nimmt sich häuslich sehr würdig aus, auch arbeitet er viel: Seine Frau -- mit allen Vortheilen -- fühlt sich doch verpflanzt, und sehr verpflanzt.
Der Tod der Prinzessin Charlotte hat viel ungeheuchelte Thränen fließen gemacht. Meine Töchter konnten, viele Tage durch, die gewohnte Herzensruhe nicht wiederfinden, und diese Stimmung war allgemein. Das schöne Beispiel einer moralisch reinen und höchst glücklichen Existenz hatte für die Prinzessin und den Prinzen ein sehr großes, allgemeines, lebhaftes Interesse erweckt, dem viele, nun zerstörte Hoffnungen sich anschlossen. Eine ganze Reihe von Ideen und Gefühlen treiben sich nun im Leeren herum, ohne sich wo anschließen zu können. Denn mit der künftigen Succession sieht's nun weitläufig aus. -- Prinz Coburg steht schön vor der Nation da. Wenn er in der öffent¬ lichen Meinung die Association mit der geliebten Verstorbenen nicht unterbricht, und hervorstechend der edle Mann, von unbe¬ scholtenen Sitten, unter dem corrumpirten Gesindel bleibt, so können, meiner Meinung nach, weitere Ereignisse seine Tage sehr bedeutend machen. -- Aber da liegt noch so viel dazwischen, und so Wenige bleiben unter veränderten Umständen dieselben! --
Es freut mich recht, daß Ihnen -- liebe Freundin -- die Engländer in Brüssel so gefielen. Das Sinnige, Vernünftige, Gutbesorgte, Ueberlegte, Geordnete, der Regel, statt der Will¬ kür und Laune Unterworfene -- würde Sie hier in Allem -- im Vieh wie im Menschen, im Leblosen wie im Belebten an¬ sprechen. Sie würden überall bemerken, daß es hier zu Lande gerichtliche Gerechtigkeit giebt für ein mißhandeltes Pferd, für eine mißhandelte Ziege (man hat just zwei solche Prozesse ent¬ schieden), wie für einen mißhandelten großen Herrn, und selbst den Straßen und Heerstraßen sehen Sie's an, daß der Fußgänger im Staat eben so viel gilt, als der sich in Karossen Herum¬
9
nimmt ſich haͤuslich ſehr wuͤrdig aus, auch arbeitet er viel: Seine Frau — mit allen Vortheilen — fuͤhlt ſich doch verpflanzt, und ſehr verpflanzt.
Der Tod der Prinzeſſin Charlotte hat viel ungeheuchelte Thraͤnen fließen gemacht. Meine Toͤchter konnten, viele Tage durch, die gewohnte Herzensruhe nicht wiederfinden, und dieſe Stimmung war allgemein. Das ſchoͤne Beiſpiel einer moraliſch reinen und hoͤchſt gluͤcklichen Exiſtenz hatte fuͤr die Prinzeſſin und den Prinzen ein ſehr großes, allgemeines, lebhaftes Intereſſe erweckt, dem viele, nun zerſtoͤrte Hoffnungen ſich anſchloſſen. Eine ganze Reihe von Ideen und Gefuͤhlen treiben ſich nun im Leeren herum, ohne ſich wo anſchließen zu koͤnnen. Denn mit der kuͤnftigen Succeſſion ſieht's nun weitlaͤufig aus. — Prinz Coburg ſteht ſchoͤn vor der Nation da. Wenn er in der oͤffent¬ lichen Meinung die Aſſociation mit der geliebten Verſtorbenen nicht unterbricht, und hervorſtechend der edle Mann, von unbe¬ ſcholtenen Sitten, unter dem corrumpirten Geſindel bleibt, ſo koͤnnen, meiner Meinung nach, weitere Ereigniſſe ſeine Tage ſehr bedeutend machen. — Aber da liegt noch ſo viel dazwiſchen, und ſo Wenige bleiben unter veraͤnderten Umſtaͤnden dieſelben! —
Es freut mich recht, daß Ihnen — liebe Freundin — die Englaͤnder in Bruͤſſel ſo gefielen. Das Sinnige, Vernuͤnftige, Gutbeſorgte, Ueberlegte, Geordnete, der Regel, ſtatt der Will¬ kuͤr und Laune Unterworfene — wuͤrde Sie hier in Allem — im Vieh wie im Menſchen, im Lebloſen wie im Belebten an¬ ſprechen. Sie wuͤrden uͤberall bemerken, daß es hier zu Lande gerichtliche Gerechtigkeit giebt fuͤr ein mißhandeltes Pferd, fuͤr eine mißhandelte Ziege (man hat juſt zwei ſolche Prozeſſe ent¬ ſchieden), wie fuͤr einen mißhandelten großen Herrn, und ſelbſt den Straßen und Heerſtraßen ſehen Sie's an, daß der Fußgaͤnger im Staat eben ſo viel gilt, als der ſich in Karoſſen Herum¬
9
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0143"n="129"/>
nimmt ſich haͤuslich ſehr wuͤrdig aus, auch arbeitet er viel:<lb/>
Seine Frau — mit allen Vortheilen — fuͤhlt ſich doch verpflanzt,<lb/>
und ſehr verpflanzt.</p><lb/><p>Der Tod der Prinzeſſin Charlotte hat viel ungeheuchelte<lb/>
Thraͤnen fließen gemacht. Meine Toͤchter konnten, viele Tage<lb/>
durch, die gewohnte Herzensruhe nicht wiederfinden, und dieſe<lb/>
Stimmung war allgemein. Das ſchoͤne Beiſpiel einer moraliſch<lb/>
reinen und hoͤchſt gluͤcklichen Exiſtenz hatte fuͤr die Prinzeſſin<lb/>
und den Prinzen ein ſehr großes, allgemeines, lebhaftes Intereſſe<lb/>
erweckt, dem viele, nun zerſtoͤrte Hoffnungen ſich anſchloſſen.<lb/>
Eine ganze Reihe von Ideen und Gefuͤhlen treiben ſich nun im<lb/>
Leeren herum, ohne ſich wo anſchließen zu koͤnnen. Denn mit<lb/>
der kuͤnftigen Succeſſion ſieht's nun weitlaͤufig aus. — Prinz<lb/>
Coburg ſteht ſchoͤn vor der Nation da. Wenn er in der oͤffent¬<lb/>
lichen Meinung die Aſſociation mit der geliebten Verſtorbenen<lb/>
nicht unterbricht, und hervorſtechend der edle Mann, von unbe¬<lb/>ſcholtenen Sitten, unter dem corrumpirten Geſindel bleibt, ſo<lb/>
koͤnnen, meiner Meinung nach, weitere Ereigniſſe ſeine Tage<lb/>ſehr bedeutend machen. — Aber da liegt noch ſo viel dazwiſchen,<lb/>
und ſo Wenige bleiben unter veraͤnderten Umſtaͤnden dieſelben! —</p><lb/><p>Es freut mich recht, daß Ihnen — liebe Freundin — die<lb/>
Englaͤnder in Bruͤſſel ſo gefielen. Das Sinnige, Vernuͤnftige,<lb/>
Gutbeſorgte, Ueberlegte, Geordnete, der Regel, ſtatt der Will¬<lb/>
kuͤr und Laune Unterworfene — wuͤrde Sie hier in Allem —<lb/>
im Vieh wie im Menſchen, im Lebloſen wie im Belebten an¬<lb/>ſprechen. Sie wuͤrden uͤberall bemerken, daß es hier zu Lande<lb/>
gerichtliche Gerechtigkeit giebt fuͤr ein mißhandeltes Pferd, fuͤr<lb/>
eine mißhandelte Ziege (man hat juſt zwei ſolche Prozeſſe ent¬<lb/>ſchieden), wie fuͤr einen mißhandelten großen Herrn, und ſelbſt<lb/>
den Straßen und Heerſtraßen ſehen Sie's an, daß der Fußgaͤnger<lb/>
im Staat eben ſo viel gilt, als der ſich in Karoſſen Herum¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#b">9</hi><lb/></fw></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[129/0143]
nimmt ſich haͤuslich ſehr wuͤrdig aus, auch arbeitet er viel:
Seine Frau — mit allen Vortheilen — fuͤhlt ſich doch verpflanzt,
und ſehr verpflanzt.
Der Tod der Prinzeſſin Charlotte hat viel ungeheuchelte
Thraͤnen fließen gemacht. Meine Toͤchter konnten, viele Tage
durch, die gewohnte Herzensruhe nicht wiederfinden, und dieſe
Stimmung war allgemein. Das ſchoͤne Beiſpiel einer moraliſch
reinen und hoͤchſt gluͤcklichen Exiſtenz hatte fuͤr die Prinzeſſin
und den Prinzen ein ſehr großes, allgemeines, lebhaftes Intereſſe
erweckt, dem viele, nun zerſtoͤrte Hoffnungen ſich anſchloſſen.
Eine ganze Reihe von Ideen und Gefuͤhlen treiben ſich nun im
Leeren herum, ohne ſich wo anſchließen zu koͤnnen. Denn mit
der kuͤnftigen Succeſſion ſieht's nun weitlaͤufig aus. — Prinz
Coburg ſteht ſchoͤn vor der Nation da. Wenn er in der oͤffent¬
lichen Meinung die Aſſociation mit der geliebten Verſtorbenen
nicht unterbricht, und hervorſtechend der edle Mann, von unbe¬
ſcholtenen Sitten, unter dem corrumpirten Geſindel bleibt, ſo
koͤnnen, meiner Meinung nach, weitere Ereigniſſe ſeine Tage
ſehr bedeutend machen. — Aber da liegt noch ſo viel dazwiſchen,
und ſo Wenige bleiben unter veraͤnderten Umſtaͤnden dieſelben! —
Es freut mich recht, daß Ihnen — liebe Freundin — die
Englaͤnder in Bruͤſſel ſo gefielen. Das Sinnige, Vernuͤnftige,
Gutbeſorgte, Ueberlegte, Geordnete, der Regel, ſtatt der Will¬
kuͤr und Laune Unterworfene — wuͤrde Sie hier in Allem —
im Vieh wie im Menſchen, im Lebloſen wie im Belebten an¬
ſprechen. Sie wuͤrden uͤberall bemerken, daß es hier zu Lande
gerichtliche Gerechtigkeit giebt fuͤr ein mißhandeltes Pferd, fuͤr
eine mißhandelte Ziege (man hat juſt zwei ſolche Prozeſſe ent¬
ſchieden), wie fuͤr einen mißhandelten großen Herrn, und ſelbſt
den Straßen und Heerſtraßen ſehen Sie's an, daß der Fußgaͤnger
im Staat eben ſo viel gilt, als der ſich in Karoſſen Herum¬
9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/143>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.