenen Landsleute. Trotz aller Miß- ſtände, welche der lange Frieden hervorrief, blieb Preußens Heer dem fran- zöſiſchen überlegen durch Treue, Mannszucht, Bildung, Menſchlichkeit und einen friſchen kriegeriſchen Sinn, der ohne zu prahlen ſich’s doch zutraute die alten Siegesbahnen in das Herz des feindlichen Landes wiederzufinden. —
Unter den vielen Enttäuſchungen ſeiner alten Tage empfand es der König beſonders ſchwer, daß er die Umarbeitung der fridericianiſchen Ge- ſetzbücher, die ihm unter allen Reformen am nöthigſten ſchien, nicht mehr erleben ſollte. Derweil Miniſter Mühler durch ſeine ſtramme Juſtizver-
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Clauſewitz, vom Kriege.
ges“ klang faſt wie eine Weiſſagung der Kämpfe von 1870: der wahr-
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merung der feindlichen Streitkraft ausgehen, zu einem ſolchen Erfolge
gehört ein umfaſſender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Front.
Nach den bisherigen Erfahrungen glaubte Clauſewitz noch, in den meiſten
Fällen würde ſich der Krieg nur beſchränktere Zwecke ſetzen; unmöglich
konnte er vorherſehen, daß dereinſt überall nach Preußens Vorbilde große
Nationalheere entſtehen, und dadurch das Ideal des abſoluten Kriegs zur
Regel werden ſollte.
Seine Ideen entſprachen dem natürlichen Heldenſinne der Deutſchen
und der Verfaſſung des preußiſchen Heeres, die in Allem auf raſche, durch-
ſchlagende Entſcheidungen berechnet war; einfach und groß, wie die Kriegs-
kunſt ſelbſt, drückten ſie nur mit wiſſenſchaftlicher Schärfe aus, was die
tüchtigeren deutſchen Offiziere längſt ahnten. Darum nahm man das
Buch überall mit Bewunderung auf; mannichfache populäre Bearbei-
tungen — ſo die Militäriſchen Briefe eines Verſtorbenen von dem ſächſi-
ſchen Militärſchriftſteller Pönitz — machten es auch den mindergebildeten
Offizieren zugänglich; die geſammte deutſche Kriegswiſſenſchaft nährte ſich
daran, viele ſeiner Sätze galten bald als Gemeinplätze. Alſo wurden die
Gedanken der napoleoniſchen Kriegführung im preußiſchen Generalſtabe
unabläſſig weitergebildet, während ſie bei den Franzoſen ſelbſt faſt in Ver-
geſſenheit geriethen. Das franzöſiſche Heer war jetzt in gutem Stande, dem
auswärtigen Feinde gegenüber unbedingt zuverläſſig, trotz der Parteikämpfe,
welche das Offizierscorps zerſpalteten; aber die Ausbildung der Mann-
ſchaften erfolgte bei Weitem nicht ſo gewiſſenhaft wie in Preußen, die
zahlreichen altgedienten Unteroffiziere ſchadeten durch Trunkſucht und ſchlechte
Kaſernenſitten faſt mehr als ſie durch ihre techniſche Fertigkeit nützten,
und durchaus verderblich wurden dem Geiſte des Heeres die in Algier er-
fochtenen Siege. Die „afrikaniſchen“ Generale erlangten ein unverdientes
Anſehen, obgleich ihre rohe Kriegführung gegen einen geſitteten Feind offen-
bar nicht genügen konnte; die ohnehin wenig zuverläſſige Armeeverwaltung
gewöhnte ſich in Algier an Diebſtahl und Unredlichkeit; die Truppen ver-
wilderten in dem Kampfe wider ein barbariſches Volk und wütheten, als
ſie nachher die Arbeiteraufſtände in Lyon und Paris unterdrückten, mit
teufliſcher Grauſamkeit gegen ihre eigenen Landsleute. Trotz aller Miß-
ſtände, welche der lange Frieden hervorrief, blieb Preußens Heer dem fran-
zöſiſchen überlegen durch Treue, Mannszucht, Bildung, Menſchlichkeit und
einen friſchen kriegeriſchen Sinn, der ohne zu prahlen ſich’s doch zutraute
die alten Siegesbahnen in das Herz des feindlichen Landes wiederzufinden. —
Unter den vielen Enttäuſchungen ſeiner alten Tage empfand es der
König beſonders ſchwer, daß er die Umarbeitung der fridericianiſchen Ge-
ſetzbücher, die ihm unter allen Reformen am nöthigſten ſchien, nicht mehr
erleben ſollte. Derweil Miniſter Mühler durch ſeine ſtramme Juſtizver-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/563>, abgerufen am 24.11.2024.
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