den, um den guten Mann seines groben und offenbaren Irrthums inne werden zu lassen. Wir mußten beschämt abziehen, und verkannten in Scherz und Lachen keines¬ wegs die ernste Seite eines solchen im Leben oft bedeu¬ tend hervortretenden Beispiels von vergeblichem Kämpfen entschiedner Einsicht gegen die in ihrer Beschränktheit nur um so fester stehende vorgefaßte Meinung. --
Zwischen unsren geistigen Arbeiten und geselligen Scherzen drängte sich aber noch eine besondre Thätigkeit hervor, welche beide Elemente in ein gemeinsames Er¬ zeugniß gestaltend vereinigte. Unsre Studien, Gespräche und Erholungen, wie reichhaltig und lebhaft sie auch sein mochten, blieben doch, ohne den Zuschuß der Vor¬ lesungen, gleichsam verwaist, konnten kaum unsre Zeit ganz ausfüllen, aber bei weitem nicht unsre Triebe und Kräfte, welche viel größere Ansprüche machten, als wir selbst befriedigen konnten. Daß wir in diesem Zustande die Dichter zu lesen nicht vergaßen, versteht sich von selbst, wir lebten eben so sehr mit den Gestalten ihrer Welt, als mit denen der wirklichen. Da regte sich der Eifer eignen Hervorbringens, und durch Jean Paul Richters Flegeljahre, die uns wie alle Schriften dieses Autors sehr anzogen, geriethen Neumann und ich auf den Einfall, gemeinschaftlich einen Roman zu schreiben. Kein Plan wurde verabredet, als der, die neuste Zeit und deutsche Verhältnisse zu behandeln, die äußere Gleichmäßigkeit zu beachten und mögliche Einheit zu
II. 10
den, um den guten Mann ſeines groben und offenbaren Irrthums inne werden zu laſſen. Wir mußten beſchaͤmt abziehen, und verkannten in Scherz und Lachen keines¬ wegs die ernſte Seite eines ſolchen im Leben oft bedeu¬ tend hervortretenden Beiſpiels von vergeblichem Kaͤmpfen entſchiedner Einſicht gegen die in ihrer Beſchraͤnktheit nur um ſo feſter ſtehende vorgefaßte Meinung. —
Zwiſchen unſren geiſtigen Arbeiten und geſelligen Scherzen draͤngte ſich aber noch eine beſondre Thaͤtigkeit hervor, welche beide Elemente in ein gemeinſames Er¬ zeugniß geſtaltend vereinigte. Unſre Studien, Geſpraͤche und Erholungen, wie reichhaltig und lebhaft ſie auch ſein mochten, blieben doch, ohne den Zuſchuß der Vor¬ leſungen, gleichſam verwaiſt, konnten kaum unſre Zeit ganz ausfuͤllen, aber bei weitem nicht unſre Triebe und Kraͤfte, welche viel groͤßere Anſpruͤche machten, als wir ſelbſt befriedigen konnten. Daß wir in dieſem Zuſtande die Dichter zu leſen nicht vergaßen, verſteht ſich von ſelbſt, wir lebten eben ſo ſehr mit den Geſtalten ihrer Welt, als mit denen der wirklichen. Da regte ſich der Eifer eignen Hervorbringens, und durch Jean Paul Richters Flegeljahre, die uns wie alle Schriften dieſes Autors ſehr anzogen, geriethen Neumann und ich auf den Einfall, gemeinſchaftlich einen Roman zu ſchreiben. Kein Plan wurde verabredet, als der, die neuſte Zeit und deutſche Verhaͤltniſſe zu behandeln, die aͤußere Gleichmaͤßigkeit zu beachten und moͤgliche Einheit zu
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den, um den guten Mann ſeines groben und offenbaren
Irrthums inne werden zu laſſen. Wir mußten beſchaͤmt
abziehen, und verkannten in Scherz und Lachen keines¬
wegs die ernſte Seite eines ſolchen im Leben oft bedeu¬
tend hervortretenden Beiſpiels von vergeblichem Kaͤmpfen
entſchiedner Einſicht gegen die in ihrer Beſchraͤnktheit
nur um ſo feſter ſtehende vorgefaßte Meinung. —
Zwiſchen unſren geiſtigen Arbeiten und geſelligen
Scherzen draͤngte ſich aber noch eine beſondre Thaͤtigkeit
hervor, welche beide Elemente in ein gemeinſames Er¬
zeugniß geſtaltend vereinigte. Unſre Studien, Geſpraͤche
und Erholungen, wie reichhaltig und lebhaft ſie auch
ſein mochten, blieben doch, ohne den Zuſchuß der Vor¬
leſungen, gleichſam verwaiſt, konnten kaum unſre Zeit
ganz ausfuͤllen, aber bei weitem nicht unſre Triebe und
Kraͤfte, welche viel groͤßere Anſpruͤche machten, als wir
ſelbſt befriedigen konnten. Daß wir in dieſem Zuſtande
die Dichter zu leſen nicht vergaßen, verſteht ſich von
ſelbſt, wir lebten eben ſo ſehr mit den Geſtalten ihrer
Welt, als mit denen der wirklichen. Da regte ſich der
Eifer eignen Hervorbringens, und durch Jean Paul
Richters Flegeljahre, die uns wie alle Schriften dieſes
Autors ſehr anzogen, geriethen Neumann und ich auf
den Einfall, gemeinſchaftlich einen Roman zu ſchreiben.
Kein Plan wurde verabredet, als der, die neuſte Zeit
und deutſche Verhaͤltniſſe zu behandeln, die aͤußere
Gleichmaͤßigkeit zu beachten und moͤgliche Einheit zu
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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