Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen, durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen in ihrem physikalischen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der geriebene Körper erhält nämlich die Eigenschaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier- schnitzel, Federchen, Hollundermark u. s. w., anzuziehen und kürzere oder längere Zeit festzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasstab, so beobachtet man, daß er nach dieser Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder
[Abbildung]
Fig. 32.
Goldblatt-Elektroskop.
abstößt. Während des Reibens selbst beobachtet man ein eigen- thümliches, knisterndes Geräusch und sieht, wenn man das Ex- periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwischen ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überspringen. Die Erscheinung des Abstoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem sie angezogen wurden, beobachtet man noch besser in folgender Weise. Man bedient sich des elektrischen Pendels -- einer Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beschrieben und abgebildet wurde; die Stelle der Eisenkugel vertritt aber eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon. Nähert man nun dieser an einem Seidenfaden hängenden Hollunder- markkugel eine geriebene Glasstange, so fliegt die Kugel gegen dieselbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert man neuerdings die Stange der Kugel, so flieht letztere.
Man ersieht aus diesen einfachen Experimenten, daß die erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zustand versetzt wurden, in welchem sie sich vorher nicht befanden; wir be- zeichnen diesen Zustand als einen elektrischen und nennen die uns noch unbekannte Ursache desselben Elektricität.
Charakteristisch für diese Kraft ist die Abstoßung. Eine Behandlung ge- wisser Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete gestrichene Stahlstück zieht Eisentheile an und hält sie fest. Ein hinreichend kräftig geriebener Glasstab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält sie aber nicht fest, sondern stößt sie mehr oder weniger lebhaft wieder von sich. Greifen wir nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel -- dem elektrischen Pendel -- zurück; wurde die Kugel an und für sich in ungeändertem Zustande erst angezogen und dann abgestoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung mit der Glasstange ihre Eigenschaften geändert? Die Beantwortung dieser Frage giebt folgender Versuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem sie mit dem Glasstabe in Berührung gewesen ist, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere leichte Körperchen. Werden diese nun gleichfalls von der zuerst benützten Kugel angezogen, so ist mit letzterer während der Berührung mit dem Glasstabe offen- bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,
III. Elektricität.
1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz.
Grunderſcheinungen.
Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen, durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen in ihrem phyſikaliſchen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der geriebene Körper erhält nämlich die Eigenſchaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier- ſchnitzel, Federchen, Hollundermark u. ſ. w., anzuziehen und kürzere oder längere Zeit feſtzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasſtab, ſo beobachtet man, daß er nach dieſer Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder
[Abbildung]
Fig. 32.
Goldblatt-Elektroſkop.
abſtößt. Während des Reibens ſelbſt beobachtet man ein eigen- thümliches, kniſterndes Geräuſch und ſieht, wenn man das Ex- periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwiſchen ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überſpringen. Die Erſcheinung des Abſtoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem ſie angezogen wurden, beobachtet man noch beſſer in folgender Weiſe. Man bedient ſich des elektriſchen Pendels — einer Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beſchrieben und abgebildet wurde; die Stelle der Eiſenkugel vertritt aber eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon. Nähert man nun dieſer an einem Seidenfaden hängenden Hollunder- markkugel eine geriebene Glasſtange, ſo fliegt die Kugel gegen dieſelbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert man neuerdings die Stange der Kugel, ſo flieht letztere.
Man erſieht aus dieſen einfachen Experimenten, daß die erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zuſtand verſetzt wurden, in welchem ſie ſich vorher nicht befanden; wir be- zeichnen dieſen Zuſtand als einen elektriſchen und nennen die uns noch unbekannte Urſache desſelben Elektricität.
Charakteriſtiſch für dieſe Kraft iſt die Abſtoßung. Eine Behandlung ge- wiſſer Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete geſtrichene Stahlſtück zieht Eiſentheile an und hält ſie feſt. Ein hinreichend kräftig geriebener Glasſtab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält ſie aber nicht feſt, ſondern ſtößt ſie mehr oder weniger lebhaft wieder von ſich. Greifen wir nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel — dem elektriſchen Pendel — zurück; wurde die Kugel an und für ſich in ungeändertem Zuſtande erſt angezogen und dann abgeſtoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung mit der Glasſtange ihre Eigenſchaften geändert? Die Beantwortung dieſer Frage giebt folgender Verſuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem ſie mit dem Glasſtabe in Berührung geweſen iſt, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere leichte Körperchen. Werden dieſe nun gleichfalls von der zuerſt benützten Kugel angezogen, ſo iſt mit letzterer während der Berührung mit dem Glasſtabe offen- bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0076"n="62"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">III.</hi> Elektricität.</hi></head><lb/><divn="3"><head>1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz.</head><lb/><divn="4"><head>Grunderſcheinungen.</head><lb/><p>Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen,<lb/>
durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen<lb/>
in ihrem phyſikaliſchen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der<lb/>
geriebene Körper erhält nämlich die Eigenſchaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier-<lb/>ſchnitzel, Federchen, Hollundermark u. ſ. w., anzuziehen und kürzere oder längere<lb/>
Zeit feſtzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasſtab, ſo beobachtet man,<lb/>
daß er nach dieſer Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder<lb/><figure><head>Fig. 32.</head><lb/><p>Goldblatt-Elektroſkop.</p></figure><lb/>
abſtößt. Während des Reibens ſelbſt beobachtet man ein eigen-<lb/>
thümliches, kniſterndes Geräuſch und ſieht, wenn man das Ex-<lb/>
periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwiſchen<lb/>
ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überſpringen. Die<lb/>
Erſcheinung des Abſtoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem ſie<lb/>
angezogen wurden, beobachtet man noch beſſer in folgender<lb/>
Weiſe. Man bedient ſich des <hirendition="#g">elektriſchen Pendels</hi>— einer<lb/>
Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beſchrieben<lb/>
und abgebildet wurde; die Stelle der Eiſenkugel vertritt aber<lb/>
eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon.<lb/>
Nähert man nun dieſer an einem Seidenfaden hängenden Hollunder-<lb/>
markkugel eine geriebene Glasſtange, ſo fliegt die Kugel gegen<lb/>
dieſelbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert<lb/>
man neuerdings die Stange der Kugel, ſo flieht letztere.</p><lb/><p>Man erſieht aus dieſen einfachen Experimenten, daß die<lb/>
erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zuſtand verſetzt<lb/>
wurden, in welchem ſie ſich vorher nicht befanden; wir be-<lb/>
zeichnen dieſen Zuſtand als einen <hirendition="#g">elektriſchen</hi> und nennen die<lb/>
uns noch unbekannte Urſache desſelben <hirendition="#g">Elektricität</hi>.</p><lb/><p>Charakteriſtiſch für dieſe Kraft iſt die Abſtoßung. Eine Behandlung ge-<lb/>
wiſſer Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits<lb/>
im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete geſtrichene<lb/>
Stahlſtück zieht Eiſentheile an und hält ſie feſt. Ein hinreichend kräftig geriebener<lb/>
Glasſtab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält ſie aber nicht feſt,<lb/>ſondern ſtößt ſie mehr oder weniger lebhaft wieder von ſich. Greifen wir<lb/>
nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel — dem elektriſchen<lb/>
Pendel — zurück; wurde die Kugel an und für ſich in ungeändertem Zuſtande<lb/>
erſt angezogen und dann abgeſtoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung<lb/>
mit der Glasſtange ihre Eigenſchaften geändert? Die Beantwortung dieſer Frage<lb/>
giebt folgender Verſuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem ſie mit dem<lb/>
Glasſtabe in Berührung geweſen iſt, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere<lb/>
leichte Körperchen. Werden dieſe nun gleichfalls von der zuerſt benützten Kugel<lb/>
angezogen, ſo iſt mit letzterer während der Berührung mit dem Glasſtabe offen-<lb/>
bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[62/0076]
III. Elektricität.
1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz.
Grunderſcheinungen.
Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen,
durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen
in ihrem phyſikaliſchen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der
geriebene Körper erhält nämlich die Eigenſchaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier-
ſchnitzel, Federchen, Hollundermark u. ſ. w., anzuziehen und kürzere oder längere
Zeit feſtzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasſtab, ſo beobachtet man,
daß er nach dieſer Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder
[Abbildung Fig. 32.
Goldblatt-Elektroſkop.]
abſtößt. Während des Reibens ſelbſt beobachtet man ein eigen-
thümliches, kniſterndes Geräuſch und ſieht, wenn man das Ex-
periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwiſchen
ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überſpringen. Die
Erſcheinung des Abſtoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem ſie
angezogen wurden, beobachtet man noch beſſer in folgender
Weiſe. Man bedient ſich des elektriſchen Pendels — einer
Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beſchrieben
und abgebildet wurde; die Stelle der Eiſenkugel vertritt aber
eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon.
Nähert man nun dieſer an einem Seidenfaden hängenden Hollunder-
markkugel eine geriebene Glasſtange, ſo fliegt die Kugel gegen
dieſelbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert
man neuerdings die Stange der Kugel, ſo flieht letztere.
Man erſieht aus dieſen einfachen Experimenten, daß die
erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zuſtand verſetzt
wurden, in welchem ſie ſich vorher nicht befanden; wir be-
zeichnen dieſen Zuſtand als einen elektriſchen und nennen die
uns noch unbekannte Urſache desſelben Elektricität.
Charakteriſtiſch für dieſe Kraft iſt die Abſtoßung. Eine Behandlung ge-
wiſſer Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits
im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete geſtrichene
Stahlſtück zieht Eiſentheile an und hält ſie feſt. Ein hinreichend kräftig geriebener
Glasſtab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält ſie aber nicht feſt,
ſondern ſtößt ſie mehr oder weniger lebhaft wieder von ſich. Greifen wir
nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel — dem elektriſchen
Pendel — zurück; wurde die Kugel an und für ſich in ungeändertem Zuſtande
erſt angezogen und dann abgeſtoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung
mit der Glasſtange ihre Eigenſchaften geändert? Die Beantwortung dieſer Frage
giebt folgender Verſuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem ſie mit dem
Glasſtabe in Berührung geweſen iſt, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere
leichte Körperchen. Werden dieſe nun gleichfalls von der zuerſt benützten Kugel
angezogen, ſo iſt mit letzterer während der Berührung mit dem Glasſtabe offen-
bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Urbanitzky, Alfred von: Die Elektricität im Dienste der Menschheit. Wien; Leipzig, 1885, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/urbanitzky_electricitaet_1885/76>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.