alle Nahrung verweigert. Ebenso machte unser Freund an sich moralische Experimente. Er ist dadurch zu einer inneren ungewöhnlichen Ausbildung gelangt. Schade, daß diese und seine andern Mittel keinen, seinen übri¬ gen Verhältnissen angemessenen Wirkungskreis gefunden. Wie unendlich viel hätten da sein guter Wille, seine Redlichkeit, seine edle Uneigennützigkeit, seine mannig¬ faltigen Kenntnisse und Einsichten genützt! Im Pflicht¬ verkehr mit der Außenwelt würde eine gewisse Ueber¬ spannung, die seinen Begriffen anhing, zu mäßigerem Niveau herabgestiegen sein. Sein Leben stand im Wi¬ derspruche mit den Grundsätzen, die er sich gemacht hatte, und die er predigte. Auch fühlte er sehr, daß er es zu keinem ihm selbst genügenden Zwecke ver¬ wandt. Unschlüssigkeit, Hingebung in das Interesse des Augenblicks, zu große Willfährigkeit für Andere, Geselligkeit, Gesprächigkeit, mitunter Stolz, insbeson¬ dere aber bis zur geringsten Umständlichkeit ausgespon¬ nene Entwürfe sind schuld, daß keiner seiner Lebens¬ pläne zur Ausführung gekommen. Zuletzt trösteten ihn über das verfehlte Sein die Verkehrtheit der Welt und die Ueberzeugung, daß er doch nicht viel würde aus¬ gerichtet haben. Ernstlicher konnte er sich damit trösten, eine lebendige Wohlthätigkeitsanstalt für Arme und Hülfsbedürftige zu sein. Diese wandten sich nie ver¬ gebens an seine weichherzige Freigebigkeit. Für sie war bei ihm beständig Almosen bereit, Empfehlung und
alle Nahrung verweigert. Ebenſo machte unſer Freund an ſich moraliſche Experimente. Er iſt dadurch zu einer inneren ungewoͤhnlichen Ausbildung gelangt. Schade, daß dieſe und ſeine andern Mittel keinen, ſeinen uͤbri¬ gen Verhaͤltniſſen angemeſſenen Wirkungskreis gefunden. Wie unendlich viel haͤtten da ſein guter Wille, ſeine Redlichkeit, ſeine edle Uneigennuͤtzigkeit, ſeine mannig¬ faltigen Kenntniſſe und Einſichten genuͤtzt! Im Pflicht¬ verkehr mit der Außenwelt wuͤrde eine gewiſſe Ueber¬ ſpannung, die ſeinen Begriffen anhing, zu maͤßigerem Niveau herabgeſtiegen ſein. Sein Leben ſtand im Wi¬ derſpruche mit den Grundſaͤtzen, die er ſich gemacht hatte, und die er predigte. Auch fuͤhlte er ſehr, daß er es zu keinem ihm ſelbſt genuͤgenden Zwecke ver¬ wandt. Unſchluͤſſigkeit, Hingebung in das Intereſſe des Augenblicks, zu große Willfaͤhrigkeit fuͤr Andere, Geſelligkeit, Geſpraͤchigkeit, mitunter Stolz, insbeſon¬ dere aber bis zur geringſten Umſtaͤndlichkeit ausgeſpon¬ nene Entwuͤrfe ſind ſchuld, daß keiner ſeiner Lebens¬ plaͤne zur Ausfuͤhrung gekommen. Zuletzt troͤſteten ihn uͤber das verfehlte Sein die Verkehrtheit der Welt und die Ueberzeugung, daß er doch nicht viel wuͤrde aus¬ gerichtet haben. Ernſtlicher konnte er ſich damit troͤſten, eine lebendige Wohlthaͤtigkeitsanſtalt fuͤr Arme und Huͤlfsbeduͤrftige zu ſein. Dieſe wandten ſich nie ver¬ gebens an ſeine weichherzige Freigebigkeit. Fuͤr ſie war bei ihm beſtaͤndig Almoſen bereit, Empfehlung und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0179"n="165"/>
alle Nahrung verweigert. Ebenſo machte unſer Freund<lb/>
an ſich moraliſche Experimente. Er iſt dadurch zu einer<lb/>
inneren ungewoͤhnlichen Ausbildung gelangt. Schade,<lb/>
daß dieſe und ſeine andern Mittel keinen, ſeinen uͤbri¬<lb/>
gen Verhaͤltniſſen angemeſſenen Wirkungskreis gefunden.<lb/>
Wie unendlich viel haͤtten da ſein guter Wille, ſeine<lb/>
Redlichkeit, ſeine edle Uneigennuͤtzigkeit, ſeine mannig¬<lb/>
faltigen Kenntniſſe und Einſichten genuͤtzt! Im Pflicht¬<lb/>
verkehr mit der Außenwelt wuͤrde eine gewiſſe Ueber¬<lb/>ſpannung, die ſeinen Begriffen anhing, zu maͤßigerem<lb/>
Niveau herabgeſtiegen ſein. Sein Leben ſtand im Wi¬<lb/>
derſpruche mit den Grundſaͤtzen, die er ſich gemacht<lb/>
hatte, und die er predigte. Auch fuͤhlte er ſehr, daß<lb/>
er es zu keinem ihm ſelbſt genuͤgenden Zwecke ver¬<lb/>
wandt. Unſchluͤſſigkeit, Hingebung in das Intereſſe<lb/>
des Augenblicks, zu große Willfaͤhrigkeit fuͤr Andere,<lb/>
Geſelligkeit, Geſpraͤchigkeit, mitunter Stolz, insbeſon¬<lb/>
dere aber bis zur geringſten Umſtaͤndlichkeit ausgeſpon¬<lb/>
nene Entwuͤrfe ſind ſchuld, daß keiner ſeiner Lebens¬<lb/>
plaͤne zur Ausfuͤhrung gekommen. Zuletzt troͤſteten ihn<lb/>
uͤber das verfehlte Sein die Verkehrtheit der Welt und<lb/>
die Ueberzeugung, daß er doch nicht viel wuͤrde aus¬<lb/>
gerichtet haben. Ernſtlicher konnte er ſich damit troͤſten,<lb/>
eine lebendige Wohlthaͤtigkeitsanſtalt fuͤr Arme und<lb/>
Huͤlfsbeduͤrftige zu ſein. Dieſe wandten ſich nie ver¬<lb/>
gebens an ſeine weichherzige Freigebigkeit. Fuͤr ſie war<lb/>
bei ihm beſtaͤndig Almoſen bereit, Empfehlung und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[165/0179]
alle Nahrung verweigert. Ebenſo machte unſer Freund
an ſich moraliſche Experimente. Er iſt dadurch zu einer
inneren ungewoͤhnlichen Ausbildung gelangt. Schade,
daß dieſe und ſeine andern Mittel keinen, ſeinen uͤbri¬
gen Verhaͤltniſſen angemeſſenen Wirkungskreis gefunden.
Wie unendlich viel haͤtten da ſein guter Wille, ſeine
Redlichkeit, ſeine edle Uneigennuͤtzigkeit, ſeine mannig¬
faltigen Kenntniſſe und Einſichten genuͤtzt! Im Pflicht¬
verkehr mit der Außenwelt wuͤrde eine gewiſſe Ueber¬
ſpannung, die ſeinen Begriffen anhing, zu maͤßigerem
Niveau herabgeſtiegen ſein. Sein Leben ſtand im Wi¬
derſpruche mit den Grundſaͤtzen, die er ſich gemacht
hatte, und die er predigte. Auch fuͤhlte er ſehr, daß
er es zu keinem ihm ſelbſt genuͤgenden Zwecke ver¬
wandt. Unſchluͤſſigkeit, Hingebung in das Intereſſe
des Augenblicks, zu große Willfaͤhrigkeit fuͤr Andere,
Geſelligkeit, Geſpraͤchigkeit, mitunter Stolz, insbeſon¬
dere aber bis zur geringſten Umſtaͤndlichkeit ausgeſpon¬
nene Entwuͤrfe ſind ſchuld, daß keiner ſeiner Lebens¬
plaͤne zur Ausfuͤhrung gekommen. Zuletzt troͤſteten ihn
uͤber das verfehlte Sein die Verkehrtheit der Welt und
die Ueberzeugung, daß er doch nicht viel wuͤrde aus¬
gerichtet haben. Ernſtlicher konnte er ſich damit troͤſten,
eine lebendige Wohlthaͤtigkeitsanſtalt fuͤr Arme und
Huͤlfsbeduͤrftige zu ſein. Dieſe wandten ſich nie ver¬
gebens an ſeine weichherzige Freigebigkeit. Fuͤr ſie war
bei ihm beſtaͤndig Almoſen bereit, Empfehlung und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/179>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.