Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 9. Der welfische Staatsstreich. Landdragoner über die Grenze zu schaffen.*) Um die offenbare Ungesetz-lichkeit ihrer Entlassung auf dem einzigen gerichtlichen Wege, der ihnen noch offen stand, zu erweisen, klagten die Sieben auf Auszahlung ihres rückständigen Gehalts für das letzte Halbjahr. Da befahl der König der Justizcanzlei in Hannover durch ein Cabinetsschreiben des allezeit willigen Leist: sie solle die Klage einfach abweisen. Als der redliche Canzleidirector v. Hinüber sich diesem rechtswidrigen Ansinnen widersetzte, da befürchtete Leist, die Justizcanzlei würde das königliche Cabinet verurtheilen, oder auch die Professoren könnten beim Bundestage wegen verweigerter Justiz klagen. Um Beides zu verhindern, beschloß man den Competenzconflict zu erheben. Die Commission, welche die Competenzconflicte zu entscheiden hatte, war freilich durch die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes vernichtet**); welches Recht stand denn noch fest in dem zerrütteten Staate? Indeß gelang es die Sache so lange hinzuhalten, bis Ernst August einen neuen Staats- rath gebildet hatte, und dieser entschied (1841): das Gericht dürfe die Klage nicht annehmen, weil Entlassung und Gehaltsentziehung zu den Hoheitsrechten des Landesherrn gehörten. Der Welfe hoffte noch lange, die Federfuchser würden sich demüthigen, und sagte in Alexander Hum- boldt's Gegenwart: Professoren, Huren und Ballettänzerinnen kann man für Geld überall haben. Sobald Schele das falsche Gerücht hörte, daß Albrecht und Ewald das Geschehene bedauerten, schrieb er sogleich nach Göttingen: die Wiederanstellung sei nicht unmöglich, falls die Beiden wirk- lich Reue bezeigten.***) Leider gab die Haltung der anderen Professoren dem Könige einigen *) Bericht des Prorectors Bergmann an das k. Cabinet, 30. Dec. 1837. Bescheid, 2. Jan. 1838. **) Schreiben der Justizcanzlei in Hannover an das k. Cabinet, 26. Nov. Leist an Schele, 2. Dec. 1838. ***) Schele an Langenbeck, 28. Dec. 1837. +) Aufzeichnung des Prorectors Bergmann und der vier Decane, Rotenkirchen,
30. Nov. 1837. IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. Landdragoner über die Grenze zu ſchaffen.*) Um die offenbare Ungeſetz-lichkeit ihrer Entlaſſung auf dem einzigen gerichtlichen Wege, der ihnen noch offen ſtand, zu erweiſen, klagten die Sieben auf Auszahlung ihres rückſtändigen Gehalts für das letzte Halbjahr. Da befahl der König der Juſtizcanzlei in Hannover durch ein Cabinetsſchreiben des allezeit willigen Leiſt: ſie ſolle die Klage einfach abweiſen. Als der redliche Canzleidirector v. Hinüber ſich dieſem rechtswidrigen Anſinnen widerſetzte, da befürchtete Leiſt, die Juſtizcanzlei würde das königliche Cabinet verurtheilen, oder auch die Profeſſoren könnten beim Bundestage wegen verweigerter Juſtiz klagen. Um Beides zu verhindern, beſchloß man den Competenzconflict zu erheben. Die Commiſſion, welche die Competenzconflicte zu entſcheiden hatte, war freilich durch die Aufhebung des Staatsgrundgeſetzes vernichtet**); welches Recht ſtand denn noch feſt in dem zerrütteten Staate? Indeß gelang es die Sache ſo lange hinzuhalten, bis Ernſt Auguſt einen neuen Staats- rath gebildet hatte, und dieſer entſchied (1841): das Gericht dürfe die Klage nicht annehmen, weil Entlaſſung und Gehaltsentziehung zu den Hoheitsrechten des Landesherrn gehörten. Der Welfe hoffte noch lange, die Federfuchſer würden ſich demüthigen, und ſagte in Alexander Hum- boldt’s Gegenwart: Profeſſoren, Huren und Ballettänzerinnen kann man für Geld überall haben. Sobald Schele das falſche Gerücht hörte, daß Albrecht und Ewald das Geſchehene bedauerten, ſchrieb er ſogleich nach Göttingen: die Wiederanſtellung ſei nicht unmöglich, falls die Beiden wirk- lich Reue bezeigten.***) Leider gab die Haltung der anderen Profeſſoren dem Könige einigen *) Bericht des Prorectors Bergmann an das k. Cabinet, 30. Dec. 1837. Beſcheid, 2. Jan. 1838. **) Schreiben der Juſtizcanzlei in Hannover an das k. Cabinet, 26. Nov. Leiſt an Schele, 2. Dec. 1838. ***) Schele an Langenbeck, 28. Dec. 1837. †) Aufzeichnung des Prorectors Bergmann und der vier Decane, Rotenkirchen,
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IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
Landdragoner über die Grenze zu ſchaffen. *) Um die offenbare Ungeſetz-
lichkeit ihrer Entlaſſung auf dem einzigen gerichtlichen Wege, der ihnen
noch offen ſtand, zu erweiſen, klagten die Sieben auf Auszahlung ihres
rückſtändigen Gehalts für das letzte Halbjahr. Da befahl der König der
Juſtizcanzlei in Hannover durch ein Cabinetsſchreiben des allezeit willigen
Leiſt: ſie ſolle die Klage einfach abweiſen. Als der redliche Canzleidirector
v. Hinüber ſich dieſem rechtswidrigen Anſinnen widerſetzte, da befürchtete
Leiſt, die Juſtizcanzlei würde das königliche Cabinet verurtheilen, oder auch
die Profeſſoren könnten beim Bundestage wegen verweigerter Juſtiz klagen.
Um Beides zu verhindern, beſchloß man den Competenzconflict zu erheben.
Die Commiſſion, welche die Competenzconflicte zu entſcheiden hatte, war
freilich durch die Aufhebung des Staatsgrundgeſetzes vernichtet **); welches
Recht ſtand denn noch feſt in dem zerrütteten Staate? Indeß gelang es
die Sache ſo lange hinzuhalten, bis Ernſt Auguſt einen neuen Staats-
rath gebildet hatte, und dieſer entſchied (1841): das Gericht dürfe die
Klage nicht annehmen, weil Entlaſſung und Gehaltsentziehung zu den
Hoheitsrechten des Landesherrn gehörten. Der Welfe hoffte noch lange,
die Federfuchſer würden ſich demüthigen, und ſagte in Alexander Hum-
boldt’s Gegenwart: Profeſſoren, Huren und Ballettänzerinnen kann man
für Geld überall haben. Sobald Schele das falſche Gerücht hörte, daß
Albrecht und Ewald das Geſchehene bedauerten, ſchrieb er ſogleich nach
Göttingen: die Wiederanſtellung ſei nicht unmöglich, falls die Beiden wirk-
lich Reue bezeigten. ***)
Leider gab die Haltung der anderen Profeſſoren dem Könige einigen
Grund, ſo niedrig zu denken von dem Muthe der Gelehrten. Die Gelehr-
ſamkeit der Georgia Auguſta hatte ſich den Kämpfen des öffentlichen Lebens
von jeher grundſätzlich fern gehalten; manche der alten Hofräthe empfan-
den es wie eine Beleidigung ihrer Amtsehre, daß ſie jetzt in die Wirren
der Politik hineingeriſſen wurden. Wenige Tage nachdem die Erklärung der
Sieben ruchbar geworden, fuhren der Prorector und die Decane nach dem
Jagdſchloſſe Rotenkirchen im Solling, um dem Könige unterthänig aus-
zuſprechen, „daß ſie in dem Vertrauen zu den landesväterlichen Abſichten
Sr. Maj. überall nicht wanken und niemals Geſinnungen hegen werden,
welche dem entgegen ſind.“ †) Sie wagten ſogar kein Wort der Erwiderung,
als die amtliche Hannöverſche Zeitung nachher dem Prorector eine völlig ge-
fälſchte, die That der Sieben entſchieden verwerfende Rede unterſchob. Nur
*) Bericht des Prorectors Bergmann an das k. Cabinet, 30. Dec. 1837. Beſcheid,
2. Jan. 1838.
**) Schreiben der Juſtizcanzlei in Hannover an das k. Cabinet, 26. Nov. Leiſt an
Schele, 2. Dec. 1838.
***) Schele an Langenbeck, 28. Dec. 1837.
†) Aufzeichnung des Prorectors Bergmann und der vier Decane, Rotenkirchen,
30. Nov. 1837.
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