Vorzüglich erhöhen gewisse geistige Eindrücke die Empfänglichkeit für äussere Reitze und brin- gen dadurch manche Ausnahmen von dem Gesetz des Sinkens der Reitzbarkeit bey fortdauerndem Einfluss eines und desselben Reitzes hervor. So erregt oft ein Brechmittel, zum zweyten mal ge- nommen, leichter Brechen als einige Zeit vorher, blos weil die widrigen Gefühle, die das erste mal bey der Wirkung des Mittels entstanden, nachher schon beym Einnehmen wieder rege wer- den und die Neigung zum Brechen vermehren. Noch mehr wird die Empfänglichkeit für einerley Eindrücke in den Sinnesnerven durch die Auf- merksamkeit erhöhet, wodurch zugleich die äu- ssern Sinnesorgane dem Grade des Eindrucks im- mer genauer angepasst werden. Geringe Gaben narkotischer und spirituöser Mittel vermehren eben- falls die Empfänglichkeit der Sinnesnerven für die äussern specifischen Sinnesreitze. Grössere Dosen vermindern diese, erhöhen aber die Receptivität für innere Reitze und verursachen Phantasmen, denen keine äussere Gegenstände entsprechen. Umstimmungen der Reitzbarkeit, vermöge welcher Reitze, die sonst nur einen schwachen Eindruck machen, heftig wirken, andere, wofür die Em- pfänglichkeit sonst gross ist, wenig oder gar nicht percipirt werden, und noch andere Reaktionen erregen, die von den gewöhnlichen ganz abwei- chen, sind überhaupt in jedem krankhaften Zu-
stand
Vorzüglich erhöhen gewisse geistige Eindrücke die Empfänglichkeit für äuſsere Reitze und brin- gen dadurch manche Ausnahmen von dem Gesetz des Sinkens der Reitzbarkeit bey fortdauerndem Einfluſs eines und desselben Reitzes hervor. So erregt oft ein Brechmittel, zum zweyten mal ge- nommen, leichter Brechen als einige Zeit vorher, blos weil die widrigen Gefühle, die das erste mal bey der Wirkung des Mittels entstanden, nachher schon beym Einnehmen wieder rege wer- den und die Neigung zum Brechen vermehren. Noch mehr wird die Empfänglichkeit für einerley Eindrücke in den Sinnesnerven durch die Auf- merksamkeit erhöhet, wodurch zugleich die äu- ſsern Sinnesorgane dem Grade des Eindrucks im- mer genauer angepaſst werden. Geringe Gaben narkotischer und spirituöser Mittel vermehren eben- falls die Empfänglichkeit der Sinnesnerven für die äuſsern specifischen Sinnesreitze. Gröſsere Dosen vermindern diese, erhöhen aber die Receptivität für innere Reitze und verursachen Phantasmen, denen keine äuſsere Gegenstände entsprechen. Umstimmungen der Reitzbarkeit, vermöge welcher Reitze, die sonst nur einen schwachen Eindruck machen, heftig wirken, andere, wofür die Em- pfänglichkeit sonst groſs ist, wenig oder gar nicht percipirt werden, und noch andere Reaktionen erregen, die von den gewöhnlichen ganz abwei- chen, sind überhaupt in jedem krankhaften Zu-
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Vorzüglich erhöhen gewisse geistige Eindrücke
die Empfänglichkeit für äuſsere Reitze und brin-
gen dadurch manche Ausnahmen von dem Gesetz
des Sinkens der Reitzbarkeit bey fortdauerndem
Einfluſs eines und desselben Reitzes hervor. So
erregt oft ein Brechmittel, zum zweyten mal ge-
nommen, leichter Brechen als einige Zeit vorher,
blos weil die widrigen Gefühle, die das erste
mal bey der Wirkung des Mittels entstanden,
nachher schon beym Einnehmen wieder rege wer-
den und die Neigung zum Brechen vermehren.
Noch mehr wird die Empfänglichkeit für einerley
Eindrücke in den Sinnesnerven durch die Auf-
merksamkeit erhöhet, wodurch zugleich die äu-
ſsern Sinnesorgane dem Grade des Eindrucks im-
mer genauer angepaſst werden. Geringe Gaben
narkotischer und spirituöser Mittel vermehren eben-
falls die Empfänglichkeit der Sinnesnerven für die
äuſsern specifischen Sinnesreitze. Gröſsere Dosen
vermindern diese, erhöhen aber die Receptivität
für innere Reitze und verursachen Phantasmen,
denen keine äuſsere Gegenstände entsprechen.
Umstimmungen der Reitzbarkeit, vermöge welcher
Reitze, die sonst nur einen schwachen Eindruck
machen, heftig wirken, andere, wofür die Em-
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percipirt werden, und noch andere Reaktionen
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 5. Göttingen, 1818, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie05_1818/408>, abgerufen am 23.11.2024.
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