schwer auszudrückende, aber für die Anschauung unver¬ kennbare Eigenart trat deutlich hervor, die auch in der Folge sich nur bestätigte, und mit dem Namen: ein österreichischer, oder vielmehr, wie aus früherer Gewöh¬ nung noch üblich war zu sagen, ein kaiserlicher Sol¬ dat, die ursprünglichste, selbstständigste, und man möchte sagen unveränderlichste Gestalt eines Kriegswesens be¬ zeichnete, das auf der starken Verknüpfung der ver¬ schiedenartigsten Völkerschaften und auf der ununterbro¬ chenen Ueberlieferung von Jahrhunderten ruht.
Mit der frühsten Morgenhelle des 21. Juni traf ich in Deutsch-Wagram ein, und bevor ich dem Halb¬ schlummer mich völlig entwunden, der in der Nachtfrische über mich gekommen war, fuhr der Postillon bis vor die Wohnung des Erzherzogs, wo die aufgepflanzte Fahne und eine Grenadierwache mir sogleich in die Au¬ gen fielen. Man glaubte, ich sei ein Kourier, und wollte den Erzherzog eiligst wecken, welches ich nur mit Mühe hindern konnte, indem ich wiederholt versicherte, daß ich keine Botschaft zu überbringen hätte, sondern nur in meinen persönlichen Angelegenheiten käme. Man verstand wenigstens, daß der Generalissimus nicht dürfe gestört werden, und ließ es damit gut sein. Ich aber fand mich in einer sonderbaren Lage. Sämmtliche Ge¬ bäude des großen Dorfes waren mit Einlagerung über¬ füllt, die nächsten alle mit hohen Offizieren oder Kanz¬ leien besetzt, wie sich an den vielen Schildwachen abneh¬
ſchwer auszudruͤckende, aber fuͤr die Anſchauung unver¬ kennbare Eigenart trat deutlich hervor, die auch in der Folge ſich nur beſtaͤtigte, und mit dem Namen: ein oͤſterreichiſcher, oder vielmehr, wie aus fruͤherer Gewoͤh¬ nung noch uͤblich war zu ſagen, ein kaiſerlicher Sol¬ dat, die urſpruͤnglichſte, ſelbſtſtaͤndigſte, und man moͤchte ſagen unveraͤnderlichſte Geſtalt eines Kriegsweſens be¬ zeichnete, das auf der ſtarken Verknuͤpfung der ver¬ ſchiedenartigſten Voͤlkerſchaften und auf der ununterbro¬ chenen Ueberlieferung von Jahrhunderten ruht.
Mit der fruͤhſten Morgenhelle des 21. Juni traf ich in Deutſch-Wagram ein, und bevor ich dem Halb¬ ſchlummer mich voͤllig entwunden, der in der Nachtfriſche uͤber mich gekommen war, fuhr der Poſtillon bis vor die Wohnung des Erzherzogs, wo die aufgepflanzte Fahne und eine Grenadierwache mir ſogleich in die Au¬ gen fielen. Man glaubte, ich ſei ein Kourier, und wollte den Erzherzog eiligſt wecken, welches ich nur mit Muͤhe hindern konnte, indem ich wiederholt verſicherte, daß ich keine Botſchaft zu uͤberbringen haͤtte, ſondern nur in meinen perſoͤnlichen Angelegenheiten kaͤme. Man verſtand wenigſtens, daß der Generaliſſimus nicht duͤrfe geſtoͤrt werden, und ließ es damit gut ſein. Ich aber fand mich in einer ſonderbaren Lage. Saͤmmtliche Ge¬ baͤude des großen Dorfes waren mit Einlagerung uͤber¬ fuͤllt, die naͤchſten alle mit hohen Offizieren oder Kanz¬ leien beſetzt, wie ſich an den vielen Schildwachen abneh¬
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ſchwer auszudruͤckende, aber fuͤr die Anſchauung unver¬
kennbare Eigenart trat deutlich hervor, die auch in der
Folge ſich nur beſtaͤtigte, und mit dem Namen: ein
oͤſterreichiſcher, oder vielmehr, wie aus fruͤherer Gewoͤh¬
nung noch uͤblich war zu ſagen, ein kaiſerlicher Sol¬
dat, die urſpruͤnglichſte, ſelbſtſtaͤndigſte, und man moͤchte
ſagen unveraͤnderlichſte Geſtalt eines Kriegsweſens be¬
zeichnete, das auf der ſtarken Verknuͤpfung der ver¬
ſchiedenartigſten Voͤlkerſchaften und auf der ununterbro¬
chenen Ueberlieferung von Jahrhunderten ruht.
Mit der fruͤhſten Morgenhelle des 21. Juni traf
ich in Deutſch-Wagram ein, und bevor ich dem Halb¬
ſchlummer mich voͤllig entwunden, der in der Nachtfriſche
uͤber mich gekommen war, fuhr der Poſtillon bis vor
die Wohnung des Erzherzogs, wo die aufgepflanzte
Fahne und eine Grenadierwache mir ſogleich in die Au¬
gen fielen. Man glaubte, ich ſei ein Kourier, und
wollte den Erzherzog eiligſt wecken, welches ich nur mit
Muͤhe hindern konnte, indem ich wiederholt verſicherte,
daß ich keine Botſchaft zu uͤberbringen haͤtte, ſondern
nur in meinen perſoͤnlichen Angelegenheiten kaͤme. Man
verſtand wenigſtens, daß der Generaliſſimus nicht duͤrfe
geſtoͤrt werden, und ließ es damit gut ſein. Ich aber
fand mich in einer ſonderbaren Lage. Saͤmmtliche Ge¬
baͤude des großen Dorfes waren mit Einlagerung uͤber¬
fuͤllt, die naͤchſten alle mit hohen Offizieren oder Kanz¬
leien beſetzt, wie ſich an den vielen Schildwachen abneh¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/199>, abgerufen am 21.11.2024.
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