Dies führt mich, liebe Frau Base, wieder auf Ihren Brief. Sie schreiben: "In Paris war Ihnen der Gedanke bitter, Ihren Nebenmenschen gegen baare Bezahlung zu kuriren und doch." -- Gesetzt, ich hätte Narbonne geradezu für's Geld gerettet, so sehe ich kaum, was in der Sache just Unmoralisches wäre. Alles ehrliche Geldverdienen in der Welt ist Verdienen durch Dienst¬ leistungen, die höheren Pflichten nicht widersprechen, und mich däucht nicht, daß es mehr strafbar ist, für ein gerettetes Leben mit Gefahr des eignen ausgezeichnete Belohnung zu empfangen, als für ein gerettetes Leben durch ein kühnes Aderlaß, ein kühnes Brechmittel mit Gefahr des guten Rufs. Sein Leben vernünftig zu wagen, -- d. h. mit der Wahrscheinlichkeit es davon zu bringen, und für einen hinlänglich wichtigen Zweck, -- ist so wenig einer Pflicht zuwider, als vernünftigerweise seinen guten Ruf zu wagen. -- Aber die Stael war schwanger, und Nar¬ bonne's Tod wäre zuverlässig der Untergang dreier Geschöpfe gewesen! -- Das Einzige, was ein feines Gefühl dabei Bedenk¬ liches findet, und was auch Sie, liebe Freundin, bei Ihrem Briefe geleitet hat, ist die Bemerkung, daß es gewisse Dienst¬ leistungen giebt, die zu edel sind, um bezahlbar zu sein, und die man nach Rousseau nicht für Geld thun kann, ohne sich selbst und die Sache zu erniedrigen! Dies ist unstreitig wahr! -- Aber ich hab' auch mit Narbonne keinen Handel gemacht; es ist nicht mit Einer Silbe von Geld als von Motiv unter uns die Rede gewesen. Ich bin innig überzeugt, daß ich nicht um ein haarbreit verschieden gehandelt haben würde, selbst bei der Ge¬ wißheit, keinen Pfennig dadurch zu gewinnen; aber ich gesteh' auch eben so aufrichtig, daß unter dem Berechnen der möglichen Folgen jener Handlung der Gedanke mir lieb war, meine Glücks¬ umstände dadurch vermuthlich zu verbessern. Ich wollte mir einen Freund auf Kosten der größten Gefahr machen, dessen
Dies fuͤhrt mich, liebe Frau Baſe, wieder auf Ihren Brief. Sie ſchreiben: „In Paris war Ihnen der Gedanke bitter, Ihren Nebenmenſchen gegen baare Bezahlung zu kuriren und doch.“ — Geſetzt, ich haͤtte Narbonne geradezu fuͤr’s Geld gerettet, ſo ſehe ich kaum, was in der Sache juſt Unmoraliſches waͤre. Alles ehrliche Geldverdienen in der Welt iſt Verdienen durch Dienſt¬ leiſtungen, die hoͤheren Pflichten nicht widerſprechen, und mich daͤucht nicht, daß es mehr ſtrafbar iſt, fuͤr ein gerettetes Leben mit Gefahr des eignen ausgezeichnete Belohnung zu empfangen, als fuͤr ein gerettetes Leben durch ein kuͤhnes Aderlaß, ein kuͤhnes Brechmittel mit Gefahr des guten Rufs. Sein Leben vernuͤnftig zu wagen, — d. h. mit der Wahrſcheinlichkeit es davon zu bringen, und fuͤr einen hinlaͤnglich wichtigen Zweck, — iſt ſo wenig einer Pflicht zuwider, als vernuͤnftigerweiſe ſeinen guten Ruf zu wagen. — Aber die Staël war ſchwanger, und Nar¬ bonne’s Tod waͤre zuverlaͤſſig der Untergang dreier Geſchoͤpfe geweſen! — Das Einzige, was ein feines Gefuͤhl dabei Bedenk¬ liches findet, und was auch Sie, liebe Freundin, bei Ihrem Briefe geleitet hat, iſt die Bemerkung, daß es gewiſſe Dienſt¬ leiſtungen giebt, die zu edel ſind, um bezahlbar zu ſein, und die man nach Rouſſeau nicht fuͤr Geld thun kann, ohne ſich ſelbſt und die Sache zu erniedrigen! Dies iſt unſtreitig wahr! — Aber ich hab’ auch mit Narbonne keinen Handel gemacht; es iſt nicht mit Einer Silbe von Geld als von Motiv unter uns die Rede geweſen. Ich bin innig uͤberzeugt, daß ich nicht um ein haarbreit verſchieden gehandelt haben wuͤrde, ſelbſt bei der Ge¬ wißheit, keinen Pfennig dadurch zu gewinnen; aber ich geſteh’ auch eben ſo aufrichtig, daß unter dem Berechnen der moͤglichen Folgen jener Handlung der Gedanke mir lieb war, meine Gluͤcks¬ umſtaͤnde dadurch vermuthlich zu verbeſſern. Ich wollte mir einen Freund auf Koſten der groͤßten Gefahr machen, deſſen
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Dies fuͤhrt mich, liebe Frau Baſe, wieder auf Ihren Brief.
Sie ſchreiben: „In Paris war Ihnen der Gedanke bitter, Ihren
Nebenmenſchen gegen baare Bezahlung zu kuriren und doch.“ —
Geſetzt, ich haͤtte Narbonne geradezu fuͤr’s Geld gerettet, ſo ſehe
ich kaum, was in der Sache juſt Unmoraliſches waͤre. Alles
ehrliche Geldverdienen in der Welt iſt Verdienen durch Dienſt¬
leiſtungen, die hoͤheren Pflichten nicht widerſprechen, und mich
daͤucht nicht, daß es mehr ſtrafbar iſt, fuͤr ein gerettetes Leben
mit Gefahr des eignen ausgezeichnete Belohnung zu empfangen,
als fuͤr ein gerettetes Leben durch ein kuͤhnes Aderlaß, ein kuͤhnes
Brechmittel mit Gefahr des guten Rufs. Sein Leben vernuͤnftig
zu wagen, — d. h. mit der Wahrſcheinlichkeit es davon zu
bringen, und fuͤr einen hinlaͤnglich wichtigen Zweck, — iſt ſo
wenig einer Pflicht zuwider, als vernuͤnftigerweiſe ſeinen guten
Ruf zu wagen. — Aber die Staël war ſchwanger, und Nar¬
bonne’s Tod waͤre zuverlaͤſſig der Untergang dreier Geſchoͤpfe
geweſen! — Das Einzige, was ein feines Gefuͤhl dabei Bedenk¬
liches findet, und was auch Sie, liebe Freundin, bei Ihrem
Briefe geleitet hat, iſt die Bemerkung, daß es gewiſſe Dienſt¬
leiſtungen giebt, die zu edel ſind, um bezahlbar zu ſein, und die
man nach Rouſſeau nicht fuͤr Geld thun kann, ohne ſich ſelbſt
und die Sache zu erniedrigen! Dies iſt unſtreitig wahr! —
Aber ich hab’ auch mit Narbonne keinen Handel gemacht; es iſt
nicht mit Einer Silbe von Geld als von Motiv unter uns die
Rede geweſen. Ich bin innig uͤberzeugt, daß ich nicht um ein
haarbreit verſchieden gehandelt haben wuͤrde, ſelbſt bei der Ge¬
wißheit, keinen Pfennig dadurch zu gewinnen; aber ich geſteh’
auch eben ſo aufrichtig, daß unter dem Berechnen der moͤglichen
Folgen jener Handlung der Gedanke mir lieb war, meine Gluͤcks¬
umſtaͤnde dadurch vermuthlich zu verbeſſern. Ich wollte mir
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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