zu eröffnen. Gleichwohl hegte der Russe, als er unverrichteter Dinge ab- reisen mußte, die stille Ueberzeugung, daß eine Verständigung wohl möglich sei. Auf der Heimkehr traf er am Rhein mit Metternich zusammen. Der Oesterreicher zeigte sich mürrisch, übellaunig, sichtlich verletzt durch Ruß- lands einseitiges Vorgehen, aber in der Sache selbst nicht feindselig. Auch hier empfing Brunnow den Eindruck, die vier Mächte würden sich ohne Frankreich wohl einigen können, und Nesselrode sagte nachher befriedigt, mit diesem Johannisberger Gespräche sei die peinliche erste Epoche der orientalischen Frage abgeschlossen.*)
In Petersburg mit neuen Weisungen versehen, kehrte Brunnow um Neujahr nach London zurück und überraschte den Lord durch die freund- liche Erklärung: sein Kaiser bestehe nicht mehr auf dem Vertrage von Hunkiar-Iskelessi, er wolle im Nothfalle 15000 Mann und acht Kriegs- schiffe zur Vertheidigung Stambuls schicken, sei aber auch nicht dagegen wenn die anderen Mächte dann je vier Schiffe in das Marmarameer sendeten. Zugleich ließ er durchblicken was die russischen Diplomaten in Pera schon vor'm Jahre angedeutet hatten: künftighin könnten vielleicht beide Meerengen in Friedenszeiten geschlossen werden. Damit war das Eis gebrochen, Palmerston's Mißtrauen beschwichtigt. Im Februar 1840 vereinigten sich die Vertreter der großen Mächte in London zu förmlichen Conferenzen. Sie Alle, mit einziger Ausnahme des französischen Gesandten, betrachteten die Erhaltung des osmanischen Reichs als ihre höchste Aufgabe und stimmten mit Brunnow dahin überein, daß Mehemed Ali nur die erb- liche Herrschaft über Aegypten, außerdem noch für seine Lebenszeit ein Stück Syriens, etwa das Paschalik Akkon behalten dürfte; widersetzte er sich, dann müßte man ihn durch die Waffen Europas zur Unterwerfung zwingen. Der Sieger sollte also einen Theil seines alten Besitzstandes dem Besiegten schen- ken! Die grobe Ungerechtigkeit dieses Schiedsspruches der europäischen Mächte lag auf flacher Hand; selten hatte sich so deutlich gezeigt, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird. Vom Rechte aber war in den schmutzigen orientalischen Händeln nie die Rede; hier handelte es sich nur um die Macht, diesmal um die Frage, ob Mehemed Ali stark genug sei den erleuchteten Beschlüssen Europas zu widerstehen. Dargestellt hatte Rußland nochmals, wie einst vor der Schlacht von Navarin, durch eine plötzliche Annäherung an England die entscheidende Stellung in der orientalischen Politik erlangt. Metternich sah sich in die zweite Reihe gedrängt und meinte unmuthig: nur die Germanen kennten den Begriff der Ehre, die Romanen über- trieben ihn bis zum point d'honneur, die Slawen hätten nicht einmal ein Wort dafür. Aber einer Staatskunst, welche die Erhaltung des türki- schen Reichs zu erstreben vorgab, konnte er unmöglich entgegentreten. Auch der Berliner Hof pflichtete den Anträgen Brunnow's vorläufig bei,
*) Liebermann's Bericht, 4. Jan. 1840.
Brunnow in London.
zu eröffnen. Gleichwohl hegte der Ruſſe, als er unverrichteter Dinge ab- reiſen mußte, die ſtille Ueberzeugung, daß eine Verſtändigung wohl möglich ſei. Auf der Heimkehr traf er am Rhein mit Metternich zuſammen. Der Oeſterreicher zeigte ſich mürriſch, übellaunig, ſichtlich verletzt durch Ruß- lands einſeitiges Vorgehen, aber in der Sache ſelbſt nicht feindſelig. Auch hier empfing Brunnow den Eindruck, die vier Mächte würden ſich ohne Frankreich wohl einigen können, und Neſſelrode ſagte nachher befriedigt, mit dieſem Johannisberger Geſpräche ſei die peinliche erſte Epoche der orientaliſchen Frage abgeſchloſſen.*)
In Petersburg mit neuen Weiſungen verſehen, kehrte Brunnow um Neujahr nach London zurück und überraſchte den Lord durch die freund- liche Erklärung: ſein Kaiſer beſtehe nicht mehr auf dem Vertrage von Hunkiar-Iskeleſſi, er wolle im Nothfalle 15000 Mann und acht Kriegs- ſchiffe zur Vertheidigung Stambuls ſchicken, ſei aber auch nicht dagegen wenn die anderen Mächte dann je vier Schiffe in das Marmarameer ſendeten. Zugleich ließ er durchblicken was die ruſſiſchen Diplomaten in Pera ſchon vor’m Jahre angedeutet hatten: künftighin könnten vielleicht beide Meerengen in Friedenszeiten geſchloſſen werden. Damit war das Eis gebrochen, Palmerſton’s Mißtrauen beſchwichtigt. Im Februar 1840 vereinigten ſich die Vertreter der großen Mächte in London zu förmlichen Conferenzen. Sie Alle, mit einziger Ausnahme des franzöſiſchen Geſandten, betrachteten die Erhaltung des osmaniſchen Reichs als ihre höchſte Aufgabe und ſtimmten mit Brunnow dahin überein, daß Mehemed Ali nur die erb- liche Herrſchaft über Aegypten, außerdem noch für ſeine Lebenszeit ein Stück Syriens, etwa das Paſchalik Akkon behalten dürfte; widerſetzte er ſich, dann müßte man ihn durch die Waffen Europas zur Unterwerfung zwingen. Der Sieger ſollte alſo einen Theil ſeines alten Beſitzſtandes dem Beſiegten ſchen- ken! Die grobe Ungerechtigkeit dieſes Schiedsſpruches der europäiſchen Mächte lag auf flacher Hand; ſelten hatte ſich ſo deutlich gezeigt, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird. Vom Rechte aber war in den ſchmutzigen orientaliſchen Händeln nie die Rede; hier handelte es ſich nur um die Macht, diesmal um die Frage, ob Mehemed Ali ſtark genug ſei den erleuchteten Beſchlüſſen Europas zu widerſtehen. Dargeſtellt hatte Rußland nochmals, wie einſt vor der Schlacht von Navarin, durch eine plötzliche Annäherung an England die entſcheidende Stellung in der orientaliſchen Politik erlangt. Metternich ſah ſich in die zweite Reihe gedrängt und meinte unmuthig: nur die Germanen kennten den Begriff der Ehre, die Romanen über- trieben ihn bis zum point d’honneur, die Slawen hätten nicht einmal ein Wort dafür. Aber einer Staatskunſt, welche die Erhaltung des türki- ſchen Reichs zu erſtreben vorgab, konnte er unmöglich entgegentreten. Auch der Berliner Hof pflichtete den Anträgen Brunnow’s vorläufig bei,
*) Liebermann’s Bericht, 4. Jan. 1840.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0085"n="71"/><fwplace="top"type="header">Brunnow in London.</fw><lb/>
zu eröffnen. Gleichwohl hegte der Ruſſe, als er unverrichteter Dinge ab-<lb/>
reiſen mußte, die ſtille Ueberzeugung, daß eine Verſtändigung wohl möglich<lb/>ſei. Auf der Heimkehr traf er am Rhein mit Metternich zuſammen. Der<lb/>
Oeſterreicher zeigte ſich mürriſch, übellaunig, ſichtlich verletzt durch Ruß-<lb/>
lands einſeitiges Vorgehen, aber in der Sache ſelbſt nicht feindſelig. Auch<lb/>
hier empfing Brunnow den Eindruck, die vier Mächte würden ſich ohne<lb/>
Frankreich wohl einigen können, und Neſſelrode ſagte nachher befriedigt,<lb/>
mit dieſem Johannisberger Geſpräche ſei die peinliche erſte Epoche der<lb/>
orientaliſchen Frage abgeſchloſſen.<noteplace="foot"n="*)">Liebermann’s Bericht, 4. Jan. 1840.</note></p><lb/><p>In Petersburg mit neuen Weiſungen verſehen, kehrte Brunnow um<lb/>
Neujahr nach London zurück und überraſchte den Lord durch die freund-<lb/>
liche Erklärung: ſein Kaiſer beſtehe nicht mehr auf dem Vertrage von<lb/>
Hunkiar-Iskeleſſi, er wolle im Nothfalle 15000 Mann und acht Kriegs-<lb/>ſchiffe zur Vertheidigung Stambuls ſchicken, ſei aber auch nicht dagegen<lb/>
wenn die anderen Mächte dann je vier Schiffe in das Marmarameer<lb/>ſendeten. Zugleich ließ er durchblicken was die ruſſiſchen Diplomaten in<lb/>
Pera ſchon vor’m Jahre angedeutet hatten: künftighin könnten vielleicht<lb/>
beide Meerengen in Friedenszeiten geſchloſſen werden. Damit war das<lb/>
Eis gebrochen, Palmerſton’s Mißtrauen beſchwichtigt. Im Februar 1840<lb/>
vereinigten ſich die Vertreter der großen Mächte in London zu förmlichen<lb/>
Conferenzen. Sie Alle, mit einziger Ausnahme des franzöſiſchen Geſandten,<lb/>
betrachteten die Erhaltung des osmaniſchen Reichs als ihre höchſte Aufgabe<lb/>
und ſtimmten mit Brunnow dahin überein, daß Mehemed Ali nur die erb-<lb/>
liche Herrſchaft über Aegypten, außerdem noch für ſeine Lebenszeit ein Stück<lb/>
Syriens, etwa das Paſchalik Akkon behalten dürfte; widerſetzte er ſich, dann<lb/>
müßte man ihn durch die Waffen Europas zur Unterwerfung zwingen. Der<lb/>
Sieger ſollte alſo einen Theil ſeines alten Beſitzſtandes dem Beſiegten ſchen-<lb/>
ken! Die grobe Ungerechtigkeit dieſes Schiedsſpruches der europäiſchen Mächte<lb/>
lag auf flacher Hand; ſelten hatte ſich ſo deutlich gezeigt, mit wie wenig<lb/>
Weisheit die Welt regiert wird. Vom Rechte aber war in den ſchmutzigen<lb/>
orientaliſchen Händeln nie die Rede; hier handelte es ſich nur um die Macht,<lb/>
diesmal um die Frage, ob Mehemed Ali ſtark genug ſei den erleuchteten<lb/>
Beſchlüſſen Europas zu widerſtehen. Dargeſtellt hatte Rußland nochmals,<lb/>
wie einſt vor der Schlacht von Navarin, durch eine plötzliche Annäherung<lb/>
an England die entſcheidende Stellung in der orientaliſchen Politik erlangt.<lb/>
Metternich ſah ſich in die zweite Reihe gedrängt und meinte unmuthig:<lb/>
nur die Germanen kennten den Begriff der Ehre, die Romanen über-<lb/>
trieben ihn bis zum <hirendition="#aq">point d’honneur,</hi> die Slawen hätten nicht einmal<lb/>
ein Wort dafür. Aber einer Staatskunſt, welche die Erhaltung des türki-<lb/>ſchen Reichs zu erſtreben vorgab, konnte er unmöglich entgegentreten.<lb/>
Auch der Berliner Hof pflichtete den Anträgen Brunnow’s vorläufig bei,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[71/0085]
Brunnow in London.
zu eröffnen. Gleichwohl hegte der Ruſſe, als er unverrichteter Dinge ab-
reiſen mußte, die ſtille Ueberzeugung, daß eine Verſtändigung wohl möglich
ſei. Auf der Heimkehr traf er am Rhein mit Metternich zuſammen. Der
Oeſterreicher zeigte ſich mürriſch, übellaunig, ſichtlich verletzt durch Ruß-
lands einſeitiges Vorgehen, aber in der Sache ſelbſt nicht feindſelig. Auch
hier empfing Brunnow den Eindruck, die vier Mächte würden ſich ohne
Frankreich wohl einigen können, und Neſſelrode ſagte nachher befriedigt,
mit dieſem Johannisberger Geſpräche ſei die peinliche erſte Epoche der
orientaliſchen Frage abgeſchloſſen. *)
In Petersburg mit neuen Weiſungen verſehen, kehrte Brunnow um
Neujahr nach London zurück und überraſchte den Lord durch die freund-
liche Erklärung: ſein Kaiſer beſtehe nicht mehr auf dem Vertrage von
Hunkiar-Iskeleſſi, er wolle im Nothfalle 15000 Mann und acht Kriegs-
ſchiffe zur Vertheidigung Stambuls ſchicken, ſei aber auch nicht dagegen
wenn die anderen Mächte dann je vier Schiffe in das Marmarameer
ſendeten. Zugleich ließ er durchblicken was die ruſſiſchen Diplomaten in
Pera ſchon vor’m Jahre angedeutet hatten: künftighin könnten vielleicht
beide Meerengen in Friedenszeiten geſchloſſen werden. Damit war das
Eis gebrochen, Palmerſton’s Mißtrauen beſchwichtigt. Im Februar 1840
vereinigten ſich die Vertreter der großen Mächte in London zu förmlichen
Conferenzen. Sie Alle, mit einziger Ausnahme des franzöſiſchen Geſandten,
betrachteten die Erhaltung des osmaniſchen Reichs als ihre höchſte Aufgabe
und ſtimmten mit Brunnow dahin überein, daß Mehemed Ali nur die erb-
liche Herrſchaft über Aegypten, außerdem noch für ſeine Lebenszeit ein Stück
Syriens, etwa das Paſchalik Akkon behalten dürfte; widerſetzte er ſich, dann
müßte man ihn durch die Waffen Europas zur Unterwerfung zwingen. Der
Sieger ſollte alſo einen Theil ſeines alten Beſitzſtandes dem Beſiegten ſchen-
ken! Die grobe Ungerechtigkeit dieſes Schiedsſpruches der europäiſchen Mächte
lag auf flacher Hand; ſelten hatte ſich ſo deutlich gezeigt, mit wie wenig
Weisheit die Welt regiert wird. Vom Rechte aber war in den ſchmutzigen
orientaliſchen Händeln nie die Rede; hier handelte es ſich nur um die Macht,
diesmal um die Frage, ob Mehemed Ali ſtark genug ſei den erleuchteten
Beſchlüſſen Europas zu widerſtehen. Dargeſtellt hatte Rußland nochmals,
wie einſt vor der Schlacht von Navarin, durch eine plötzliche Annäherung
an England die entſcheidende Stellung in der orientaliſchen Politik erlangt.
Metternich ſah ſich in die zweite Reihe gedrängt und meinte unmuthig:
nur die Germanen kennten den Begriff der Ehre, die Romanen über-
trieben ihn bis zum point d’honneur, die Slawen hätten nicht einmal
ein Wort dafür. Aber einer Staatskunſt, welche die Erhaltung des türki-
ſchen Reichs zu erſtreben vorgab, konnte er unmöglich entgegentreten.
Auch der Berliner Hof pflichtete den Anträgen Brunnow’s vorläufig bei,
*) Liebermann’s Bericht, 4. Jan. 1840.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/85>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.