Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Aeussere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
enge und kurze Harnröhre gewinnt und der Aditus uro-genitalis,
indem er sich zugleich relativ noch zu verkürzen scheint, zum
Aditus vaginae sich umwandelt. Nach Meckel (l. c. S. 596.)
erscheint in dem fünften Monate an der vorderen (oberen) und
hinteren (unteren) Fläche der Scheide eine Längenerhabenheit,
welche durch viele bald sich hinzugesellende Querfalten ungleich
wird. Diese verbreiten sich durch andere, in schräger Richtung
verlaufende, verbunden durch die ganze innere Oberfläche der
Scheide. Sie erscheint daher als ein zusammengesetztes Netz,
welches dadurch noch ungleicher wird, dass die Falten wiederum
vielfach eingeschnitten und gefranzt sind. Der eben geschilderte
Zustand ist im siebenten und achten Monate am deutlichsten zu
erkennen. Die Falten verkleinern sich nun, und sind schon bei
dem Neugeborenen weniger deutlich und bestimmt wahrzuneh-
men. Die Scheide selbst ist anfangs sehr eng, im siebenten bis ach-
ten Monate aber unstreitig relativ weiter, als in irgend einer Lebens-
periode. Die Scheidenklappe (S. 597.) findet sich erst in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Der Kitzler ist im An-
fange des dritten Monates über eine Linie lang und eine halbe
Linie dick. Er erigirt sich nie sehr gegen den Nabel. Die Eichel
(S. 598.) ist bis in der Mitte des vierten Monates unbedeckt.
Rasch wächst nun die Vorhaut über sie hinweg, indem sich gleich-
zeitig die inneren Lefzen hervorbilden. Die äusseren Schaamlip-
pen bedecken (S. 599.), je jünger die Frucht ist, den Kitzler und
die inneren Schaamlippen um so weniger.

Endlich müssen wir hier noch auf einen Punkt wenigstens
aufmerksam machen, welchen wir weiter unten nochmals zu be-
rühren Gelegenheit haben werden. Man hat nämlich über das
Geschlecht der Frucht vielfach gestritten und glaubte endlich in
den ersten beiden Jahrzehenden dieses Jahrhunderts zu dem Re-
sultate gelangt zu seyn, dass alle Früchte zuerst weiblich seyen,
und dass aus dem weiblichen Typus sich allmählig erst bei den
dazu bestimmten Individuen der männliche hervorbilde. Man
meinte für diesen Satz die deutlichsten Belege aus der Erfahrung
selbst gefunden zu haben und gerade die äusseren Genitalien ge-
ben nicht wenige scheinbare Gründe für diese Ansicht dar. Al-
lein geblendet von diesem Vorurtheile hatte man einiger bei ober-
flächlicher Betrachtung sich ergebenden Aehnlichkeit halber alle
frühzeitigen Früchte, in denen man das Geschlecht nicht mit Be-

Aeuſsere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
enge und kurze Harnröhre gewinnt und der Aditus uro-genitalis,
indem er sich zugleich relativ noch zu verkürzen scheint, zum
Aditus vaginae sich umwandelt. Nach Meckel (l. c. S. 596.)
erscheint in dem fünften Monate an der vorderen (oberen) und
hinteren (unteren) Fläche der Scheide eine Längenerhabenheit,
welche durch viele bald sich hinzugesellende Querfalten ungleich
wird. Diese verbreiten sich durch andere, in schräger Richtung
verlaufende, verbunden durch die ganze innere Oberfläche der
Scheide. Sie erscheint daher als ein zusammengesetztes Netz,
welches dadurch noch ungleicher wird, daſs die Falten wiederum
vielfach eingeschnitten und gefranzt sind. Der eben geschilderte
Zustand ist im siebenten und achten Monate am deutlichsten zu
erkennen. Die Falten verkleinern sich nun, und sind schon bei
dem Neugeborenen weniger deutlich und bestimmt wahrzuneh-
men. Die Scheide selbst ist anfangs sehr eng, im siebenten bis ach-
ten Monate aber unstreitig relativ weiter, als in irgend einer Lebens-
periode. Die Scheidenklappe (S. 597.) findet sich erst in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Der Kitzler ist im An-
fange des dritten Monates über eine Linie lang und eine halbe
Linie dick. Er erigirt sich nie sehr gegen den Nabel. Die Eichel
(S. 598.) ist bis in der Mitte des vierten Monates unbedeckt.
Rasch wächst nun die Vorhaut über sie hinweg, indem sich gleich-
zeitig die inneren Lefzen hervorbilden. Die äuſseren Schaamlip-
pen bedecken (S. 599.), je jünger die Frucht ist, den Kitzler und
die inneren Schaamlippen um so weniger.

Endlich müssen wir hier noch auf einen Punkt wenigstens
aufmerksam machen, welchen wir weiter unten nochmals zu be-
rühren Gelegenheit haben werden. Man hat nämlich über das
Geschlecht der Frucht vielfach gestritten und glaubte endlich in
den ersten beiden Jahrzehenden dieses Jahrhunderts zu dem Re-
sultate gelangt zu seyn, daſs alle Früchte zuerst weiblich seyen,
und daſs aus dem weiblichen Typus sich allmählig erst bei den
dazu bestimmten Individuen der männliche hervorbilde. Man
meinte für diesen Satz die deutlichsten Belege aus der Erfahrung
selbst gefunden zu haben und gerade die äuſseren Genitalien ge-
ben nicht wenige scheinbare Gründe für diese Ansicht dar. Al-
lein geblendet von diesem Vorurtheile hatte man einiger bei ober-
flächlicher Betrachtung sich ergebenden Aehnlichkeit halber alle
frühzeitigen Früchte, in denen man das Geschlecht nicht mit Be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0453" n="425"/><fw place="top" type="header">Aeu&#x017F;sere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.</fw><lb/>
enge und kurze Harnröhre gewinnt und der <hi rendition="#i">Aditus uro-genitalis</hi>,<lb/>
indem er sich zugleich relativ noch zu verkürzen scheint, zum<lb/><hi rendition="#i">Aditus vaginae</hi> sich umwandelt. Nach Meckel (l. c. S. 596.)<lb/>
erscheint in dem fünften Monate an der vorderen (oberen) und<lb/>
hinteren (unteren) Fläche der Scheide eine Längenerhabenheit,<lb/>
welche durch viele bald sich hinzugesellende Querfalten ungleich<lb/>
wird. Diese verbreiten sich durch andere, in schräger Richtung<lb/>
verlaufende, verbunden durch die ganze innere Oberfläche der<lb/>
Scheide. Sie erscheint daher als ein zusammengesetztes Netz,<lb/>
welches dadurch noch ungleicher wird, da&#x017F;s die Falten wiederum<lb/>
vielfach eingeschnitten und gefranzt sind. Der eben geschilderte<lb/>
Zustand ist im siebenten und achten Monate am deutlichsten zu<lb/>
erkennen. Die Falten verkleinern sich nun, und sind schon bei<lb/>
dem Neugeborenen weniger deutlich und bestimmt wahrzuneh-<lb/>
men. Die Scheide selbst ist anfangs sehr eng, im siebenten bis ach-<lb/>
ten Monate aber unstreitig relativ weiter, als in irgend einer Lebens-<lb/>
periode. Die Scheidenklappe (S. 597.) findet sich erst in der<lb/>
zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Der Kitzler ist im An-<lb/>
fange des dritten Monates über eine Linie lang und eine halbe<lb/>
Linie dick. Er erigirt sich nie sehr gegen den Nabel. Die Eichel<lb/>
(S. 598.) ist bis in der Mitte des vierten Monates unbedeckt.<lb/>
Rasch wächst nun die Vorhaut über sie hinweg, indem sich gleich-<lb/>
zeitig die inneren Lefzen hervorbilden. Die äu&#x017F;seren Schaamlip-<lb/>
pen bedecken (S. 599.), je jünger die Frucht ist, den Kitzler und<lb/>
die inneren Schaamlippen um so weniger.</p><lb/>
                <p>Endlich müssen wir hier noch auf einen Punkt wenigstens<lb/>
aufmerksam machen, welchen wir weiter unten nochmals zu be-<lb/>
rühren Gelegenheit haben werden. Man hat nämlich über das<lb/>
Geschlecht der Frucht vielfach gestritten und glaubte endlich in<lb/>
den ersten beiden Jahrzehenden dieses Jahrhunderts zu dem Re-<lb/>
sultate gelangt zu seyn, da&#x017F;s alle Früchte zuerst weiblich seyen,<lb/>
und da&#x017F;s aus dem weiblichen Typus sich allmählig erst bei den<lb/>
dazu bestimmten Individuen der männliche hervorbilde. Man<lb/>
meinte für diesen Satz die deutlichsten Belege aus der Erfahrung<lb/>
selbst gefunden zu haben und gerade die äu&#x017F;seren Genitalien ge-<lb/>
ben nicht wenige scheinbare Gründe für diese Ansicht dar. Al-<lb/>
lein geblendet von diesem Vorurtheile hatte man einiger bei ober-<lb/>
flächlicher Betrachtung sich ergebenden Aehnlichkeit halber alle<lb/>
frühzeitigen Früchte, in denen man das Geschlecht nicht mit Be-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0453] Aeuſsere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane. enge und kurze Harnröhre gewinnt und der Aditus uro-genitalis, indem er sich zugleich relativ noch zu verkürzen scheint, zum Aditus vaginae sich umwandelt. Nach Meckel (l. c. S. 596.) erscheint in dem fünften Monate an der vorderen (oberen) und hinteren (unteren) Fläche der Scheide eine Längenerhabenheit, welche durch viele bald sich hinzugesellende Querfalten ungleich wird. Diese verbreiten sich durch andere, in schräger Richtung verlaufende, verbunden durch die ganze innere Oberfläche der Scheide. Sie erscheint daher als ein zusammengesetztes Netz, welches dadurch noch ungleicher wird, daſs die Falten wiederum vielfach eingeschnitten und gefranzt sind. Der eben geschilderte Zustand ist im siebenten und achten Monate am deutlichsten zu erkennen. Die Falten verkleinern sich nun, und sind schon bei dem Neugeborenen weniger deutlich und bestimmt wahrzuneh- men. Die Scheide selbst ist anfangs sehr eng, im siebenten bis ach- ten Monate aber unstreitig relativ weiter, als in irgend einer Lebens- periode. Die Scheidenklappe (S. 597.) findet sich erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Der Kitzler ist im An- fange des dritten Monates über eine Linie lang und eine halbe Linie dick. Er erigirt sich nie sehr gegen den Nabel. Die Eichel (S. 598.) ist bis in der Mitte des vierten Monates unbedeckt. Rasch wächst nun die Vorhaut über sie hinweg, indem sich gleich- zeitig die inneren Lefzen hervorbilden. Die äuſseren Schaamlip- pen bedecken (S. 599.), je jünger die Frucht ist, den Kitzler und die inneren Schaamlippen um so weniger. Endlich müssen wir hier noch auf einen Punkt wenigstens aufmerksam machen, welchen wir weiter unten nochmals zu be- rühren Gelegenheit haben werden. Man hat nämlich über das Geschlecht der Frucht vielfach gestritten und glaubte endlich in den ersten beiden Jahrzehenden dieses Jahrhunderts zu dem Re- sultate gelangt zu seyn, daſs alle Früchte zuerst weiblich seyen, und daſs aus dem weiblichen Typus sich allmählig erst bei den dazu bestimmten Individuen der männliche hervorbilde. Man meinte für diesen Satz die deutlichsten Belege aus der Erfahrung selbst gefunden zu haben und gerade die äuſseren Genitalien ge- ben nicht wenige scheinbare Gründe für diese Ansicht dar. Al- lein geblendet von diesem Vorurtheile hatte man einiger bei ober- flächlicher Betrachtung sich ergebenden Aehnlichkeit halber alle frühzeitigen Früchte, in denen man das Geschlecht nicht mit Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/453
Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/453>, abgerufen am 22.11.2024.