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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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der äußern Empfindungen.
Anblicke. Dieß Seufzen ist die Seelenwirkung der Ein-
bildung, und nur die mittelbare der äußern Empfindung.
§. 97. 99.

§. 220.

Wir verbinden mit unsern äußern Empfindungen oft
die Erwartungen andrer, die ehemals mit ihnen ver-
bunden waren, und so begleitet unsre äußere Empfindung
eine Vorhersehung, §. 73. die in den mechanischen Ma-
schinen ihre Seelenwirkungen mit den unmittelbaren der
äußern Empfindung vermischet. Eine gewisse Person
pflegte stets beym Aderlassen in Ohnmacht zu fallen. Einst-
mals begegnete ihr der Wundarzt auf der Straße, und sie
ward ohnmächtig. Diese Ohnmacht war die Seelenwir-
kung der Vorhersehung des Blutlassens, und nur eine zu-
fällige der Empfindung. §. 97. 99.

§. 221.

Da alle unsre äußerlichen Empfindungen von Lust
oder Unlust belebet werden, §. 187. und sich mit Einbil-
dungen und Erwartungen gesellen; §. 219. 220. so sind
sie auch mit Begierden und Verabscheuungen vergesellschaf-
tet, die ihre Seelenwirkungen in den Maschinen mit den
unmittelbaren der äußern Empfindungen vereinigen, und
bey den Trieben und Leidenschaften am sichtbarsten sind. §.
93. So machet ein angenehmer oder verhaßter Anblick
einen Menschen augenblicklich verliebt, oder zornig; bey
den Thieren erreget ein Geruch, ein Getön, den Trieb zur
Fortpflanzung, und der Anblick einer Speise, bey einem,
der nicht gespeiset hat, machet Hunger. Hierbey wird der
ganze Proceß der Triebe und Leidenschaften durchgegangen,
und es sind keinesweges die äußern Empfindungen, welche
die Seelenwirkungen dieser Triebe und Leidenschaften un-
mittelbar wirketen. Der letzte Fall mag zum Beyspiele
dienen. Ein Mensch mit ledigem Magen sieht Brodt.
Dabey erinnert er sich, daß ihm in gleicher Verlegenheit

vom

der aͤußern Empfindungen.
Anblicke. Dieß Seufzen iſt die Seelenwirkung der Ein-
bildung, und nur die mittelbare der aͤußern Empfindung.
§. 97. 99.

§. 220.

Wir verbinden mit unſern aͤußern Empfindungen oft
die Erwartungen andrer, die ehemals mit ihnen ver-
bunden waren, und ſo begleitet unſre aͤußere Empfindung
eine Vorherſehung, §. 73. die in den mechaniſchen Ma-
ſchinen ihre Seelenwirkungen mit den unmittelbaren der
aͤußern Empfindung vermiſchet. Eine gewiſſe Perſon
pflegte ſtets beym Aderlaſſen in Ohnmacht zu fallen. Einſt-
mals begegnete ihr der Wundarzt auf der Straße, und ſie
ward ohnmaͤchtig. Dieſe Ohnmacht war die Seelenwir-
kung der Vorherſehung des Blutlaſſens, und nur eine zu-
faͤllige der Empfindung. §. 97. 99.

§. 221.

Da alle unſre aͤußerlichen Empfindungen von Luſt
oder Unluſt belebet werden, §. 187. und ſich mit Einbil-
dungen und Erwartungen geſellen; §. 219. 220. ſo ſind
ſie auch mit Begierden und Verabſcheuungen vergeſellſchaf-
tet, die ihre Seelenwirkungen in den Maſchinen mit den
unmittelbaren der aͤußern Empfindungen vereinigen, und
bey den Trieben und Leidenſchaften am ſichtbarſten ſind. §.
93. So machet ein angenehmer oder verhaßter Anblick
einen Menſchen augenblicklich verliebt, oder zornig; bey
den Thieren erreget ein Geruch, ein Getoͤn, den Trieb zur
Fortpflanzung, und der Anblick einer Speiſe, bey einem,
der nicht geſpeiſet hat, machet Hunger. Hierbey wird der
ganze Proceß der Triebe und Leidenſchaften durchgegangen,
und es ſind keinesweges die aͤußern Empfindungen, welche
die Seelenwirkungen dieſer Triebe und Leidenſchaften un-
mittelbar wirketen. Der letzte Fall mag zum Beyſpiele
dienen. Ein Menſch mit ledigem Magen ſieht Brodt.
Dabey erinnert er ſich, daß ihm in gleicher Verlegenheit

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[205/0229] der aͤußern Empfindungen. Anblicke. Dieß Seufzen iſt die Seelenwirkung der Ein- bildung, und nur die mittelbare der aͤußern Empfindung. §. 97. 99. §. 220. Wir verbinden mit unſern aͤußern Empfindungen oft die Erwartungen andrer, die ehemals mit ihnen ver- bunden waren, und ſo begleitet unſre aͤußere Empfindung eine Vorherſehung, §. 73. die in den mechaniſchen Ma- ſchinen ihre Seelenwirkungen mit den unmittelbaren der aͤußern Empfindung vermiſchet. Eine gewiſſe Perſon pflegte ſtets beym Aderlaſſen in Ohnmacht zu fallen. Einſt- mals begegnete ihr der Wundarzt auf der Straße, und ſie ward ohnmaͤchtig. Dieſe Ohnmacht war die Seelenwir- kung der Vorherſehung des Blutlaſſens, und nur eine zu- faͤllige der Empfindung. §. 97. 99. §. 221. Da alle unſre aͤußerlichen Empfindungen von Luſt oder Unluſt belebet werden, §. 187. und ſich mit Einbil- dungen und Erwartungen geſellen; §. 219. 220. ſo ſind ſie auch mit Begierden und Verabſcheuungen vergeſellſchaf- tet, die ihre Seelenwirkungen in den Maſchinen mit den unmittelbaren der aͤußern Empfindungen vereinigen, und bey den Trieben und Leidenſchaften am ſichtbarſten ſind. §. 93. So machet ein angenehmer oder verhaßter Anblick einen Menſchen augenblicklich verliebt, oder zornig; bey den Thieren erreget ein Geruch, ein Getoͤn, den Trieb zur Fortpflanzung, und der Anblick einer Speiſe, bey einem, der nicht geſpeiſet hat, machet Hunger. Hierbey wird der ganze Proceß der Triebe und Leidenſchaften durchgegangen, und es ſind keinesweges die aͤußern Empfindungen, welche die Seelenwirkungen dieſer Triebe und Leidenſchaften un- mittelbar wirketen. Der letzte Fall mag zum Beyſpiele dienen. Ein Menſch mit ledigem Magen ſieht Brodt. Dabey erinnert er ſich, daß ihm in gleicher Verlegenheit vom

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/229>, abgerufen am 22.11.2024.