Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Der König auf dem Thurme. Da liegen sie alle, die grauen Höhn, Die dunkeln Thäler, in milder Ruh; Der Schlummer waltet, die Lüfte wehn Keinen Laut der Klage mir zu. Für Alle hab' ich gesorgt und gestrebt, Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein; Die Nacht ist gekommen, der Himmel belebt, Meine Seele will ich erfreun. O du goldne Schrift durch den Sterneraum! Zu dir ja schau' ich liebend empor. Ihr Wunderklänge, vernommen kaum, Wie besäuselt ihr sehnlich mein Ohr! Mein Haar ist ergraut, mein Auge getrübt, Die Siegeswaffen hängen im Saal, Habe Recht gesprochen und Recht geübt, Wann darf ich rasten einmal? O selige Rast, wie verlang' ich dein! O herrliche Nacht, wie säumst du so lang, Da ich schaue der Sterne lichteren Schein, Und höre volleren Klang! Der König auf dem Thurme. Da liegen ſie alle, die grauen Höhn, Die dunkeln Thäler, in milder Ruh; Der Schlummer waltet, die Lüfte wehn Keinen Laut der Klage mir zu. Für Alle hab’ ich geſorgt und geſtrebt, Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein; Die Nacht iſt gekommen, der Himmel belebt, Meine Seele will ich erfreun. O du goldne Schrift durch den Sterneraum! Zu dir ja ſchau’ ich liebend empor. Ihr Wunderklänge, vernommen kaum, Wie beſäuſelt ihr ſehnlich mein Ohr! Mein Haar iſt ergraut, mein Auge getrübt, Die Siegeswaffen hängen im Saal, Habe Recht geſprochen und Recht geübt, Wann darf ich raſten einmal? O ſelige Raſt, wie verlang’ ich dein! O herrliche Nacht, wie ſäumſt du ſo lang, Da ich ſchaue der Sterne lichteren Schein, Und höre volleren Klang! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0020" n="14"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Der König auf dem Thurme</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Da liegen ſie alle, die grauen Höhn,</l><lb/> <l>Die dunkeln Thäler, in milder Ruh;</l><lb/> <l>Der Schlummer waltet, die Lüfte wehn</l><lb/> <l>Keinen Laut der Klage mir zu.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Für Alle hab’ ich geſorgt und geſtrebt,</l><lb/> <l>Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein;</l><lb/> <l>Die Nacht iſt gekommen, der Himmel belebt,</l><lb/> <l>Meine Seele will ich erfreun.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>O du goldne Schrift durch den Sterneraum!</l><lb/> <l>Zu dir ja ſchau’ ich liebend empor.</l><lb/> <l>Ihr Wunderklänge, vernommen kaum,</l><lb/> <l>Wie beſäuſelt ihr ſehnlich mein Ohr!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Mein Haar iſt ergraut, mein Auge getrübt,</l><lb/> <l>Die Siegeswaffen hängen im Saal,</l><lb/> <l>Habe Recht geſprochen und Recht geübt,</l><lb/> <l>Wann darf ich raſten einmal?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>O ſelige Raſt, wie verlang’ ich dein!</l><lb/> <l>O herrliche Nacht, wie ſäumſt du ſo lang,</l><lb/> <l>Da ich ſchaue der Sterne lichteren Schein,</l><lb/> <l>Und höre volleren Klang!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [14/0020]
Der König auf dem Thurme.
Da liegen ſie alle, die grauen Höhn,
Die dunkeln Thäler, in milder Ruh;
Der Schlummer waltet, die Lüfte wehn
Keinen Laut der Klage mir zu.
Für Alle hab’ ich geſorgt und geſtrebt,
Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein;
Die Nacht iſt gekommen, der Himmel belebt,
Meine Seele will ich erfreun.
O du goldne Schrift durch den Sterneraum!
Zu dir ja ſchau’ ich liebend empor.
Ihr Wunderklänge, vernommen kaum,
Wie beſäuſelt ihr ſehnlich mein Ohr!
Mein Haar iſt ergraut, mein Auge getrübt,
Die Siegeswaffen hängen im Saal,
Habe Recht geſprochen und Recht geübt,
Wann darf ich raſten einmal?
O ſelige Raſt, wie verlang’ ich dein!
O herrliche Nacht, wie ſäumſt du ſo lang,
Da ich ſchaue der Sterne lichteren Schein,
Und höre volleren Klang!
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