Wesen noch immer nicht recht geheuer; er fuhr noch eine Zeit lang in seinem Wagen neben der Bahn her. Dann merkte er doch, daß selbst seine edlen Trakehner Rappen mit der Lokomotive nicht Schritt halten konnten, und eines Tages erfuhren die Berliner zu ihrer freudigen Ueber- raschung, Seine Majestät sei heute früh mit dem Bahnzuge nach Potsdam gereist. Die Magdeburger Kaufmannschaft rührte sich kräftig. Derweil die Leipziger Bahn in Angriff genommen wurde, begannen schon erfolg- reiche Vorarbeiten für eine zweite Linie über Köthen nach Berlin und zu- gleich Verhandlungen wegen einer dritten Bahn nach Hamburg. Dort freilich zeigte sich der Senat sehr ängstlich, er fürchtete die Abnahme der Elbschifffahrt und die Verarmung der Schiffer.*)
Sehr lange währten die Vorbereitungen für die wichtige Bahn von Köln zur belgischen Grenze. Da mußten sich erst zwei streitende Gesell- schaften verschmelzen. Dazwischen hinein spielten widerwärtige Verhand- lungen mit dem Brüsseler Hofe, der damals, aufgestachelt durch die West- mächte, dem preußischen Nachbarn eine wenig freundliche Gesinnung zeigte und, dem Geiste der Neutralität zuwider, schon an eine umfassende Be- festigung seiner Ostgrenze dachte. Der König schrieb deshalb selbst an König Leopold und drohte mit dem Abbruch der diplomatischen Verbin- dungen (1837). Trotzdem ließ er, auf Werther's verständigen Rath und die dringenden Bitten König Ludwig's von Baiern, den Plan der Köln- Antwerpener Eisenbahn nicht fallen. Die Bahn war zu werthvoll, nicht blos für den Handel der Rheinlande, sondern auch für die deutsche Politik: sie sollte Hollands allezeit unberechenbare Zölle umgehen und das belgische Land fester an Deutschland anschließen, da die Brüssel-Pariser Eisenbahn immer noch nicht fertig wurde.**) Endlich lenkte Belgien ein, und man ward handelseinig. Im August 1839, am Vorabend des königlichen Geburts- tages, eröffnete Ammon, der Vorsitzende der neuen Gesellschaft, die erste Bahnstrecke. Er wußte, wie lebhaft Rother und mehrere der anderen Minister die Abhängigkeit vom Auslande fürchteten, und sagte darum in seiner Festrede stolz: "die deutsche Treue beruht auf festem Grunde, auf der angestammten Liebe für König und Vaterland, auf der klaren Erkenntniß unserer nationalen Vorzüge, unserer sittlichen Volkswürde." Unterdessen beriethen die Kölner schon über die unentbehrliche große Eisenbahn nach dem Osten, nach Minden und Magdeburg.
Ungeheuer war der Umschwung. Die Eisenverzehrung des Zollver- eins stieg in den Jahren 1834--41 von 10,6 auf 18,1 Pfund für den Kopf der Bevölkerung, an Schienen, Roh-, Stab- und Schmiedeeisen wur- den im Jahre 1834 erst 367,000 Ctr. eingeführt, 1840 schon 1,203 Mill.;
*) Berger's Bericht, 24. Nov. 1838.
**) Werther's Berichte an den König, 27. Juni, 7. Oct.; Berichte von Münch- hausen, 23. April, von Dönhoff, 29. Mai 1837.
IV. 8. Stille Jahre.
Weſen noch immer nicht recht geheuer; er fuhr noch eine Zeit lang in ſeinem Wagen neben der Bahn her. Dann merkte er doch, daß ſelbſt ſeine edlen Trakehner Rappen mit der Lokomotive nicht Schritt halten konnten, und eines Tages erfuhren die Berliner zu ihrer freudigen Ueber- raſchung, Seine Majeſtät ſei heute früh mit dem Bahnzuge nach Potsdam gereiſt. Die Magdeburger Kaufmannſchaft rührte ſich kräftig. Derweil die Leipziger Bahn in Angriff genommen wurde, begannen ſchon erfolg- reiche Vorarbeiten für eine zweite Linie über Köthen nach Berlin und zu- gleich Verhandlungen wegen einer dritten Bahn nach Hamburg. Dort freilich zeigte ſich der Senat ſehr ängſtlich, er fürchtete die Abnahme der Elbſchifffahrt und die Verarmung der Schiffer.*)
Sehr lange währten die Vorbereitungen für die wichtige Bahn von Köln zur belgiſchen Grenze. Da mußten ſich erſt zwei ſtreitende Geſell- ſchaften verſchmelzen. Dazwiſchen hinein ſpielten widerwärtige Verhand- lungen mit dem Brüſſeler Hofe, der damals, aufgeſtachelt durch die Weſt- mächte, dem preußiſchen Nachbarn eine wenig freundliche Geſinnung zeigte und, dem Geiſte der Neutralität zuwider, ſchon an eine umfaſſende Be- feſtigung ſeiner Oſtgrenze dachte. Der König ſchrieb deshalb ſelbſt an König Leopold und drohte mit dem Abbruch der diplomatiſchen Verbin- dungen (1837). Trotzdem ließ er, auf Werther’s verſtändigen Rath und die dringenden Bitten König Ludwig’s von Baiern, den Plan der Köln- Antwerpener Eiſenbahn nicht fallen. Die Bahn war zu werthvoll, nicht blos für den Handel der Rheinlande, ſondern auch für die deutſche Politik: ſie ſollte Hollands allezeit unberechenbare Zölle umgehen und das belgiſche Land feſter an Deutſchland anſchließen, da die Brüſſel-Pariſer Eiſenbahn immer noch nicht fertig wurde.**) Endlich lenkte Belgien ein, und man ward handelseinig. Im Auguſt 1839, am Vorabend des königlichen Geburts- tages, eröffnete Ammon, der Vorſitzende der neuen Geſellſchaft, die erſte Bahnſtrecke. Er wußte, wie lebhaft Rother und mehrere der anderen Miniſter die Abhängigkeit vom Auslande fürchteten, und ſagte darum in ſeiner Feſtrede ſtolz: „die deutſche Treue beruht auf feſtem Grunde, auf der angeſtammten Liebe für König und Vaterland, auf der klaren Erkenntniß unſerer nationalen Vorzüge, unſerer ſittlichen Volkswürde.“ Unterdeſſen beriethen die Kölner ſchon über die unentbehrliche große Eiſenbahn nach dem Oſten, nach Minden und Magdeburg.
Ungeheuer war der Umſchwung. Die Eiſenverzehrung des Zollver- eins ſtieg in den Jahren 1834—41 von 10,6 auf 18,1 Pfund für den Kopf der Bevölkerung, an Schienen, Roh-, Stab- und Schmiedeeiſen wur- den im Jahre 1834 erſt 367,000 Ctr. eingeführt, 1840 ſchon 1,203 Mill.;
*) Berger’s Bericht, 24. Nov. 1838.
**) Werther’s Berichte an den König, 27. Juni, 7. Oct.; Berichte von Münch- hauſen, 23. April, von Dönhoff, 29. Mai 1837.
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IV. 8. Stille Jahre.
Weſen noch immer nicht recht geheuer; er fuhr noch eine Zeit lang in
ſeinem Wagen neben der Bahn her. Dann merkte er doch, daß ſelbſt
ſeine edlen Trakehner Rappen mit der Lokomotive nicht Schritt halten
konnten, und eines Tages erfuhren die Berliner zu ihrer freudigen Ueber-
raſchung, Seine Majeſtät ſei heute früh mit dem Bahnzuge nach Potsdam
gereiſt. Die Magdeburger Kaufmannſchaft rührte ſich kräftig. Derweil
die Leipziger Bahn in Angriff genommen wurde, begannen ſchon erfolg-
reiche Vorarbeiten für eine zweite Linie über Köthen nach Berlin und zu-
gleich Verhandlungen wegen einer dritten Bahn nach Hamburg. Dort
freilich zeigte ſich der Senat ſehr ängſtlich, er fürchtete die Abnahme der
Elbſchifffahrt und die Verarmung der Schiffer. *)
Sehr lange währten die Vorbereitungen für die wichtige Bahn von
Köln zur belgiſchen Grenze. Da mußten ſich erſt zwei ſtreitende Geſell-
ſchaften verſchmelzen. Dazwiſchen hinein ſpielten widerwärtige Verhand-
lungen mit dem Brüſſeler Hofe, der damals, aufgeſtachelt durch die Weſt-
mächte, dem preußiſchen Nachbarn eine wenig freundliche Geſinnung zeigte
und, dem Geiſte der Neutralität zuwider, ſchon an eine umfaſſende Be-
feſtigung ſeiner Oſtgrenze dachte. Der König ſchrieb deshalb ſelbſt an
König Leopold und drohte mit dem Abbruch der diplomatiſchen Verbin-
dungen (1837). Trotzdem ließ er, auf Werther’s verſtändigen Rath und
die dringenden Bitten König Ludwig’s von Baiern, den Plan der Köln-
Antwerpener Eiſenbahn nicht fallen. Die Bahn war zu werthvoll, nicht
blos für den Handel der Rheinlande, ſondern auch für die deutſche Politik:
ſie ſollte Hollands allezeit unberechenbare Zölle umgehen und das belgiſche
Land feſter an Deutſchland anſchließen, da die Brüſſel-Pariſer Eiſenbahn
immer noch nicht fertig wurde. **) Endlich lenkte Belgien ein, und man ward
handelseinig. Im Auguſt 1839, am Vorabend des königlichen Geburts-
tages, eröffnete Ammon, der Vorſitzende der neuen Geſellſchaft, die erſte
Bahnſtrecke. Er wußte, wie lebhaft Rother und mehrere der anderen
Miniſter die Abhängigkeit vom Auslande fürchteten, und ſagte darum in
ſeiner Feſtrede ſtolz: „die deutſche Treue beruht auf feſtem Grunde, auf
der angeſtammten Liebe für König und Vaterland, auf der klaren Erkenntniß
unſerer nationalen Vorzüge, unſerer ſittlichen Volkswürde.“ Unterdeſſen
beriethen die Kölner ſchon über die unentbehrliche große Eiſenbahn nach
dem Oſten, nach Minden und Magdeburg.
Ungeheuer war der Umſchwung. Die Eiſenverzehrung des Zollver-
eins ſtieg in den Jahren 1834—41 von 10,6 auf 18,1 Pfund für den
Kopf der Bevölkerung, an Schienen, Roh-, Stab- und Schmiedeeiſen wur-
den im Jahre 1834 erſt 367,000 Ctr. eingeführt, 1840 ſchon 1,203 Mill.;
*) Berger’s Bericht, 24. Nov. 1838.
**) Werther’s Berichte an den König, 27. Juni, 7. Oct.; Berichte von Münch-
hauſen, 23. April, von Dönhoff, 29. Mai 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/608>, abgerufen am 24.11.2024.
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