Das Leben des Tages war von näheren Bezügen er¬ füllt; ein Mährchen oder eine Geschichte mehr zu den vielen, die man schon vernommen hatte, konnte die Aufmerksamkeit nicht lange festhalten. Mad. Guachet verließ auch Berlin bald wieder, und wollte nach Ru߬ land reisen, wo sie sich günstige Aussichten eröffnet glaubte.
Wir verlieren hier den Faden ihrer Geschichte; ob sie schon damals nach Rußland gekommen und mit ge¬ scheiterten Hoffnungen dorther zurückgekehrt sei, können wir nicht angeben. Wir finden sie aber in den Jah¬ ren 1800 und 1801 wieder bei ihrer Freundin Fräu¬ lein von Schuckmann, mit der sie in Mecklenburg und Holstein längere Zeit engverbunden lebte. Auf diese Freundin wirkte sie mit großer Anziehungskraft, sie hatte sich deren Herz und Sinn völlig angeeignet. Die Ungleichheit selbst, in welcher sie bald als herrische Ge¬ bieterin befahl, bald als liebendes Kind sich anschmiegte, erhöhte den Reiz ihres Wesens, das in allem Aben¬ theuerlichen und Geringern, wozu ihre Lage sie nöthi¬ gen konnte, immer etwas von ursprünglicher Hoheit behielt.
Unter Bonaparte's Konsulat schienen in Frankreich für die Ausgewanderten neue Hoffnungen aufzugehen, und auch Mad. Guachet verlangte heftig, in ihre Hei¬ math zurückzukehren, und ihre Ansprüche dort zu ver¬
Das Leben des Tages war von naͤheren Bezuͤgen er¬ fuͤllt; ein Maͤhrchen oder eine Geſchichte mehr zu den vielen, die man ſchon vernommen hatte, konnte die Aufmerkſamkeit nicht lange feſthalten. Mad. Guachet verließ auch Berlin bald wieder, und wollte nach Ru߬ land reiſen, wo ſie ſich guͤnſtige Ausſichten eroͤffnet glaubte.
Wir verlieren hier den Faden ihrer Geſchichte; ob ſie ſchon damals nach Rußland gekommen und mit ge¬ ſcheiterten Hoffnungen dorther zuruͤckgekehrt ſei, koͤnnen wir nicht angeben. Wir finden ſie aber in den Jah¬ ren 1800 und 1801 wieder bei ihrer Freundin Fraͤu¬ lein von Schuckmann, mit der ſie in Mecklenburg und Holſtein laͤngere Zeit engverbunden lebte. Auf dieſe Freundin wirkte ſie mit großer Anziehungskraft, ſie hatte ſich deren Herz und Sinn voͤllig angeeignet. Die Ungleichheit ſelbſt, in welcher ſie bald als herriſche Ge¬ bieterin befahl, bald als liebendes Kind ſich anſchmiegte, erhoͤhte den Reiz ihres Weſens, das in allem Aben¬ theuerlichen und Geringern, wozu ihre Lage ſie noͤthi¬ gen konnte, immer etwas von urſpruͤnglicher Hoheit behielt.
Unter Bonaparte’s Konſulat ſchienen in Frankreich fuͤr die Ausgewanderten neue Hoffnungen aufzugehen, und auch Mad. Guachet verlangte heftig, in ihre Hei¬ math zuruͤckzukehren, und ihre Anſpruͤche dort zu ver¬
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Das Leben des Tages war von naͤheren Bezuͤgen er¬
fuͤllt; ein Maͤhrchen oder eine Geſchichte mehr zu den
vielen, die man ſchon vernommen hatte, konnte die
Aufmerkſamkeit nicht lange feſthalten. Mad. Guachet
verließ auch Berlin bald wieder, und wollte nach Ru߬
land reiſen, wo ſie ſich guͤnſtige Ausſichten eroͤffnet
glaubte.
Wir verlieren hier den Faden ihrer Geſchichte; ob
ſie ſchon damals nach Rußland gekommen und mit ge¬
ſcheiterten Hoffnungen dorther zuruͤckgekehrt ſei, koͤnnen
wir nicht angeben. Wir finden ſie aber in den Jah¬
ren 1800 und 1801 wieder bei ihrer Freundin Fraͤu¬
lein von Schuckmann, mit der ſie in Mecklenburg und
Holſtein laͤngere Zeit engverbunden lebte. Auf dieſe
Freundin wirkte ſie mit großer Anziehungskraft, ſie
hatte ſich deren Herz und Sinn voͤllig angeeignet. Die
Ungleichheit ſelbſt, in welcher ſie bald als herriſche Ge¬
bieterin befahl, bald als liebendes Kind ſich anſchmiegte,
erhoͤhte den Reiz ihres Weſens, das in allem Aben¬
theuerlichen und Geringern, wozu ihre Lage ſie noͤthi¬
gen konnte, immer etwas von urſpruͤnglicher Hoheit
behielt.
Unter Bonaparte’s Konſulat ſchienen in Frankreich
fuͤr die Ausgewanderten neue Hoffnungen aufzugehen,
und auch Mad. Guachet verlangte heftig, in ihre Hei¬
math zuruͤckzukehren, und ihre Anſpruͤche dort zu ver¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/464>, abgerufen am 24.11.2024.
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