Ungereimtheit glauben und die Entdeckung derselben als ein Verbrechen ansehen könnten. Hätte sich mein Vater so in eigner Person dagegen erklärt, wie gegen die Gespenster, so würde ich ihm freilich mehr als den Mil¬ lionen geglaubt haben. Nichts ist dem Menschen wohl schwerer als Toleranz in Glaubenssachen, ich halte sie für unmöglich; und nur die feste Ueberzeugung, daß der Andre wohl in dieser oder jener Welt, auch ohne unser Zuthun, die Wahrheit unsers Glaubens wird an¬ erkennen müssen, kann den Schein von Toleranz geben. Der wahrhaft Ueberzeugte handelt daher, als wäre er tolerant, und überläßt im festen Vertrauen, daß es geschehen werde, die Bekehrung oder Verdammung Gott; der aber durch den Nichtbeifall noch in seiner Ueber¬ zeugung, die zu heucheln er sich Maxime gemacht hat, gestört wird, sucht den Zweifler selbst, wenn er es kann, zu vertilgen.
So viel Schwierigkeit ich fand, Höhe und Tiefe der Töne zu unterscheiden, so leicht war es mir, die Artikulation derselben zu unterscheiden, und ich danke es nur dem sehr schlechten Dialekt meiner Vaterstadt, daß ich nicht zu einer ganz reinen und deutlichen Aus¬ sprache meiner Muttersprache gelangte. So gut mein Gedächtniß war, so zeichnete ich mich doch in meiner Schule nicht dadurch aus, denn ich strebte nur, den Inhalt einer Sache zu wissen, ohne mich ängstlich um die Worte zu bekümmern. Ich erinnere mich noch,
Ungereimtheit glauben und die Entdeckung derſelben als ein Verbrechen anſehen koͤnnten. Haͤtte ſich mein Vater ſo in eigner Perſon dagegen erklaͤrt, wie gegen die Geſpenſter, ſo wuͤrde ich ihm freilich mehr als den Mil¬ lionen geglaubt haben. Nichts iſt dem Menſchen wohl ſchwerer als Toleranz in Glaubensſachen, ich halte ſie fuͤr unmoͤglich; und nur die feſte Ueberzeugung, daß der Andre wohl in dieſer oder jener Welt, auch ohne unſer Zuthun, die Wahrheit unſers Glaubens wird an¬ erkennen muͤſſen, kann den Schein von Toleranz geben. Der wahrhaft Ueberzeugte handelt daher, als waͤre er tolerant, und uͤberlaͤßt im feſten Vertrauen, daß es geſchehen werde, die Bekehrung oder Verdammung Gott; der aber durch den Nichtbeifall noch in ſeiner Ueber¬ zeugung, die zu heucheln er ſich Maxime gemacht hat, geſtoͤrt wird, ſucht den Zweifler ſelbſt, wenn er es kann, zu vertilgen.
So viel Schwierigkeit ich fand, Hoͤhe und Tiefe der Toͤne zu unterſcheiden, ſo leicht war es mir, die Artikulation derſelben zu unterſcheiden, und ich danke es nur dem ſehr ſchlechten Dialekt meiner Vaterſtadt, daß ich nicht zu einer ganz reinen und deutlichen Aus¬ ſprache meiner Mutterſprache gelangte. So gut mein Gedaͤchtniß war, ſo zeichnete ich mich doch in meiner Schule nicht dadurch aus, denn ich ſtrebte nur, den Inhalt einer Sache zu wiſſen, ohne mich aͤngſtlich um die Worte zu bekuͤmmern. Ich erinnere mich noch,
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Ungereimtheit glauben und die Entdeckung derſelben als
ein Verbrechen anſehen koͤnnten. Haͤtte ſich mein Vater
ſo in eigner Perſon dagegen erklaͤrt, wie gegen die
Geſpenſter, ſo wuͤrde ich ihm freilich mehr als den Mil¬
lionen geglaubt haben. Nichts iſt dem Menſchen wohl
ſchwerer als Toleranz in Glaubensſachen, ich halte ſie
fuͤr unmoͤglich; und nur die feſte Ueberzeugung, daß
der Andre wohl in dieſer oder jener Welt, auch ohne
unſer Zuthun, die Wahrheit unſers Glaubens wird an¬
erkennen muͤſſen, kann den Schein von Toleranz geben.
Der wahrhaft Ueberzeugte handelt daher, als waͤre er
tolerant, und uͤberlaͤßt im feſten Vertrauen, daß es
geſchehen werde, die Bekehrung oder Verdammung Gott;
der aber durch den Nichtbeifall noch in ſeiner Ueber¬
zeugung, die zu heucheln er ſich Maxime gemacht hat,
geſtoͤrt wird, ſucht den Zweifler ſelbſt, wenn er es
kann, zu vertilgen.
So viel Schwierigkeit ich fand, Hoͤhe und Tiefe
der Toͤne zu unterſcheiden, ſo leicht war es mir, die
Artikulation derſelben zu unterſcheiden, und ich danke
es nur dem ſehr ſchlechten Dialekt meiner Vaterſtadt,
daß ich nicht zu einer ganz reinen und deutlichen Aus¬
ſprache meiner Mutterſprache gelangte. So gut mein
Gedaͤchtniß war, ſo zeichnete ich mich doch in meiner
Schule nicht dadurch aus, denn ich ſtrebte nur, den
Inhalt einer Sache zu wiſſen, ohne mich aͤngſtlich um
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/232>, abgerufen am 26.11.2024.
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