bestieg, rettete er durch seine kluge Fügsamkeit gegen die Londoner Con- ferenzen den belgischen Staat vom sicheren Verderben, und mit der gleichen diplomatischen Meisterschaft verstand er während eines Menschen- alters zwischen den beiden großen Parteien hindurchzusteuern, so daß er sich nicht nur persönlich den Dank der Belgier verdiente, sondern sogar ein schwaches Gefühl dynastischer Anhänglichkeit in diesem Staate von gestern wachrief. Als Freimaurer und alter Freund der Whigs den Liberalen willkommen, gewann er auch das Vertrauen der Clericalen und nahm selbst den eifernden Papst Gregor XVI. für sich ein. Obwohl er die Verfassung gewissenhaft einhielt und seine Ministerien je nach den wechselnden Abstimmungen der Kammern bereitwillig veränderte, blieb er sich doch seiner Ueberlegenheit stets bewußt und sagte zu Vertrauten: "für Belgien wie es gegenwärtig ist, bin ich der Staat."
Alle Fäden der auswärtigen wie der inneren Politik des Landes liefen zusammen im Schlosse von Laeken, wo dieser Stille bedachtsam seine Netze wob -- eine hohe, schlanke Gestalt mit blassen, vornehmen Zügen, dunklen schwermüthigen Augen und glatt anliegender schwarzer Perrücke, leise im Sprechen, langsam, müde in den Bewegungen, ver- schwiegen in Allem, im Geschäft so gut wie in der Liederlichkeit. In England nannte man ihn den Monsieur Peu-a-peu, den Marquis Tout- doucement; an den deutschen Höfen, die ihm allerdings nicht wohlwollten, hieß er Leopold Schleicher. Stundenlang konnte er, stumm über seinen Plänen brütend, vor seinem Schildpattkästchen Goldfäden drieseln, derweil man dem gewiegten Kenner Sonaten vorspielte oder aus gelehrten Werken, aus Memoiren, aus Romanen vorlas. Eine höhere Sittlichkeit als den klug rechnenden Weltsinn kannte er nicht; als einer seiner Neffen ein- gesegnet wurde, warnte er ihn vor dem Egoismus also: "es ist im In- teresse vieler Leute, diese höchst unliebenswürdige Eigenschaft bei einem jungen Fürsten auszubilden und späterhin als eine ergiebige Mine zu exploitiren." Tapfer auf dem Schlachtfelde, aber im täglichen Leben ängstlich auf sein Leibeswohl bedacht, verstand er auch die Kunst des Kaufmanns aus dem Grunde. Um politische Freunde zu gewinnen, bezwang er zuweilen seine Sparsamkeit und spendete mit vollen Händen; durch seine Verbindung mit der Börse brachte er dann die Verluste wie- der ein und sammelte das große Vermögen an, dessen die demokratische Krone in diesem gewerbfleißigen Volke bedurfte. Dergestalt kam mit den beiden Bürgerkönigen der Juli-Revolution, mit den Häusern Orleans und Coburg ein neuer Menschenschlag in die Reihen des europäischen hohen Adels: geriebene Geschäftsleute mit dem Kurszettel in der Tasche, schlicht und unscheinbar in ihrem Auftreten, Günstlinge der Fortuna gleich den Tyrannen des Cinquecento, durchaus unempfänglich für die Gefühle der Ritterlichkeit und der historischen Pietät, aber im Grunde des Herzens ganz ebenso hochmüthig wie der aristokratische Fürstenstand der alten Zeit.
6*
König Leopold.
beſtieg, rettete er durch ſeine kluge Fügſamkeit gegen die Londoner Con- ferenzen den belgiſchen Staat vom ſicheren Verderben, und mit der gleichen diplomatiſchen Meiſterſchaft verſtand er während eines Menſchen- alters zwiſchen den beiden großen Parteien hindurchzuſteuern, ſo daß er ſich nicht nur perſönlich den Dank der Belgier verdiente, ſondern ſogar ein ſchwaches Gefühl dynaſtiſcher Anhänglichkeit in dieſem Staate von geſtern wachrief. Als Freimaurer und alter Freund der Whigs den Liberalen willkommen, gewann er auch das Vertrauen der Clericalen und nahm ſelbſt den eifernden Papſt Gregor XVI. für ſich ein. Obwohl er die Verfaſſung gewiſſenhaft einhielt und ſeine Miniſterien je nach den wechſelnden Abſtimmungen der Kammern bereitwillig veränderte, blieb er ſich doch ſeiner Ueberlegenheit ſtets bewußt und ſagte zu Vertrauten: „für Belgien wie es gegenwärtig iſt, bin ich der Staat.“
Alle Fäden der auswärtigen wie der inneren Politik des Landes liefen zuſammen im Schloſſe von Laeken, wo dieſer Stille bedachtſam ſeine Netze wob — eine hohe, ſchlanke Geſtalt mit blaſſen, vornehmen Zügen, dunklen ſchwermüthigen Augen und glatt anliegender ſchwarzer Perrücke, leiſe im Sprechen, langſam, müde in den Bewegungen, ver- ſchwiegen in Allem, im Geſchäft ſo gut wie in der Liederlichkeit. In England nannte man ihn den Monſieur Peu-à-peu, den Marquis Tout- doucement; an den deutſchen Höfen, die ihm allerdings nicht wohlwollten, hieß er Leopold Schleicher. Stundenlang konnte er, ſtumm über ſeinen Plänen brütend, vor ſeinem Schildpattkäſtchen Goldfäden drieſeln, derweil man dem gewiegten Kenner Sonaten vorſpielte oder aus gelehrten Werken, aus Memoiren, aus Romanen vorlas. Eine höhere Sittlichkeit als den klug rechnenden Weltſinn kannte er nicht; als einer ſeiner Neffen ein- geſegnet wurde, warnte er ihn vor dem Egoismus alſo: „es iſt im In- tereſſe vieler Leute, dieſe höchſt unliebenswürdige Eigenſchaft bei einem jungen Fürſten auszubilden und ſpäterhin als eine ergiebige Mine zu exploitiren.“ Tapfer auf dem Schlachtfelde, aber im täglichen Leben ängſtlich auf ſein Leibeswohl bedacht, verſtand er auch die Kunſt des Kaufmanns aus dem Grunde. Um politiſche Freunde zu gewinnen, bezwang er zuweilen ſeine Sparſamkeit und ſpendete mit vollen Händen; durch ſeine Verbindung mit der Börſe brachte er dann die Verluſte wie- der ein und ſammelte das große Vermögen an, deſſen die demokratiſche Krone in dieſem gewerbfleißigen Volke bedurfte. Dergeſtalt kam mit den beiden Bürgerkönigen der Juli-Revolution, mit den Häuſern Orleans und Coburg ein neuer Menſchenſchlag in die Reihen des europäiſchen hohen Adels: geriebene Geſchäftsleute mit dem Kurszettel in der Taſche, ſchlicht und unſcheinbar in ihrem Auftreten, Günſtlinge der Fortuna gleich den Tyrannen des Cinquecento, durchaus unempfänglich für die Gefühle der Ritterlichkeit und der hiſtoriſchen Pietät, aber im Grunde des Herzens ganz ebenſo hochmüthig wie der ariſtokratiſche Fürſtenſtand der alten Zeit.
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König Leopold.
beſtieg, rettete er durch ſeine kluge Fügſamkeit gegen die Londoner Con-
ferenzen den belgiſchen Staat vom ſicheren Verderben, und mit der
gleichen diplomatiſchen Meiſterſchaft verſtand er während eines Menſchen-
alters zwiſchen den beiden großen Parteien hindurchzuſteuern, ſo daß er
ſich nicht nur perſönlich den Dank der Belgier verdiente, ſondern ſogar
ein ſchwaches Gefühl dynaſtiſcher Anhänglichkeit in dieſem Staate von
geſtern wachrief. Als Freimaurer und alter Freund der Whigs den
Liberalen willkommen, gewann er auch das Vertrauen der Clericalen und
nahm ſelbſt den eifernden Papſt Gregor XVI. für ſich ein. Obwohl er
die Verfaſſung gewiſſenhaft einhielt und ſeine Miniſterien je nach den
wechſelnden Abſtimmungen der Kammern bereitwillig veränderte, blieb er
ſich doch ſeiner Ueberlegenheit ſtets bewußt und ſagte zu Vertrauten:
„für Belgien wie es gegenwärtig iſt, bin ich der Staat.“
Alle Fäden der auswärtigen wie der inneren Politik des Landes
liefen zuſammen im Schloſſe von Laeken, wo dieſer Stille bedachtſam
ſeine Netze wob — eine hohe, ſchlanke Geſtalt mit blaſſen, vornehmen
Zügen, dunklen ſchwermüthigen Augen und glatt anliegender ſchwarzer
Perrücke, leiſe im Sprechen, langſam, müde in den Bewegungen, ver-
ſchwiegen in Allem, im Geſchäft ſo gut wie in der Liederlichkeit. In
England nannte man ihn den Monſieur Peu-à-peu, den Marquis Tout-
doucement; an den deutſchen Höfen, die ihm allerdings nicht wohlwollten,
hieß er Leopold Schleicher. Stundenlang konnte er, ſtumm über ſeinen
Plänen brütend, vor ſeinem Schildpattkäſtchen Goldfäden drieſeln, derweil
man dem gewiegten Kenner Sonaten vorſpielte oder aus gelehrten Werken,
aus Memoiren, aus Romanen vorlas. Eine höhere Sittlichkeit als den
klug rechnenden Weltſinn kannte er nicht; als einer ſeiner Neffen ein-
geſegnet wurde, warnte er ihn vor dem Egoismus alſo: „es iſt im In-
tereſſe vieler Leute, dieſe höchſt unliebenswürdige Eigenſchaft bei einem
jungen Fürſten auszubilden und ſpäterhin als eine ergiebige Mine zu
exploitiren.“ Tapfer auf dem Schlachtfelde, aber im täglichen Leben
ängſtlich auf ſein Leibeswohl bedacht, verſtand er auch die Kunſt des
Kaufmanns aus dem Grunde. Um politiſche Freunde zu gewinnen,
bezwang er zuweilen ſeine Sparſamkeit und ſpendete mit vollen Händen;
durch ſeine Verbindung mit der Börſe brachte er dann die Verluſte wie-
der ein und ſammelte das große Vermögen an, deſſen die demokratiſche
Krone in dieſem gewerbfleißigen Volke bedurfte. Dergeſtalt kam mit den
beiden Bürgerkönigen der Juli-Revolution, mit den Häuſern Orleans und
Coburg ein neuer Menſchenſchlag in die Reihen des europäiſchen hohen
Adels: geriebene Geſchäftsleute mit dem Kurszettel in der Taſche, ſchlicht
und unſcheinbar in ihrem Auftreten, Günſtlinge der Fortuna gleich den
Tyrannen des Cinquecento, durchaus unempfänglich für die Gefühle der
Ritterlichkeit und der hiſtoriſchen Pietät, aber im Grunde des Herzens
ganz ebenſo hochmüthig wie der ariſtokratiſche Fürſtenſtand der alten Zeit.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/97>, abgerufen am 28.11.2024.
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