Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

I Th. Thierische Seelenkräfte.
schuldigen, wenn ihnen das Gehirn nur als ein Anhängsel
des Rückenmarks vorgekommen ist. Doch es ist auch das
Gehirn in dem Schlangengeschlechte an sich nur klein. Die-
jenigen Thiere hingegen, welche einen größern Kopf haben,
besitzen ein größeres Gehirn als Rückmark, nach eben sol-
chem Verhältnisse, welches besonders von den Vögeln und
den warmblütigen vierfüßigen gilt. Bey diesen, sonderlich
aber bey den Vögeln, und am meisten im Menschen, ist
das Rückmark nur ein kleiner Anhang zum Gehirne, in-
dem es außerdem nicht die ganze Länge des Rückens hin-
abläuft, sondern sich bey dem ersten oder zweyten Lenden-
wirbel endigt, und die übrige Länge der Lendenwirbel und
des heiligen Beins den Nerven des Pferdeschweifs §. 13.
einräumt. Das Rückmark ist durchgängig markig, we-
nigstens größtentheils und an seiner ganzen äußern Fläche:
doch zeigt sich an gewissen Stellen auch etwas Markrindi-
ges oder Graues im Rückenmarke. Das ganze Mark ist
ungemein weich, zerfließt an der Luft, und ist weicher als
das Gehirn selbst, obgleich das Mark hier ebenfalls fester,
als das Markrindige ist. Bey den Jnsekten ist es ein Fa-
den, der durch viele Knoten abgesetzet ist, und dessen unter-
stes Ende sich mehrentheils, beynahe auf eben die Weise,
wie bey andern Thieren, in die Nerven des Pferdeschweifs
zertheilet.

Die harte Hirnhaut ist überhaupt im Menschen von
einem festen Gewebe, und es ist nicht leicht eine seiner Häu-
te fester. Hingegen ist sie in einigen Fischen durchgehends
knorpligt; in den kleinen Vierfüßigen und in den Vögeln
aber zarter und weicher.

Man findet in allen denjenigen Thieren, die ein Ge-
hirn und Rückenmark haben, wie auch in den Jnsekten und
in den Schalwürmern, Nerven; ob sie gleich zur Zeit in
den einfachen Thieren, als in den Polypen und andern
Pflanzenthieren, noch nicht recht bekannt sind. Da aber
die Polypen offenbar zum Thierreiche gehören, so darf man
den Unterschied, welcher sie von den Pflanzen trennt, nicht

auf

I Th. Thieriſche Seelenkraͤfte.
ſchuldigen, wenn ihnen das Gehirn nur als ein Anhaͤngſel
des Ruͤckenmarks vorgekommen iſt. Doch es iſt auch das
Gehirn in dem Schlangengeſchlechte an ſich nur klein. Die-
jenigen Thiere hingegen, welche einen groͤßern Kopf haben,
beſitzen ein groͤßeres Gehirn als Ruͤckmark, nach eben ſol-
chem Verhaͤltniſſe, welches beſonders von den Voͤgeln und
den warmbluͤtigen vierfuͤßigen gilt. Bey dieſen, ſonderlich
aber bey den Voͤgeln, und am meiſten im Menſchen, iſt
das Ruͤckmark nur ein kleiner Anhang zum Gehirne, in-
dem es außerdem nicht die ganze Laͤnge des Ruͤckens hin-
ablaͤuft, ſondern ſich bey dem erſten oder zweyten Lenden-
wirbel endigt, und die uͤbrige Laͤnge der Lendenwirbel und
des heiligen Beins den Nerven des Pferdeſchweifs §. 13.
einraͤumt. Das Ruͤckmark iſt durchgaͤngig markig, we-
nigſtens groͤßtentheils und an ſeiner ganzen aͤußern Flaͤche:
doch zeigt ſich an gewiſſen Stellen auch etwas Markrindi-
ges oder Graues im Ruͤckenmarke. Das ganze Mark iſt
ungemein weich, zerfließt an der Luft, und iſt weicher als
das Gehirn ſelbſt, obgleich das Mark hier ebenfalls feſter,
als das Markrindige iſt. Bey den Jnſekten iſt es ein Fa-
den, der durch viele Knoten abgeſetzet iſt, und deſſen unter-
ſtes Ende ſich mehrentheils, beynahe auf eben die Weiſe,
wie bey andern Thieren, in die Nerven des Pferdeſchweifs
zertheilet.

Die harte Hirnhaut iſt uͤberhaupt im Menſchen von
einem feſten Gewebe, und es iſt nicht leicht eine ſeiner Haͤu-
te feſter. Hingegen iſt ſie in einigen Fiſchen durchgehends
knorpligt; in den kleinen Vierfuͤßigen und in den Voͤgeln
aber zarter und weicher.

Man findet in allen denjenigen Thieren, die ein Ge-
hirn und Ruͤckenmark haben, wie auch in den Jnſekten und
in den Schalwuͤrmern, Nerven; ob ſie gleich zur Zeit in
den einfachen Thieren, als in den Polypen und andern
Pflanzenthieren, noch nicht recht bekannt ſind. Da aber
die Polypen offenbar zum Thierreiche gehoͤren, ſo darf man
den Unterſchied, welcher ſie von den Pflanzen trennt, nicht

auf
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0052" n="28"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Th. Thieri&#x017F;che Seelenkra&#x0364;fte.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chuldigen, wenn ihnen das Gehirn nur als ein Anha&#x0364;ng&#x017F;el<lb/>
des Ru&#x0364;ckenmarks vorgekommen i&#x017F;t. Doch es i&#x017F;t auch das<lb/>
Gehirn in dem Schlangenge&#x017F;chlechte an &#x017F;ich nur klein. Die-<lb/>
jenigen Thiere hingegen, welche einen gro&#x0364;ßern Kopf haben,<lb/>
be&#x017F;itzen ein gro&#x0364;ßeres Gehirn als Ru&#x0364;ckmark, nach eben &#x017F;ol-<lb/>
chem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, welches be&#x017F;onders von den Vo&#x0364;geln und<lb/>
den warmblu&#x0364;tigen vierfu&#x0364;ßigen gilt. Bey die&#x017F;en, &#x017F;onderlich<lb/>
aber bey den Vo&#x0364;geln, und am mei&#x017F;ten im Men&#x017F;chen, i&#x017F;t<lb/>
das Ru&#x0364;ckmark nur ein kleiner Anhang zum Gehirne, in-<lb/>
dem es außerdem nicht die ganze La&#x0364;nge des Ru&#x0364;ckens hin-<lb/>
abla&#x0364;uft, &#x017F;ondern &#x017F;ich bey dem er&#x017F;ten oder zweyten Lenden-<lb/>
wirbel endigt, und die u&#x0364;brige La&#x0364;nge der Lendenwirbel und<lb/>
des heiligen Beins den Nerven des Pferde&#x017F;chweifs §. 13.<lb/>
einra&#x0364;umt. Das Ru&#x0364;ckmark i&#x017F;t durchga&#x0364;ngig markig, we-<lb/>
nig&#x017F;tens gro&#x0364;ßtentheils und an &#x017F;einer ganzen a&#x0364;ußern Fla&#x0364;che:<lb/>
doch zeigt &#x017F;ich an gewi&#x017F;&#x017F;en Stellen auch etwas Markrindi-<lb/>
ges oder Graues im Ru&#x0364;ckenmarke. Das ganze Mark i&#x017F;t<lb/>
ungemein weich, zerfließt an der Luft, und i&#x017F;t weicher als<lb/>
das Gehirn &#x017F;elb&#x017F;t, obgleich das Mark hier ebenfalls fe&#x017F;ter,<lb/>
als das Markrindige i&#x017F;t. Bey den Jn&#x017F;ekten i&#x017F;t es ein Fa-<lb/>
den, der durch viele Knoten abge&#x017F;etzet i&#x017F;t, und de&#x017F;&#x017F;en unter-<lb/>
&#x017F;tes Ende &#x017F;ich mehrentheils, beynahe auf eben die Wei&#x017F;e,<lb/>
wie bey andern Thieren, in die Nerven des Pferde&#x017F;chweifs<lb/>
zertheilet.</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#fr">harte Hirnhaut</hi> i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt im Men&#x017F;chen von<lb/>
einem fe&#x017F;ten Gewebe, und es i&#x017F;t nicht leicht eine &#x017F;einer Ha&#x0364;u-<lb/>
te fe&#x017F;ter. Hingegen i&#x017F;t &#x017F;ie in einigen Fi&#x017F;chen durchgehends<lb/>
knorpligt; in den kleinen Vierfu&#x0364;ßigen und in den Vo&#x0364;geln<lb/>
aber zarter und weicher.</p><lb/>
            <p>Man findet in allen denjenigen Thieren, die ein Ge-<lb/>
hirn und Ru&#x0364;ckenmark haben, wie auch in den Jn&#x017F;ekten und<lb/>
in den Schalwu&#x0364;rmern, <hi rendition="#fr">Nerven;</hi> ob &#x017F;ie gleich zur Zeit in<lb/>
den einfachen Thieren, als in den Polypen und andern<lb/>
Pflanzenthieren, noch nicht recht bekannt &#x017F;ind. Da aber<lb/>
die Polypen offenbar zum Thierreiche geho&#x0364;ren, &#x017F;o darf man<lb/>
den Unter&#x017F;chied, welcher &#x017F;ie von den Pflanzen trennt, nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0052] I Th. Thieriſche Seelenkraͤfte. ſchuldigen, wenn ihnen das Gehirn nur als ein Anhaͤngſel des Ruͤckenmarks vorgekommen iſt. Doch es iſt auch das Gehirn in dem Schlangengeſchlechte an ſich nur klein. Die- jenigen Thiere hingegen, welche einen groͤßern Kopf haben, beſitzen ein groͤßeres Gehirn als Ruͤckmark, nach eben ſol- chem Verhaͤltniſſe, welches beſonders von den Voͤgeln und den warmbluͤtigen vierfuͤßigen gilt. Bey dieſen, ſonderlich aber bey den Voͤgeln, und am meiſten im Menſchen, iſt das Ruͤckmark nur ein kleiner Anhang zum Gehirne, in- dem es außerdem nicht die ganze Laͤnge des Ruͤckens hin- ablaͤuft, ſondern ſich bey dem erſten oder zweyten Lenden- wirbel endigt, und die uͤbrige Laͤnge der Lendenwirbel und des heiligen Beins den Nerven des Pferdeſchweifs §. 13. einraͤumt. Das Ruͤckmark iſt durchgaͤngig markig, we- nigſtens groͤßtentheils und an ſeiner ganzen aͤußern Flaͤche: doch zeigt ſich an gewiſſen Stellen auch etwas Markrindi- ges oder Graues im Ruͤckenmarke. Das ganze Mark iſt ungemein weich, zerfließt an der Luft, und iſt weicher als das Gehirn ſelbſt, obgleich das Mark hier ebenfalls feſter, als das Markrindige iſt. Bey den Jnſekten iſt es ein Fa- den, der durch viele Knoten abgeſetzet iſt, und deſſen unter- ſtes Ende ſich mehrentheils, beynahe auf eben die Weiſe, wie bey andern Thieren, in die Nerven des Pferdeſchweifs zertheilet. Die harte Hirnhaut iſt uͤberhaupt im Menſchen von einem feſten Gewebe, und es iſt nicht leicht eine ſeiner Haͤu- te feſter. Hingegen iſt ſie in einigen Fiſchen durchgehends knorpligt; in den kleinen Vierfuͤßigen und in den Voͤgeln aber zarter und weicher. Man findet in allen denjenigen Thieren, die ein Ge- hirn und Ruͤckenmark haben, wie auch in den Jnſekten und in den Schalwuͤrmern, Nerven; ob ſie gleich zur Zeit in den einfachen Thieren, als in den Polypen und andern Pflanzenthieren, noch nicht recht bekannt ſind. Da aber die Polypen offenbar zum Thierreiche gehoͤren, ſo darf man den Unterſchied, welcher ſie von den Pflanzen trennt, nicht auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/52
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/52>, abgerufen am 21.11.2024.