Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Briefe. gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie redenauch vom Frühling? Sie, die im Rauch einer engen Stadt eingeschlossen leben, und die Stimme der Nachti- gall nur bey den Poeten hören? Jn Städten, glauben Sie mir, ist nur ein halber Frühling: der Hauch der We- ste ist daselbst nur halb so lieblich, und die Bluhmen la- chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man die Schönheiten der Natur bloß dem Nahmen nach. Nur auf dem Lande kennet, fühlet und genießet man sie: und ich kann, ohne zu lügen, sagen, daß ich auf dem Lande bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht wenig Lärm verursachet. Jch kann wie auf dem Land und als ein Schäfer leben: Als Schäfer? ich betrüge mich! Wer wird mir Schäferinnen geben? Und ohne Schäferinn sind Schäfer jämmerlich. Zwar Mädchen sind hier, wie Göttinnen, So artig, als die Schäferinnen; Doch nicht so fromm, wie sie und ich. Sie sind, wie überall die Quelle süsser Schmerzen, Voll Unschuld auf der Stirn, voll Schelmerey im Herzen. So schlimm dieß Völkchen ist, wer liebt es, leider! nicht? Ein schöner Blick war stets dem Weisen überlegen: Ein Blick entrunzelt sein Gesicht: Der Fromme sündigt ihrentwegen, Schielt übern Cubach weg und spricht: Ach!
Briefe. gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie redenauch vom Fruͤhling? Sie, die im Rauch einer engen Stadt eingeſchloſſen leben, und die Stimme der Nachti- gall nur bey den Poeten hoͤren? Jn Staͤdten, glauben Sie mir, iſt nur ein halber Fruͤhling: der Hauch der We- ſte iſt daſelbſt nur halb ſo lieblich, und die Bluhmen la- chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man die Schoͤnheiten der Natur bloß dem Nahmen nach. Nur auf dem Lande kennet, fuͤhlet und genießet man ſie: und ich kann, ohne zu luͤgen, ſagen, daß ich auf dem Lande bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht wenig Laͤrm verurſachet. Jch kann wie auf dem Land und als ein Schaͤfer leben: Als Schaͤfer? ich betruͤge mich! Wer wird mir Schaͤferinnen geben? Und ohne Schaͤferinn ſind Schaͤfer jaͤmmerlich. Zwar Maͤdchen ſind hier, wie Goͤttinnen, So artig, als die Schaͤferinnen; Doch nicht ſo fromm, wie ſie und ich. Sie ſind, wie uͤberall die Quelle ſuͤſſer Schmerzen, Voll Unſchuld auf der Stirn, voll Schelmerey im Herzen. So ſchlimm dieß Voͤlkchen iſt, wer liebt es, leider! nicht? Ein ſchoͤner Blick war ſtets dem Weiſen uͤberlegen: Ein Blick entrunzelt ſein Geſicht: Der Fromme ſuͤndigt ihrentwegen, Schielt uͤbern Cubach weg und ſpricht: Ach!
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0216" n="202"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Briefe.</hi></fw><lb/> gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie reden<lb/> auch vom Fruͤhling? Sie, die im Rauch einer engen<lb/> Stadt eingeſchloſſen leben, und die Stimme der Nachti-<lb/> gall nur bey den Poeten hoͤren? Jn Staͤdten, glauben<lb/> Sie mir, iſt nur ein halber Fruͤhling: der Hauch der We-<lb/> ſte iſt daſelbſt nur halb ſo lieblich, und die Bluhmen la-<lb/> chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man<lb/> die Schoͤnheiten der Natur bloß dem Nahmen nach.<lb/> Nur auf dem Lande kennet, fuͤhlet und genießet man ſie:<lb/> und ich kann, ohne zu luͤgen, ſagen, daß ich auf dem Lande<lb/> bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht<lb/> wenig Laͤrm verurſachet.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Jch kann wie auf dem Land und als ein Schaͤfer leben:</l><lb/> <l>Als Schaͤfer? ich betruͤge mich!</l><lb/> <l>Wer wird mir Schaͤferinnen geben?</l><lb/> <l>Und ohne Schaͤferinn ſind Schaͤfer jaͤmmerlich.</l><lb/> <l>Zwar Maͤdchen ſind hier, wie Goͤttinnen,</l><lb/> <l>So artig, als die Schaͤferinnen;</l><lb/> <l>Doch nicht ſo fromm, wie ſie und ich.</l><lb/> <l>Sie ſind, wie uͤberall die Quelle ſuͤſſer Schmerzen,</l><lb/> <l>Voll Unſchuld auf der Stirn, voll Schelmerey im Herzen.</l><lb/> <l>So ſchlimm dieß Voͤlkchen iſt, wer liebt es, leider! nicht?</l><lb/> <l>Ein ſchoͤner Blick war ſtets dem Weiſen uͤberlegen:</l><lb/> <l>Ein Blick entrunzelt ſein Geſicht:</l><lb/> <l>Der Fromme ſuͤndigt ihrentwegen,</l><lb/> <l>Schielt uͤbern Cubach weg und ſpricht:</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ach!</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [202/0216]
Briefe.
gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie reden
auch vom Fruͤhling? Sie, die im Rauch einer engen
Stadt eingeſchloſſen leben, und die Stimme der Nachti-
gall nur bey den Poeten hoͤren? Jn Staͤdten, glauben
Sie mir, iſt nur ein halber Fruͤhling: der Hauch der We-
ſte iſt daſelbſt nur halb ſo lieblich, und die Bluhmen la-
chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man
die Schoͤnheiten der Natur bloß dem Nahmen nach.
Nur auf dem Lande kennet, fuͤhlet und genießet man ſie:
und ich kann, ohne zu luͤgen, ſagen, daß ich auf dem Lande
bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht
wenig Laͤrm verurſachet.
Jch kann wie auf dem Land und als ein Schaͤfer leben:
Als Schaͤfer? ich betruͤge mich!
Wer wird mir Schaͤferinnen geben?
Und ohne Schaͤferinn ſind Schaͤfer jaͤmmerlich.
Zwar Maͤdchen ſind hier, wie Goͤttinnen,
So artig, als die Schaͤferinnen;
Doch nicht ſo fromm, wie ſie und ich.
Sie ſind, wie uͤberall die Quelle ſuͤſſer Schmerzen,
Voll Unſchuld auf der Stirn, voll Schelmerey im Herzen.
So ſchlimm dieß Voͤlkchen iſt, wer liebt es, leider! nicht?
Ein ſchoͤner Blick war ſtets dem Weiſen uͤberlegen:
Ein Blick entrunzelt ſein Geſicht:
Der Fromme ſuͤndigt ihrentwegen,
Schielt uͤbern Cubach weg und ſpricht:
Ach!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |