Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn ich sagte: weil es nicht zu begreifen ist,
wie in hitzigen Fiebern, wenn die Sele noch
darzu raset, ein Mensch so gelehrt seyn, und
bey Wiederherstellung der Gesundheit auf ein-
mal wieder in seine vorige Einfalt verfallen
könte; so ist dieses überhaupt eine unmögliche
Sache. Man macht noch einen andern Ein-
wurf, wieder obigen Satz, der aber eben die
vorige Stärcke hat. Die Leute solten nem-
lich nicht nöthig haben erst die Anatonie zu
lernen, wenn ihre Selen ihre Körper gebauet
hätten. Die Sele müste viel besser die Struk-
tur des Körpers verstehen, als es ihr ein Ana-
tomicus lehren könte, weil sie sich einem Uhr-
macher vergliche, der die Struktur seiner eige-
nen Uhren am allerbesten wissen müste, weil
er sie mit eigner Hand gebauet und so künst-
lich zusammengesetzt hätte. Allein man be-
dencke nur folgendes. Vorerst behaupten die
Stahlianer nicht, daß sich die Sele bey Er-
bauung ihres Körpers ihrer bewust sey, sondern
sie verrichtet diesen Bau, vermöge des Intel-
lectus Puri.
Sie behält die gantze Bauart
des Körpers in diesem Intellectu, und daher
kan sie auch ihrem Körper auf so vielfältige
Art beyspringen. Allein dem ohnerachtet muß
sie die Struktur des Körpers vom neuen ler-
nen, wenn sie sich derselben bewust seyn will.
Wie geht es denen Mondsüchtigen? Sie klet-
tern indem sie schlafen an die gefährlichsten
Oerter und lernen auf denen Dächern gehen

und

wenn ich ſagte: weil es nicht zu begreifen iſt,
wie in hitzigen Fiebern, wenn die Sele noch
darzu raſet, ein Menſch ſo gelehrt ſeyn, und
bey Wiederherſtellung der Geſundheit auf ein-
mal wieder in ſeine vorige Einfalt verfallen
koͤnte; ſo iſt dieſes uͤberhaupt eine unmoͤgliche
Sache. Man macht noch einen andern Ein-
wurf, wieder obigen Satz, der aber eben die
vorige Staͤrcke hat. Die Leute ſolten nem-
lich nicht noͤthig haben erſt die Anatonie zu
lernen, wenn ihre Selen ihre Koͤrper gebauet
haͤtten. Die Sele muͤſte viel beſſer die Struk-
tur des Koͤrpers verſtehen, als es ihr ein Ana-
tomicus lehren koͤnte, weil ſie ſich einem Uhr-
macher vergliche, der die Struktur ſeiner eige-
nen Uhren am allerbeſten wiſſen muͤſte, weil
er ſie mit eigner Hand gebauet und ſo kuͤnſt-
lich zuſammengeſetzt haͤtte. Allein man be-
dencke nur folgendes. Vorerſt behaupten die
Stahlianer nicht, daß ſich die Sele bey Er-
bauung ihres Koͤrpers ihrer bewuſt ſey, ſondern
ſie verrichtet dieſen Bau, vermoͤge des Intel-
lectus Puri.
Sie behaͤlt die gantze Bauart
des Koͤrpers in dieſem Intellectu, und daher
kan ſie auch ihrem Koͤrper auf ſo vielfaͤltige
Art beyſpringen. Allein dem ohnerachtet muß
ſie die Struktur des Koͤrpers vom neuen ler-
nen, wenn ſie ſich derſelben bewuſt ſeyn will.
Wie geht es denen Mondſuͤchtigen? Sie klet-
tern indem ſie ſchlafen an die gefaͤhrlichſten
Oerter und lernen auf denen Daͤchern gehen

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0175" n="145"/>
wenn ich &#x017F;agte: weil es nicht zu begreifen i&#x017F;t,<lb/>
wie in hitzigen Fiebern, wenn die Sele noch<lb/>
darzu ra&#x017F;et, ein Men&#x017F;ch &#x017F;o gelehrt &#x017F;eyn, und<lb/>
bey Wiederher&#x017F;tellung der Ge&#x017F;undheit auf ein-<lb/>
mal wieder in &#x017F;eine vorige Einfalt verfallen<lb/>
ko&#x0364;nte; &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;es u&#x0364;berhaupt eine unmo&#x0364;gliche<lb/>
Sache. Man macht noch einen andern Ein-<lb/>
wurf, wieder obigen Satz, der aber eben die<lb/>
vorige Sta&#x0364;rcke hat. Die Leute &#x017F;olten nem-<lb/>
lich nicht no&#x0364;thig haben er&#x017F;t die Anatonie zu<lb/>
lernen, wenn ihre Selen ihre Ko&#x0364;rper gebauet<lb/>
ha&#x0364;tten. Die Sele mu&#x0364;&#x017F;te viel be&#x017F;&#x017F;er die Struk-<lb/>
tur des Ko&#x0364;rpers ver&#x017F;tehen, als es ihr ein Ana-<lb/>
tomicus lehren ko&#x0364;nte, weil &#x017F;ie &#x017F;ich einem Uhr-<lb/>
macher vergliche, der die Struktur &#x017F;einer eige-<lb/>
nen Uhren am allerbe&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;te, weil<lb/>
er &#x017F;ie mit eigner Hand gebauet und &#x017F;o ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
lich zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt ha&#x0364;tte. Allein man be-<lb/>
dencke nur folgendes. Vorer&#x017F;t behaupten die<lb/>
Stahlianer nicht, daß &#x017F;ich die Sele bey Er-<lb/>
bauung ihres Ko&#x0364;rpers ihrer bewu&#x017F;t &#x017F;ey, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;ie verrichtet die&#x017F;en Bau, vermo&#x0364;ge des <hi rendition="#aq">Intel-<lb/>
lectus Puri.</hi> Sie beha&#x0364;lt die gantze Bauart<lb/>
des Ko&#x0364;rpers in die&#x017F;em <hi rendition="#aq">Intellectu,</hi> und daher<lb/>
kan &#x017F;ie auch ihrem Ko&#x0364;rper auf &#x017F;o vielfa&#x0364;ltige<lb/>
Art bey&#x017F;pringen. Allein dem ohnerachtet muß<lb/>
&#x017F;ie die Struktur des Ko&#x0364;rpers vom neuen ler-<lb/>
nen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich der&#x017F;elben bewu&#x017F;t &#x017F;eyn will.<lb/>
Wie geht es denen Mond&#x017F;u&#x0364;chtigen? Sie klet-<lb/>
tern indem &#x017F;ie &#x017F;chlafen an die gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten<lb/>
Oerter und lernen auf denen Da&#x0364;chern gehen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0175] wenn ich ſagte: weil es nicht zu begreifen iſt, wie in hitzigen Fiebern, wenn die Sele noch darzu raſet, ein Menſch ſo gelehrt ſeyn, und bey Wiederherſtellung der Geſundheit auf ein- mal wieder in ſeine vorige Einfalt verfallen koͤnte; ſo iſt dieſes uͤberhaupt eine unmoͤgliche Sache. Man macht noch einen andern Ein- wurf, wieder obigen Satz, der aber eben die vorige Staͤrcke hat. Die Leute ſolten nem- lich nicht noͤthig haben erſt die Anatonie zu lernen, wenn ihre Selen ihre Koͤrper gebauet haͤtten. Die Sele muͤſte viel beſſer die Struk- tur des Koͤrpers verſtehen, als es ihr ein Ana- tomicus lehren koͤnte, weil ſie ſich einem Uhr- macher vergliche, der die Struktur ſeiner eige- nen Uhren am allerbeſten wiſſen muͤſte, weil er ſie mit eigner Hand gebauet und ſo kuͤnſt- lich zuſammengeſetzt haͤtte. Allein man be- dencke nur folgendes. Vorerſt behaupten die Stahlianer nicht, daß ſich die Sele bey Er- bauung ihres Koͤrpers ihrer bewuſt ſey, ſondern ſie verrichtet dieſen Bau, vermoͤge des Intel- lectus Puri. Sie behaͤlt die gantze Bauart des Koͤrpers in dieſem Intellectu, und daher kan ſie auch ihrem Koͤrper auf ſo vielfaͤltige Art beyſpringen. Allein dem ohnerachtet muß ſie die Struktur des Koͤrpers vom neuen ler- nen, wenn ſie ſich derſelben bewuſt ſeyn will. Wie geht es denen Mondſuͤchtigen? Sie klet- tern indem ſie ſchlafen an die gefaͤhrlichſten Oerter und lernen auf denen Daͤchern gehen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/175
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/175>, abgerufen am 10.05.2024.