Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Sonntagsfeier. Rheinische Autonomen. testen lärmten die jüdischen Journalisten, weil ihre Leute zwar den jüdischenSabbath streng einhielten, den christlichen Sonntag aber für ihre Geld- geschäfte mit den Bauern zu benutzen pflegten. Bald erzählte man allent- halben, der König und sein unheimlicher Helfershelfer Eichhorn wollten die harte, dem deutschen Gemüthe unerträgliche englische Sonntagsfeier einführen. Für diese finstere Sitte hegte Friedrich Wilhelm allerdings, weil er alles Englische überschätzte, eine theoretische Vorliebe; doch war er keineswegs gesonnen sie seinem Volke aufzuzwingen. Ganz leise, ohne Verletzung alter Gewohnheiten, wollte er die Zügel etwas fester anziehen; er verlangte nur, "daß die vorhandenen Bestimmungen in Kraft bleiben und das Dawiderhandeln endlich einmal bestraft werden solle".*) Selbst diese wahrlich bescheidene Absicht konnte er, bei dem allgemeinen stillen Widerstreben, nicht durchsetzen. Ebenso gründlich ward er mißverstanden, als er einigen der strengeren Geistlichen Berlins auf ihren Wunsch er- laubte, ihre verwilderten Gemeindemitglieder im Hause zu besuchen, und dann den Plan faßte, eigene Hilfsgeistliche für diese ganz verabsäumten Pflichten der Seelsorge anzustellen. Da hieß es sofort, eine Sittenpolizei mit geheimen Angebern solle eingeführt werden, und diese Gerüchte wirkten so aufregend, daß der Prinz von Preußen selbst das Ministerium auf- forderte ihnen öffentlich zu widersprechen.**) Wie konnte bei solcher Stimmung des Volks das neue Adelsgesetz *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Nov. 1844. **) Prinz von Preußen an Thile 29. April, Antwort 1. Mai 1843. ***) Eingaben rheinischer Ritter (Frhr. v. Mirbach u. Gen.) 1833 ff.
Sonntagsfeier. Rheiniſche Autonomen. teſten lärmten die jüdiſchen Journaliſten, weil ihre Leute zwar den jüdiſchenSabbath ſtreng einhielten, den chriſtlichen Sonntag aber für ihre Geld- geſchäfte mit den Bauern zu benutzen pflegten. Bald erzählte man allent- halben, der König und ſein unheimlicher Helfershelfer Eichhorn wollten die harte, dem deutſchen Gemüthe unerträgliche engliſche Sonntagsfeier einführen. Für dieſe finſtere Sitte hegte Friedrich Wilhelm allerdings, weil er alles Engliſche überſchätzte, eine theoretiſche Vorliebe; doch war er keineswegs geſonnen ſie ſeinem Volke aufzuzwingen. Ganz leiſe, ohne Verletzung alter Gewohnheiten, wollte er die Zügel etwas feſter anziehen; er verlangte nur, „daß die vorhandenen Beſtimmungen in Kraft bleiben und das Dawiderhandeln endlich einmal beſtraft werden ſolle“.*) Selbſt dieſe wahrlich beſcheidene Abſicht konnte er, bei dem allgemeinen ſtillen Widerſtreben, nicht durchſetzen. Ebenſo gründlich ward er mißverſtanden, als er einigen der ſtrengeren Geiſtlichen Berlins auf ihren Wunſch er- laubte, ihre verwilderten Gemeindemitglieder im Hauſe zu beſuchen, und dann den Plan faßte, eigene Hilfsgeiſtliche für dieſe ganz verabſäumten Pflichten der Seelſorge anzuſtellen. Da hieß es ſofort, eine Sittenpolizei mit geheimen Angebern ſolle eingeführt werden, und dieſe Gerüchte wirkten ſo aufregend, daß der Prinz von Preußen ſelbſt das Miniſterium auf- forderte ihnen öffentlich zu widerſprechen.**) Wie konnte bei ſolcher Stimmung des Volks das neue Adelsgeſetz *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Nov. 1844. **) Prinz von Preußen an Thile 29. April, Antwort 1. Mai 1843. ***) Eingaben rheiniſcher Ritter (Frhr. v. Mirbach u. Gen.) 1833 ff.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0269" n="255"/><fw place="top" type="header">Sonntagsfeier. Rheiniſche Autonomen.</fw><lb/> teſten lärmten die jüdiſchen Journaliſten, weil ihre Leute zwar den jüdiſchen<lb/> Sabbath ſtreng einhielten, den chriſtlichen Sonntag aber für ihre Geld-<lb/> geſchäfte mit den Bauern zu benutzen pflegten. Bald erzählte man allent-<lb/> halben, der König und ſein unheimlicher Helfershelfer Eichhorn wollten<lb/> die harte, dem deutſchen Gemüthe unerträgliche engliſche Sonntagsfeier<lb/> einführen. Für dieſe finſtere Sitte hegte Friedrich Wilhelm allerdings,<lb/> weil er alles Engliſche überſchätzte, eine theoretiſche Vorliebe; doch war<lb/> er keineswegs geſonnen ſie ſeinem Volke aufzuzwingen. Ganz leiſe, ohne<lb/> Verletzung alter Gewohnheiten, wollte er die Zügel etwas feſter anziehen;<lb/> er verlangte nur, „daß die vorhandenen Beſtimmungen in Kraft bleiben<lb/> und das Dawiderhandeln endlich einmal beſtraft werden ſolle“.<note place="foot" n="*)">König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Nov. 1844.</note> Selbſt<lb/> dieſe wahrlich beſcheidene Abſicht konnte er, bei dem allgemeinen ſtillen<lb/> Widerſtreben, nicht durchſetzen. Ebenſo gründlich ward er mißverſtanden,<lb/> als er einigen der ſtrengeren Geiſtlichen Berlins auf ihren Wunſch er-<lb/> laubte, ihre verwilderten Gemeindemitglieder im Hauſe zu beſuchen, und<lb/> dann den Plan faßte, eigene Hilfsgeiſtliche für dieſe ganz verabſäumten<lb/> Pflichten der Seelſorge anzuſtellen. Da hieß es ſofort, eine Sittenpolizei<lb/> mit geheimen Angebern ſolle eingeführt werden, und dieſe Gerüchte wirkten<lb/> ſo aufregend, daß der Prinz von Preußen ſelbſt das Miniſterium auf-<lb/> forderte ihnen öffentlich zu widerſprechen.<note place="foot" n="**)">Prinz von Preußen an Thile 29. April, Antwort 1. Mai 1843.</note></p><lb/> <p>Wie konnte bei ſolcher Stimmung des Volks das neue Adelsgeſetz<lb/> gelingen, an dem der König ſieben Jahre hindurch in der Stille beſtändig<lb/> arbeiten ließ? Der Adel war der einzige der alten Geburtsſtände, der<lb/> ſich in einer demokratiſirten Geſellſchaft unter lauter Berufsſtänden noch<lb/> erhalten hatte, und gehörte doch zugleich ſelbſt dieſen neuen Berufsklaſſen,<lb/> den höchſten wie den niederſten an; darum erſchien er den neuen beſitzen-<lb/> den Klaſſen wie eine fremdartige, feindſelige Macht oder auch wie eine<lb/> Lächerlichkeit, und nichts konnte die öffentliche Meinung ſtärker beleidigen<lb/> als eine Begünſtigung adlicher Standesrechte. Das mußte noch der alte<lb/> König erfahren, als er (16. Jan. 1836) den Häuptern der alten rhei-<lb/> niſchen Reichsritterſchaft, nachher auch noch den Häuptern einiger weſt-<lb/> phäliſchen Geſchlechter, das Recht ertheilte, nach dem Brauche früherer<lb/> Zeit wieder durch autonomiſche Beſtimmungen über ihren Nachlaß zu<lb/> verfügen. Dieſe Cabinetsordre, die man nicht einmal in der Geſetzſamm-<lb/> lung abzudrucken wagte, war durch wiederholte Bitten der rheiniſchen Ritter-<lb/> ſchaft veranlaßt<note place="foot" n="***)">Eingaben rheiniſcher Ritter (Frhr. v. Mirbach u. Gen.) 1833 ff.</note> und bezweckte nur die alten Geſchlechter im Beſitze<lb/> ihrer Stammgüter zu erhalten; ſie kränkte keinen anderen Stand in<lb/> ſeinen Rechten, da ſie ja nur den jüngeren Söhnen des Adels ſelbſt ihre<lb/> Erbanſprüche verkümmerte. Doch ſie widerſprach dem gemeinen Rechte,<lb/> und wider jede ſociale Ungleichheit, wider jede Gebundenheit des Grund-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [255/0269]
Sonntagsfeier. Rheiniſche Autonomen.
teſten lärmten die jüdiſchen Journaliſten, weil ihre Leute zwar den jüdiſchen
Sabbath ſtreng einhielten, den chriſtlichen Sonntag aber für ihre Geld-
geſchäfte mit den Bauern zu benutzen pflegten. Bald erzählte man allent-
halben, der König und ſein unheimlicher Helfershelfer Eichhorn wollten
die harte, dem deutſchen Gemüthe unerträgliche engliſche Sonntagsfeier
einführen. Für dieſe finſtere Sitte hegte Friedrich Wilhelm allerdings,
weil er alles Engliſche überſchätzte, eine theoretiſche Vorliebe; doch war
er keineswegs geſonnen ſie ſeinem Volke aufzuzwingen. Ganz leiſe, ohne
Verletzung alter Gewohnheiten, wollte er die Zügel etwas feſter anziehen;
er verlangte nur, „daß die vorhandenen Beſtimmungen in Kraft bleiben
und das Dawiderhandeln endlich einmal beſtraft werden ſolle“. *) Selbſt
dieſe wahrlich beſcheidene Abſicht konnte er, bei dem allgemeinen ſtillen
Widerſtreben, nicht durchſetzen. Ebenſo gründlich ward er mißverſtanden,
als er einigen der ſtrengeren Geiſtlichen Berlins auf ihren Wunſch er-
laubte, ihre verwilderten Gemeindemitglieder im Hauſe zu beſuchen, und
dann den Plan faßte, eigene Hilfsgeiſtliche für dieſe ganz verabſäumten
Pflichten der Seelſorge anzuſtellen. Da hieß es ſofort, eine Sittenpolizei
mit geheimen Angebern ſolle eingeführt werden, und dieſe Gerüchte wirkten
ſo aufregend, daß der Prinz von Preußen ſelbſt das Miniſterium auf-
forderte ihnen öffentlich zu widerſprechen. **)
Wie konnte bei ſolcher Stimmung des Volks das neue Adelsgeſetz
gelingen, an dem der König ſieben Jahre hindurch in der Stille beſtändig
arbeiten ließ? Der Adel war der einzige der alten Geburtsſtände, der
ſich in einer demokratiſirten Geſellſchaft unter lauter Berufsſtänden noch
erhalten hatte, und gehörte doch zugleich ſelbſt dieſen neuen Berufsklaſſen,
den höchſten wie den niederſten an; darum erſchien er den neuen beſitzen-
den Klaſſen wie eine fremdartige, feindſelige Macht oder auch wie eine
Lächerlichkeit, und nichts konnte die öffentliche Meinung ſtärker beleidigen
als eine Begünſtigung adlicher Standesrechte. Das mußte noch der alte
König erfahren, als er (16. Jan. 1836) den Häuptern der alten rhei-
niſchen Reichsritterſchaft, nachher auch noch den Häuptern einiger weſt-
phäliſchen Geſchlechter, das Recht ertheilte, nach dem Brauche früherer
Zeit wieder durch autonomiſche Beſtimmungen über ihren Nachlaß zu
verfügen. Dieſe Cabinetsordre, die man nicht einmal in der Geſetzſamm-
lung abzudrucken wagte, war durch wiederholte Bitten der rheiniſchen Ritter-
ſchaft veranlaßt ***) und bezweckte nur die alten Geſchlechter im Beſitze
ihrer Stammgüter zu erhalten; ſie kränkte keinen anderen Stand in
ſeinen Rechten, da ſie ja nur den jüngeren Söhnen des Adels ſelbſt ihre
Erbanſprüche verkümmerte. Doch ſie widerſprach dem gemeinen Rechte,
und wider jede ſociale Ungleichheit, wider jede Gebundenheit des Grund-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Nov. 1844.
**) Prinz von Preußen an Thile 29. April, Antwort 1. Mai 1843.
***) Eingaben rheiniſcher Ritter (Frhr. v. Mirbach u. Gen.) 1833 ff.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |