Nebensache, die sich nur jetzt nicht ändern ließe, künftig aber unfehlbar weichen werde. Bis zuletzt nahmen zerstreuende Thätigkeiten uns in Anspruch. -- -- Als die Tage des Scheidens nun wirklich eintraten, ich mir vorstellen mußte, daß ich diese Augen bald nicht mehr sehen, diese Hand nicht mehr küssen, diese Stimme nicht mehr hören sollte, da mußt' ich gleichwohl verzagen, und das nahe Bild der verlassen zurückbleibenden Freundin brachte mich zur Verzweiflung, aus der nur die Gelübde des Wiedersehens sich um so stärker emporhoben, und einigen Trost gewährten. -- --
Ich war damals vierundzwanzig Jahr alt, Rahel um mehr als die Hälfte dieser Jahre älter, und dieser Umstand, welcher unsre gange Lebensstellung weit aus¬ einander zu rücken schien, hätte dies vielleicht wirklich vermocht, wäre er in sich selber wahr gewesen. Allein er bestand nur als Zufälliges, und war in allem Wesent¬ lichen aufgehoben und vernichtet. Dieses edle Leben, dem schon so mannigfache Weltanschauung geworden, ein so großer Reichthum von Glücks- und Leidensloosen zugetheilt gewesen, dieses Leben erschien unzerstörbar jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Geistes, der in freier Höhe über den Tageswogen schwebte, sondern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche Dasein, waren wie in frische Klar¬
Nebenſache, die ſich nur jetzt nicht aͤndern ließe, kuͤnftig aber unfehlbar weichen werde. Bis zuletzt nahmen zerſtreuende Thaͤtigkeiten uns in Anſpruch. — — Als die Tage des Scheidens nun wirklich eintraten, ich mir vorſtellen mußte, daß ich dieſe Augen bald nicht mehr ſehen, dieſe Hand nicht mehr kuͤſſen, dieſe Stimme nicht mehr hoͤren ſollte, da mußt’ ich gleichwohl verzagen, und das nahe Bild der verlaſſen zuruͤckbleibenden Freundin brachte mich zur Verzweiflung, aus der nur die Geluͤbde des Wiederſehens ſich um ſo ſtaͤrker emporhoben, und einigen Troſt gewaͤhrten. — —
Ich war damals vierundzwanzig Jahr alt, Rahel um mehr als die Haͤlfte dieſer Jahre aͤlter, und dieſer Umſtand, welcher unſre gange Lebensſtellung weit aus¬ einander zu ruͤcken ſchien, haͤtte dies vielleicht wirklich vermocht, waͤre er in ſich ſelber wahr geweſen. Allein er beſtand nur als Zufaͤlliges, und war in allem Weſent¬ lichen aufgehoben und vernichtet. Dieſes edle Leben, dem ſchon ſo mannigfache Weltanſchauung geworden, ein ſo großer Reichthum von Gluͤcks- und Leidenslooſen zugetheilt geweſen, dieſes Leben erſchien unzerſtoͤrbar jung und kraͤftig, nicht nur von Seiten des maͤchtigen Geiſtes, der in freier Hoͤhe uͤber den Tageswogen ſchwebte, ſondern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche Daſein, waren wie in friſche Klar¬
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Nebenſache, die ſich nur jetzt nicht aͤndern ließe, kuͤnftig
aber unfehlbar weichen werde. Bis zuletzt nahmen
zerſtreuende Thaͤtigkeiten uns in Anſpruch. — — Als
die Tage des Scheidens nun wirklich eintraten, ich mir
vorſtellen mußte, daß ich dieſe Augen bald nicht mehr
ſehen, dieſe Hand nicht mehr kuͤſſen, dieſe Stimme nicht
mehr hoͤren ſollte, da mußt’ ich gleichwohl verzagen, und
das nahe Bild der verlaſſen zuruͤckbleibenden Freundin
brachte mich zur Verzweiflung, aus der nur die Geluͤbde
des Wiederſehens ſich um ſo ſtaͤrker emporhoben, und
einigen Troſt gewaͤhrten. — —
Ich war damals vierundzwanzig Jahr alt, Rahel
um mehr als die Haͤlfte dieſer Jahre aͤlter, und dieſer
Umſtand, welcher unſre gange Lebensſtellung weit aus¬
einander zu ruͤcken ſchien, haͤtte dies vielleicht wirklich
vermocht, waͤre er in ſich ſelber wahr geweſen. Allein
er beſtand nur als Zufaͤlliges, und war in allem Weſent¬
lichen aufgehoben und vernichtet. Dieſes edle Leben,
dem ſchon ſo mannigfache Weltanſchauung geworden,
ein ſo großer Reichthum von Gluͤcks- und Leidenslooſen
zugetheilt geweſen, dieſes Leben erſchien unzerſtoͤrbar
jung und kraͤftig, nicht nur von Seiten des maͤchtigen
Geiſtes, der in freier Hoͤhe uͤber den Tageswogen
ſchwebte, ſondern auch das Herz, die Sinne, die Adern,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/190>, abgerufen am 21.11.2024.
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