schaft zusammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land- tags besaßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber von dieser gefährlichen Befugniß versuchten nur zweimal, ganz zu Anfang der Tagung, einzelne Heißsporne Gebrauch zu machen. Beide male ver- geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur- gewalt der nationalen Einheit, der Ernst des preußischen Staatsgedankens hielt alle Sondergelüste darnieder. Das war es was Metternich vor Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oesterreich und Frankreich die ge- borenen Feinde der deutschen Einheit waren, und warnte Guizot vor den großen Gefahren, welche dieser Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe; er stachelte die particularistische Angst des Königs von Württemberg gegen das Deutschthum und den "Alles oder nichts sagenden Begriff" der Natio- nalität. Als festes Bollwerk wider das werdende Deutschland dort im Norden empfahl er den Deutschen Bund, die natürliche Stütze des Parti- cularismus.
Zum ersten male seit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände als eine selbständige Macht der Krone gegenüber; und wie stark und mannich- faltig erschien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältnissen des wirk- lichen deutschen Staates gewußt. "Preußen hat wieder einen Adel" -- so sagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land- läufige Zerrbild vom preußischen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf die tapferen, gebildeten, patriotischen Edelleute, die im Vereinigten Land- tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf- traten; viele von ihnen erklärten sich sogar bereit -- freisinniger als der bairische Adel -- auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Fast noch mehr überraschte die Deutschen der Kleinstaaten das stolze Selbst- gefühl des preußischen Bürgerthums, das in der älteren Geschichte der Monarchie fast immer nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte, jetzt aber, rasch erstarkt unter dem Schutze des Zollvereins, seine großen wirthschaft- lichen Interessen nachdrücklich vertrat. Auch das alte streng protestantische Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntnisse ward in den Formen überall sorgsam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhasser wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfest als einen Feiertag ehrte.
Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, großstädtischer Zug in das Berliner Leben, seit die Fürsten und Grafen des Westens, die schle- sischen Granden und der ostpreußische Adel, der bisher immer still da- heim geblieben war, alle bei Hofe erschienen und der König auch die Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu seinen Festen lud; erst seit diesen Anfängen der parlamentarischen Kämpfe begann Berlin zur wirklichen Hauptstadt zu werden. Und wie reich war dieser erste Land- tag an rednerischen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſchaft zuſammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land- tags beſaßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber von dieſer gefährlichen Befugniß verſuchten nur zweimal, ganz zu Anfang der Tagung, einzelne Heißſporne Gebrauch zu machen. Beide male ver- geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur- gewalt der nationalen Einheit, der Ernſt des preußiſchen Staatsgedankens hielt alle Sondergelüſte darnieder. Das war es was Metternich vor Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oeſterreich und Frankreich die ge- borenen Feinde der deutſchen Einheit waren, und warnte Guizot vor den großen Gefahren, welche dieſer Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe; er ſtachelte die particulariſtiſche Angſt des Königs von Württemberg gegen das Deutſchthum und den „Alles oder nichts ſagenden Begriff“ der Natio- nalität. Als feſtes Bollwerk wider das werdende Deutſchland dort im Norden empfahl er den Deutſchen Bund, die natürliche Stütze des Parti- cularismus.
Zum erſten male ſeit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände als eine ſelbſtändige Macht der Krone gegenüber; und wie ſtark und mannich- faltig erſchien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältniſſen des wirk- lichen deutſchen Staates gewußt. „Preußen hat wieder einen Adel“ — ſo ſagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land- läufige Zerrbild vom preußiſchen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf die tapferen, gebildeten, patriotiſchen Edelleute, die im Vereinigten Land- tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf- traten; viele von ihnen erklärten ſich ſogar bereit — freiſinniger als der bairiſche Adel — auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Faſt noch mehr überraſchte die Deutſchen der Kleinſtaaten das ſtolze Selbſt- gefühl des preußiſchen Bürgerthums, das in der älteren Geſchichte der Monarchie faſt immer nur eine beſcheidene Rolle geſpielt hatte, jetzt aber, raſch erſtarkt unter dem Schutze des Zollvereins, ſeine großen wirthſchaft- lichen Intereſſen nachdrücklich vertrat. Auch das alte ſtreng proteſtantiſche Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntniſſe ward in den Formen überall ſorgſam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhaſſer wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfeſt als einen Feiertag ehrte.
Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, großſtädtiſcher Zug in das Berliner Leben, ſeit die Fürſten und Grafen des Weſtens, die ſchle- ſiſchen Granden und der oſtpreußiſche Adel, der bisher immer ſtill da- heim geblieben war, alle bei Hofe erſchienen und der König auch die Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu ſeinen Feſten lud; erſt ſeit dieſen Anfängen der parlamentariſchen Kämpfe begann Berlin zur wirklichen Hauptſtadt zu werden. Und wie reich war dieſer erſte Land- tag an redneriſchen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften
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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſchaft zuſammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land-
tags beſaßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber
von dieſer gefährlichen Befugniß verſuchten nur zweimal, ganz zu Anfang
der Tagung, einzelne Heißſporne Gebrauch zu machen. Beide male ver-
geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur-
gewalt der nationalen Einheit, der Ernſt des preußiſchen Staatsgedankens
hielt alle Sondergelüſte darnieder. Das war es was Metternich vor
Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oeſterreich und Frankreich die ge-
borenen Feinde der deutſchen Einheit waren, und warnte Guizot vor den
großen Gefahren, welche dieſer Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe;
er ſtachelte die particulariſtiſche Angſt des Königs von Württemberg gegen
das Deutſchthum und den „Alles oder nichts ſagenden Begriff“ der Natio-
nalität. Als feſtes Bollwerk wider das werdende Deutſchland dort im
Norden empfahl er den Deutſchen Bund, die natürliche Stütze des Parti-
cularismus.
Zum erſten male ſeit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände
als eine ſelbſtändige Macht der Krone gegenüber; und wie ſtark und mannich-
faltig erſchien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie
wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältniſſen des wirk-
lichen deutſchen Staates gewußt. „Preußen hat wieder einen Adel“ —
ſo ſagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land-
läufige Zerrbild vom preußiſchen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf
die tapferen, gebildeten, patriotiſchen Edelleute, die im Vereinigten Land-
tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf-
traten; viele von ihnen erklärten ſich ſogar bereit — freiſinniger als der
bairiſche Adel — auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Faſt
noch mehr überraſchte die Deutſchen der Kleinſtaaten das ſtolze Selbſt-
gefühl des preußiſchen Bürgerthums, das in der älteren Geſchichte der
Monarchie faſt immer nur eine beſcheidene Rolle geſpielt hatte, jetzt aber,
raſch erſtarkt unter dem Schutze des Zollvereins, ſeine großen wirthſchaft-
lichen Intereſſen nachdrücklich vertrat. Auch das alte ſtreng proteſtantiſche
Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntniſſe ward in den Formen
überall ſorgſam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhaſſer
wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfeſt als
einen Feiertag ehrte.
Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, großſtädtiſcher Zug in das
Berliner Leben, ſeit die Fürſten und Grafen des Weſtens, die ſchle-
ſiſchen Granden und der oſtpreußiſche Adel, der bisher immer ſtill da-
heim geblieben war, alle bei Hofe erſchienen und der König auch die
Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu ſeinen Feſten lud; erſt
ſeit dieſen Anfängen der parlamentariſchen Kämpfe begann Berlin zur
wirklichen Hauptſtadt zu werden. Und wie reich war dieſer erſte Land-
tag an redneriſchen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/630>, abgerufen am 24.11.2024.
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