die Sonderbarkeit, daß ich, wenigstens zum Ausgehen, als Türke gekleidet war. Das achtzehnte Jahrhundert hatte in seinen Zügen, ehe sie schrecklich wurden, unge¬ mein viel Kindisches, besonders in Deutschland, wo die Vorstellungen und Triebe eines lebhaft angeregten Bessern, zu dem man strebte, für die Ausübung in die engsten Schranken geklemmt waren, und da, wo sie sich nun doch Luft machten, oft nur als närrische Spie¬ lereien hervorkamen. Sprachbildung und Kinderzucht waren die jedem Thätigen am nächsten offnen Gebiete; wer sonst nichts konnte, machte sich eine eigne Ortho¬ graphie, worin die Deutschen, zwischen den siebzig und neunziger Jahren, zahllose Versuche angestellt, oder bearbeitete seine Kinder, was niemand wehren konnte. Durch Jean Jacques Rousseau's dringende Mahnungen war man auf bequeme, der Gesundheit vortheilhafte Bekleidung der Kinder allgemein bedacht, er selbst trug sich armenisch, die orientalische Tracht überhaupt hatte unläugbare Vorzüge, und mit ihr stimmten die neuauf¬ gebrachten Kleidungsstücke wenigstens in Weite und Fülle überein. Es war nur ein Schritt auf diesem Wege weiter, machte aber dennoch allgemeines Aufsehn, als mein Vater, mit eigengesinnter Kühnheit, seinen Kna¬ ben völlig türkisch gekleidet einhergehen ließ. Ich war lange Zeit für Erwachsene und Kinder ein Gegenstand des Staunens, des Bewunderns, wohl auch des Nei¬ des, denn mein Kaftan und meine Schärpe leuchteten
die Sonderbarkeit, daß ich, wenigſtens zum Ausgehen, als Tuͤrke gekleidet war. Das achtzehnte Jahrhundert hatte in ſeinen Zuͤgen, ehe ſie ſchrecklich wurden, unge¬ mein viel Kindiſches, beſonders in Deutſchland, wo die Vorſtellungen und Triebe eines lebhaft angeregten Beſſern, zu dem man ſtrebte, fuͤr die Ausuͤbung in die engſten Schranken geklemmt waren, und da, wo ſie ſich nun doch Luft machten, oft nur als naͤrriſche Spie¬ lereien hervorkamen. Sprachbildung und Kinderzucht waren die jedem Thaͤtigen am naͤchſten offnen Gebiete; wer ſonſt nichts konnte, machte ſich eine eigne Ortho¬ graphie, worin die Deutſchen, zwiſchen den ſiebzig und neunziger Jahren, zahlloſe Verſuche angeſtellt, oder bearbeitete ſeine Kinder, was niemand wehren konnte. Durch Jean Jacques Rouſſeau's dringende Mahnungen war man auf bequeme, der Geſundheit vortheilhafte Bekleidung der Kinder allgemein bedacht, er ſelbſt trug ſich armeniſch, die orientaliſche Tracht uͤberhaupt hatte unlaͤugbare Vorzuͤge, und mit ihr ſtimmten die neuauf¬ gebrachten Kleidungsſtuͤcke wenigſtens in Weite und Fuͤlle uͤberein. Es war nur ein Schritt auf dieſem Wege weiter, machte aber dennoch allgemeines Aufſehn, als mein Vater, mit eigengeſinnter Kuͤhnheit, ſeinen Kna¬ ben voͤllig tuͤrkiſch gekleidet einhergehen ließ. Ich war lange Zeit fuͤr Erwachſene und Kinder ein Gegenſtand des Staunens, des Bewunderns, wohl auch des Nei¬ des, denn mein Kaftan und meine Schaͤrpe leuchteten
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die Sonderbarkeit, daß ich, wenigſtens zum Ausgehen,
als Tuͤrke gekleidet war. Das achtzehnte Jahrhundert
hatte in ſeinen Zuͤgen, ehe ſie ſchrecklich wurden, unge¬
mein viel Kindiſches, beſonders in Deutſchland, wo
die Vorſtellungen und Triebe eines lebhaft angeregten
Beſſern, zu dem man ſtrebte, fuͤr die Ausuͤbung in die
engſten Schranken geklemmt waren, und da, wo ſie
ſich nun doch Luft machten, oft nur als naͤrriſche Spie¬
lereien hervorkamen. Sprachbildung und Kinderzucht
waren die jedem Thaͤtigen am naͤchſten offnen Gebiete;
wer ſonſt nichts konnte, machte ſich eine eigne Ortho¬
graphie, worin die Deutſchen, zwiſchen den ſiebzig und
neunziger Jahren, zahlloſe Verſuche angeſtellt, oder
bearbeitete ſeine Kinder, was niemand wehren konnte.
Durch Jean Jacques Rouſſeau's dringende Mahnungen
war man auf bequeme, der Geſundheit vortheilhafte
Bekleidung der Kinder allgemein bedacht, er ſelbſt trug
ſich armeniſch, die orientaliſche Tracht uͤberhaupt hatte
unlaͤugbare Vorzuͤge, und mit ihr ſtimmten die neuauf¬
gebrachten Kleidungsſtuͤcke wenigſtens in Weite und Fuͤlle
uͤberein. Es war nur ein Schritt auf dieſem Wege
weiter, machte aber dennoch allgemeines Aufſehn, als
mein Vater, mit eigengeſinnter Kuͤhnheit, ſeinen Kna¬
ben voͤllig tuͤrkiſch gekleidet einhergehen ließ. Ich war
lange Zeit fuͤr Erwachſene und Kinder ein Gegenſtand
des Staunens, des Bewunderns, wohl auch des Nei¬
des, denn mein Kaftan und meine Schaͤrpe leuchteten
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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