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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
ginnen einst Deutschland ausschliesslich angehörte und erst in
dem zweiten Decennium ihrer Existenz in Frankreich ebenfalls
Wurzel fasste, so scheint auch die scientifische Entwickelungsge-
schichte demselben Schicksale entgegenzusehen. Die französischen
hierher zu rechnenden Arbeiten gehören sämmtlich noch jenem
Geiste an, der die früheren Untersuchungen von Dutrochet, Cu-
vier, Serres u. A. erzeugt hatte, wie die neuesten Arbeiten über
das menschliche Ei von Breschet, Velpeau u. A. hinlänglich zei-
gen. Vorzüglich aber können die Beobachtungen von Coste und
Delpech zu Beweisen dienen, wie diese Naturforscher sich von
schiefen und unrichtigen Ideen, als physikalischen Analogieen,
der Präexistenz des Amnion u. dgl. noch nicht loszumachen ver-
mögen. In England scheint die ganze Entwickelungsgeschichte
noch nicht mit so vieler Liebe, als in Deutschland und Frank-
reich, gepflegt zu werden. Doch zeigt die Arbeit von Themson
über die Entstehung des Gefässsystemes, dass der deutsche Geist
der Evolutionslehre auch jenseits des Kanales nicht ganz unge-
kannt ist und auch dort wohl bald seine seegenreichsten Früchte
erndten wird. Dieselben Hoffnungen dürften mit Recht auch von
Italien zu machen seyn. Und wie Frankreich sich die Ehre an-
eignet, dass die Entwickelungsgeschichte der Thierwelt durch den
Einfluss und die Bemühung seiner Gelehrten zuerst zur Wissen-
schaft geworden, so kann Deutschland gleiche Ansprüche auf den-
selben Ruhm in Rücksicht der individuellen Entwickelungsge-
schichte machen, die sogar noch verhältnissmässig rascher und
mit relativ geringeren Mitteln in das Leben trat, als die verglei-
chende Anatomie.

Dass durch diese vielfachen Bemühungen und regen Forschun-
gen das Gebiet der individuellen Entwickelungen seine Grenzen
immer mehr ausgedehnt und erweitert habe, ist leicht zu begrei-
fen, und es giebt fast keine Thierklasse oder kein Thierorgan
mehr, dessen Genese nicht mit mehr oder minder Vollständigkeit
durch die Arbeiten unseres Jahrhunderts bekannt wäre. So ver-
danken wir mannigfaltige Erfahrungen über die Evolutionsge-
schichte der Wirbellosen einem Herold, Rathke, Carus, Joh. Mül-
ler, Ehrenberg, Audouin, Milne Edwards, Strauss-Dürkheim, Bur-
meister, Owen, Grant, Della Chiaja, R. Wagner u. A., über die der
Fische Carus, Baumgärtner, Prevost und Dumas, Rathke u. A.,
über die der Amphibien Prevost und Dumas, von Bär, Rathke,

Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
ginnen einst Deutschland ausschlieſslich angehörte und erst in
dem zweiten Decennium ihrer Existenz in Frankreich ebenfalls
Wurzel faſste, so scheint auch die scientifische Entwickelungsge-
schichte demselben Schicksale entgegenzusehen. Die französischen
hierher zu rechnenden Arbeiten gehören sämmtlich noch jenem
Geiste an, der die früheren Untersuchungen von Dutrochet, Cu-
vier, Serres u. A. erzeugt hatte, wie die neuesten Arbeiten über
das menschliche Ei von Breschet, Velpeau u. A. hinlänglich zei-
gen. Vorzüglich aber können die Beobachtungen von Coste und
Delpech zu Beweisen dienen, wie diese Naturforscher sich von
schiefen und unrichtigen Ideen, als physikalischen Analogieen,
der Präexistenz des Amnion u. dgl. noch nicht loszumachen ver-
mögen. In England scheint die ganze Entwickelungsgeschichte
noch nicht mit so vieler Liebe, als in Deutschland und Frank-
reich, gepflegt zu werden. Doch zeigt die Arbeit von Themson
über die Entstehung des Gefäſssystemes, daſs der deutsche Geist
der Evolutionslehre auch jenseits des Kanales nicht ganz unge-
kannt ist und auch dort wohl bald seine seegenreichsten Früchte
erndten wird. Dieselben Hoffnungen dürften mit Recht auch von
Italien zu machen seyn. Und wie Frankreich sich die Ehre an-
eignet, daſs die Entwickelungsgeschichte der Thierwelt durch den
Einfluſs und die Bemühung seiner Gelehrten zuerst zur Wissen-
schaft geworden, so kann Deutschland gleiche Ansprüche auf den-
selben Ruhm in Rücksicht der individuellen Entwickelungsge-
schichte machen, die sogar noch verhältniſsmäſsig rascher und
mit relativ geringeren Mitteln in das Leben trat, als die verglei-
chende Anatomie.

Daſs durch diese vielfachen Bemühungen und regen Forschun-
gen das Gebiet der individuellen Entwickelungen seine Grenzen
immer mehr ausgedehnt und erweitert habe, ist leicht zu begrei-
fen, und es giebt fast keine Thierklasse oder kein Thierorgan
mehr, dessen Genese nicht mit mehr oder minder Vollständigkeit
durch die Arbeiten unseres Jahrhunderts bekannt wäre. So ver-
danken wir mannigfaltige Erfahrungen über die Evolutionsge-
schichte der Wirbellosen einem Herold, Rathke, Carus, Joh. Mül-
ler, Ehrenberg, Audouin, Milne Edwards, Strauſs-Dürkheim, Bur-
meister, Owen, Grant, Della Chiaja, R. Wagner u. A., über die der
Fische Carus, Baumgärtner, Prevost und Dumas, Rathke u. A.,
über die der Amphibien Prevost und Dumas, von Bär, Rathke,

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[580/0608] Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung. ginnen einst Deutschland ausschlieſslich angehörte und erst in dem zweiten Decennium ihrer Existenz in Frankreich ebenfalls Wurzel faſste, so scheint auch die scientifische Entwickelungsge- schichte demselben Schicksale entgegenzusehen. Die französischen hierher zu rechnenden Arbeiten gehören sämmtlich noch jenem Geiste an, der die früheren Untersuchungen von Dutrochet, Cu- vier, Serres u. A. erzeugt hatte, wie die neuesten Arbeiten über das menschliche Ei von Breschet, Velpeau u. A. hinlänglich zei- gen. Vorzüglich aber können die Beobachtungen von Coste und Delpech zu Beweisen dienen, wie diese Naturforscher sich von schiefen und unrichtigen Ideen, als physikalischen Analogieen, der Präexistenz des Amnion u. dgl. noch nicht loszumachen ver- mögen. In England scheint die ganze Entwickelungsgeschichte noch nicht mit so vieler Liebe, als in Deutschland und Frank- reich, gepflegt zu werden. Doch zeigt die Arbeit von Themson über die Entstehung des Gefäſssystemes, daſs der deutsche Geist der Evolutionslehre auch jenseits des Kanales nicht ganz unge- kannt ist und auch dort wohl bald seine seegenreichsten Früchte erndten wird. Dieselben Hoffnungen dürften mit Recht auch von Italien zu machen seyn. Und wie Frankreich sich die Ehre an- eignet, daſs die Entwickelungsgeschichte der Thierwelt durch den Einfluſs und die Bemühung seiner Gelehrten zuerst zur Wissen- schaft geworden, so kann Deutschland gleiche Ansprüche auf den- selben Ruhm in Rücksicht der individuellen Entwickelungsge- schichte machen, die sogar noch verhältniſsmäſsig rascher und mit relativ geringeren Mitteln in das Leben trat, als die verglei- chende Anatomie. Daſs durch diese vielfachen Bemühungen und regen Forschun- gen das Gebiet der individuellen Entwickelungen seine Grenzen immer mehr ausgedehnt und erweitert habe, ist leicht zu begrei- fen, und es giebt fast keine Thierklasse oder kein Thierorgan mehr, dessen Genese nicht mit mehr oder minder Vollständigkeit durch die Arbeiten unseres Jahrhunderts bekannt wäre. So ver- danken wir mannigfaltige Erfahrungen über die Evolutionsge- schichte der Wirbellosen einem Herold, Rathke, Carus, Joh. Mül- ler, Ehrenberg, Audouin, Milne Edwards, Strauſs-Dürkheim, Bur- meister, Owen, Grant, Della Chiaja, R. Wagner u. A., über die der Fische Carus, Baumgärtner, Prevost und Dumas, Rathke u. A., über die der Amphibien Prevost und Dumas, von Bär, Rathke,

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/608>, abgerufen am 01.06.2024.