Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Scham, die keine Reue bannt,
Vernichten, was vorlängst erkannt,
Des eignen Herzens Vehmgericht:
Das können euch die Götter nicht.
Du hast dein Urtheil selbst gesprochen,
Und ewig ist die Schuld gerochen.
7.
Die Braut.
Was ich in heißen Prüfungsjahren
An Hoffnung, Furcht und Schmerz erfahren,
Begreift nur wer die Liebe kennt.
Doch keine Menschenzunge nennt
Die Seligkeit, die ich empfand,
Als mir der letzte Zweifel schwand.
Doch ach! mein Herz erlag der Wonne,
Und als sich hob die dritte Sonne,
Empfing ein düstres Thurmgeläute
Den Sarg der glücklichsten der Bräute.
Des armen Menschen duldsam Herz
Erträgt den staubverwandten Schmerz;
Nicht so der Freude Himmelsgluth;
Sie wogt und schäumt wie Meeresfluth,
Sie weckt in tieferregter Brust
Der Sehnsucht ungestüme Lust.
Sie strebt nach gränzenloser Fülle
Und bricht des Geistes schwache Hülle.
Der Scham, die keine Reue bannt,
Vernichten, was vorlängſt erkannt,
Des eignen Herzens Vehmgericht:
Das können euch die Götter nicht.
Du haſt dein Urtheil ſelbſt geſprochen,
Und ewig iſt die Schuld gerochen.
7.
Die Braut.
Was ich in heißen Prüfungsjahren
An Hoffnung, Furcht und Schmerz erfahren,
Begreift nur wer die Liebe kennt.
Doch keine Menſchenzunge nennt
Die Seligkeit, die ich empfand,
Als mir der letzte Zweifel ſchwand.
Doch ach! mein Herz erlag der Wonne,
Und als ſich hob die dritte Sonne,
Empfing ein düſtres Thurmgeläute
Den Sarg der glücklichſten der Bräute.
Des armen Menſchen duldſam Herz
Erträgt den ſtaubverwandten Schmerz;
Nicht ſo der Freude Himmelsgluth;
Sie wogt und ſchäumt wie Meeresfluth,
Sie weckt in tieferregter Bruſt
Der Sehnſucht ungeſtüme Luſt.
Sie ſtrebt nach gränzenloſer Fülle
Und bricht des Geiſtes ſchwache Hülle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <lg type="poem">
                  <pb facs="#f0406" n="392"/>
                  <l>Der Scham, die keine Reue bannt,</l><lb/>
                  <l>Vernichten, was vorläng&#x017F;t erkannt,</l><lb/>
                  <l>Des eignen Herzens Vehmgericht:</l><lb/>
                  <l>Das können euch die Götter nicht.</l><lb/>
                  <l>Du ha&#x017F;t dein Urtheil &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;prochen,</l><lb/>
                  <l>Und ewig i&#x017F;t die Schuld gerochen.</l><lb/>
                </lg>
              </div>
              <div n="5">
                <head><hi rendition="#b">7</hi>.<lb/><hi rendition="#g">Die Braut.</hi></head><lb/>
                <lg type="poem">
                  <l>Was ich in heißen Prüfungsjahren</l><lb/>
                  <l>An Hoffnung, Furcht und Schmerz erfahren,</l><lb/>
                  <l>Begreift nur wer die Liebe kennt.</l><lb/>
                  <l>Doch keine Men&#x017F;chenzunge nennt</l><lb/>
                  <l>Die Seligkeit, die ich empfand,</l><lb/>
                  <l>Als mir der letzte Zweifel &#x017F;chwand.</l><lb/>
                  <l>Doch ach! mein Herz erlag der Wonne,</l><lb/>
                  <l>Und als &#x017F;ich hob die dritte Sonne,</l><lb/>
                  <l>Empfing ein dü&#x017F;tres Thurmgeläute</l><lb/>
                  <l>Den Sarg der glücklich&#x017F;ten der Bräute.</l><lb/>
                  <l>Des armen Men&#x017F;chen duld&#x017F;am Herz</l><lb/>
                  <l>Erträgt den &#x017F;taubverwandten Schmerz;</l><lb/>
                  <l>Nicht &#x017F;o der Freude Himmelsgluth;</l><lb/>
                  <l>Sie wogt und &#x017F;chäumt wie Meeresfluth,</l><lb/>
                  <l>Sie weckt in tieferregter Bru&#x017F;t</l><lb/>
                  <l>Der Sehn&#x017F;ucht unge&#x017F;tüme Lu&#x017F;t.</l><lb/>
                  <l>Sie &#x017F;trebt nach gränzenlo&#x017F;er Fülle</l><lb/>
                  <l>Und bricht des Gei&#x017F;tes &#x017F;chwache Hülle.</l><lb/>
                </lg>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0406] Der Scham, die keine Reue bannt, Vernichten, was vorlängſt erkannt, Des eignen Herzens Vehmgericht: Das können euch die Götter nicht. Du haſt dein Urtheil ſelbſt geſprochen, Und ewig iſt die Schuld gerochen. 7. Die Braut. Was ich in heißen Prüfungsjahren An Hoffnung, Furcht und Schmerz erfahren, Begreift nur wer die Liebe kennt. Doch keine Menſchenzunge nennt Die Seligkeit, die ich empfand, Als mir der letzte Zweifel ſchwand. Doch ach! mein Herz erlag der Wonne, Und als ſich hob die dritte Sonne, Empfing ein düſtres Thurmgeläute Den Sarg der glücklichſten der Bräute. Des armen Menſchen duldſam Herz Erträgt den ſtaubverwandten Schmerz; Nicht ſo der Freude Himmelsgluth; Sie wogt und ſchäumt wie Meeresfluth, Sie weckt in tieferregter Bruſt Der Sehnſucht ungeſtüme Luſt. Sie ſtrebt nach gränzenloſer Fülle Und bricht des Geiſtes ſchwache Hülle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/406
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/406>, abgerufen am 22.11.2024.