sein ganzes Wesen an Justus Möser. Höchst unscheinbar gekleidet, fiel er sogleich auf durch seine hohe kriegerische Gestalt und durch den treu- herzigen Blick seiner offenen, großen Augen. Ursprüngliche Kraft, un- schuldige Frische sprach aus seinem ganzen Wesen, und General Gerlach, der den "liberalen" Minister durchaus nicht liebte, sagte wohl: so un- gefähr muß Adam ausgesehen haben. Der letzte hervorragende Vertreter des alten absolutistischen Beamtenthums, hielt er sich im Gewissen ver- pflichtet, die Willensmeinung des Königs, sofern sie nur dem Rechte nicht offenbar widersprach, mit der ganzen Selbstverleugnung eines altgermanischen Vasallen zu vertheidigen. Er hatte bei der Berathung des Patents wieder und wieder die Bedenken hervorgehoben, die ihm sein schlichter Geschäfts- verstand aufdrängte; und auch jetzt erkannte er, nachdem der Unwille der ersten Ueberraschung überstanden war, im Stillen sehr wohl, wie richtig Kühne urtheilte. Aber der Monarch hatte gesprochen, an seinem Willen ließ sich nichts mehr ändern. Bei der Eröffnung des Vereinigten Landtags drückte Bodelschwingh dem treuen Freunde die Hand und sagte bewegt in seinem heimischen Platt: es geht nicht anders; "wir sind davör, wir möt dadör.*)" --
Als die Mitglieder des Vereinigten Landtags zu Anfang Aprils in Berlin eintrafen, da begann der erste große parlamentarische Kampf der deutschen Geschichte, ein Schauspiel, das alle die Händel der kleinen Land- tage ganz in den Schatten stellte, und zum allgemeinen Erstaunen ward offenbar, welche gewaltigen staatsbildenden Kräfte Deutschland in diesem Preußen besaß. Die Männer, die hier von der belgischen und der rus- sischen Grenze, von der Ostsee und den thüringischen Bergen her zu- sammenkamen, fühlten sich allesammt als Söhne eines Volkes, allein das kleine Häuflein der Polen ausgenommen, und trugen mit Stolz den Namen der Preußen. In der langen wohlthätigen Stille der Herr- schaft des verstorbenen Königs hatten der alte Stammeshaß und die landschaftlichen Sonder-Erinnerungen viel von ihrer Schärfe verloren -- ein Ergebniß, das sich bei freierem öffentlichen Leben schwerlich so bald hätte erreichen lassen; dann waren, unter dem aufregenden Regimente des Nachfolgers, überall im Osten wie im Westen neue politische Ideen erwacht, aus denen leicht große gesammt-preußische Parteien hervorgehen konnten. Gleich bei den ersten Vorbesprechungen ward man inne, daß diese neuen Parteigegensätze zwar trennend, aber noch mehr verbindend wirkten; denn der Riß der Parteiung ging mitten durch alle Provinzen, die Mehrheit der Rheinländer und der Ostpreußen bildeten den Kern der Opposition, gerade die entlegensten Landestheile fanden sich in guter Freund-
*) Nach Kühne's Aufzeichnungen.
Bodelſchwingh.
ſein ganzes Weſen an Juſtus Möſer. Höchſt unſcheinbar gekleidet, fiel er ſogleich auf durch ſeine hohe kriegeriſche Geſtalt und durch den treu- herzigen Blick ſeiner offenen, großen Augen. Urſprüngliche Kraft, un- ſchuldige Friſche ſprach aus ſeinem ganzen Weſen, und General Gerlach, der den „liberalen“ Miniſter durchaus nicht liebte, ſagte wohl: ſo un- gefähr muß Adam ausgeſehen haben. Der letzte hervorragende Vertreter des alten abſolutiſtiſchen Beamtenthums, hielt er ſich im Gewiſſen ver- pflichtet, die Willensmeinung des Königs, ſofern ſie nur dem Rechte nicht offenbar widerſprach, mit der ganzen Selbſtverleugnung eines altgermaniſchen Vaſallen zu vertheidigen. Er hatte bei der Berathung des Patents wieder und wieder die Bedenken hervorgehoben, die ihm ſein ſchlichter Geſchäfts- verſtand aufdrängte; und auch jetzt erkannte er, nachdem der Unwille der erſten Ueberraſchung überſtanden war, im Stillen ſehr wohl, wie richtig Kühne urtheilte. Aber der Monarch hatte geſprochen, an ſeinem Willen ließ ſich nichts mehr ändern. Bei der Eröffnung des Vereinigten Landtags drückte Bodelſchwingh dem treuen Freunde die Hand und ſagte bewegt in ſeinem heimiſchen Platt: es geht nicht anders; „wir ſind davör, wir möt dadör.*)“ —
Als die Mitglieder des Vereinigten Landtags zu Anfang Aprils in Berlin eintrafen, da begann der erſte große parlamentariſche Kampf der deutſchen Geſchichte, ein Schauſpiel, das alle die Händel der kleinen Land- tage ganz in den Schatten ſtellte, und zum allgemeinen Erſtaunen ward offenbar, welche gewaltigen ſtaatsbildenden Kräfte Deutſchland in dieſem Preußen beſaß. Die Männer, die hier von der belgiſchen und der ruſ- ſiſchen Grenze, von der Oſtſee und den thüringiſchen Bergen her zu- ſammenkamen, fühlten ſich alleſammt als Söhne eines Volkes, allein das kleine Häuflein der Polen ausgenommen, und trugen mit Stolz den Namen der Preußen. In der langen wohlthätigen Stille der Herr- ſchaft des verſtorbenen Königs hatten der alte Stammeshaß und die landſchaftlichen Sonder-Erinnerungen viel von ihrer Schärfe verloren — ein Ergebniß, das ſich bei freierem öffentlichen Leben ſchwerlich ſo bald hätte erreichen laſſen; dann waren, unter dem aufregenden Regimente des Nachfolgers, überall im Oſten wie im Weſten neue politiſche Ideen erwacht, aus denen leicht große geſammt-preußiſche Parteien hervorgehen konnten. Gleich bei den erſten Vorbeſprechungen ward man inne, daß dieſe neuen Parteigegenſätze zwar trennend, aber noch mehr verbindend wirkten; denn der Riß der Parteiung ging mitten durch alle Provinzen, die Mehrheit der Rheinländer und der Oſtpreußen bildeten den Kern der Oppoſition, gerade die entlegenſten Landestheile fanden ſich in guter Freund-
*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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Bodelſchwingh.
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er ſogleich auf durch ſeine hohe kriegeriſche Geſtalt und durch den treu-
herzigen Blick ſeiner offenen, großen Augen. Urſprüngliche Kraft, un-
ſchuldige Friſche ſprach aus ſeinem ganzen Weſen, und General Gerlach,
der den „liberalen“ Miniſter durchaus nicht liebte, ſagte wohl: ſo un-
gefähr muß Adam ausgeſehen haben. Der letzte hervorragende Vertreter
des alten abſolutiſtiſchen Beamtenthums, hielt er ſich im Gewiſſen ver-
pflichtet, die Willensmeinung des Königs, ſofern ſie nur dem Rechte nicht
offenbar widerſprach, mit der ganzen Selbſtverleugnung eines altgermaniſchen
Vaſallen zu vertheidigen. Er hatte bei der Berathung des Patents wieder
und wieder die Bedenken hervorgehoben, die ihm ſein ſchlichter Geſchäfts-
verſtand aufdrängte; und auch jetzt erkannte er, nachdem der Unwille der
erſten Ueberraſchung überſtanden war, im Stillen ſehr wohl, wie richtig
Kühne urtheilte. Aber der Monarch hatte geſprochen, an ſeinem Willen ließ
ſich nichts mehr ändern. Bei der Eröffnung des Vereinigten Landtags
drückte Bodelſchwingh dem treuen Freunde die Hand und ſagte bewegt
in ſeinem heimiſchen Platt: es geht nicht anders; „wir ſind davör, wir
möt dadör. *)“ —
Als die Mitglieder des Vereinigten Landtags zu Anfang Aprils in
Berlin eintrafen, da begann der erſte große parlamentariſche Kampf der
deutſchen Geſchichte, ein Schauſpiel, das alle die Händel der kleinen Land-
tage ganz in den Schatten ſtellte, und zum allgemeinen Erſtaunen ward
offenbar, welche gewaltigen ſtaatsbildenden Kräfte Deutſchland in dieſem
Preußen beſaß. Die Männer, die hier von der belgiſchen und der ruſ-
ſiſchen Grenze, von der Oſtſee und den thüringiſchen Bergen her zu-
ſammenkamen, fühlten ſich alleſammt als Söhne eines Volkes, allein
das kleine Häuflein der Polen ausgenommen, und trugen mit Stolz
den Namen der Preußen. In der langen wohlthätigen Stille der Herr-
ſchaft des verſtorbenen Königs hatten der alte Stammeshaß und die
landſchaftlichen Sonder-Erinnerungen viel von ihrer Schärfe verloren —
ein Ergebniß, das ſich bei freierem öffentlichen Leben ſchwerlich ſo bald
hätte erreichen laſſen; dann waren, unter dem aufregenden Regimente
des Nachfolgers, überall im Oſten wie im Weſten neue politiſche Ideen
erwacht, aus denen leicht große geſammt-preußiſche Parteien hervorgehen
konnten. Gleich bei den erſten Vorbeſprechungen ward man inne, daß
dieſe neuen Parteigegenſätze zwar trennend, aber noch mehr verbindend
wirkten; denn der Riß der Parteiung ging mitten durch alle Provinzen, die
Mehrheit der Rheinländer und der Oſtpreußen bildeten den Kern der
Oppoſition, gerade die entlegenſten Landestheile fanden ſich in guter Freund-
*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/629>, abgerufen am 14.06.2024.
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