Tollheit zu rügen, war völlig erlaubt, und ich hatte mir für den Doppelroman, zu den übrigen litterarischen Figuren, auch einen Uebersetzer Wachholder ausgedacht, der wie Hölderlin's Sophokles werden sollte. Nur durch Zufall unterblieb es, und wahrlich mir zum Heil! Denn mir wäre es ein schrecklicher Gedanke, einen Geistes¬ kranken verspottet zu haben, eben so schauderhaft, wie eine Leiche prügeln zu wollen! Wie kläglich erscheint das irdische Beginnen, wie ohnmächtig der Haß und die Liebe, gegen das unerreichbar Entrückte! wie heili¬ gend der Tod und großes Unglück! Der Scherz gegen Hölderlin hätte freilich ihn selber nie berührt, wäre nicht böse gemeint gewesen, war in seiner Voraussetzung nicht unrecht einmal, und diese Voraussetzung war die argloseste: aber doch ist es mir unendlich lieb, daß die¬ ser Ausfall nicht geschah, ich fühle mich wie einer gro¬ ßen Gefahr, einem tiefen Frevel entgangen. -- Der arme Hölderlin! Er ist bei einem Schreiner in Kost und Aufsicht, der ihn gut hält, mit ihm spaziren geht, ihn so viel als nöthig bewacht; denn sein Wahnsinn ist nicht grade gefährlich, nur darf man den Einfällen nicht trauen, die ihn plötzlich anwandeln könnten. Er raset nicht, aber spricht unaufhörlich aus seinen Einbil¬ dungen, glaubt sich von huldigenden Besuchern umge¬ ben, streitet mit ihnen, horcht auf ihre Einwendungen, widerlegt sie mit größter Lebhaftigkeit, erwähnt großer Werke, die er geschrieben habe, andrer, die er jetzt
Tollheit zu ruͤgen, war voͤllig erlaubt, und ich hatte mir fuͤr den Doppelroman, zu den uͤbrigen litterariſchen Figuren, auch einen Ueberſetzer Wachholder ausgedacht, der wie Hoͤlderlin's Sophokles werden ſollte. Nur durch Zufall unterblieb es, und wahrlich mir zum Heil! Denn mir waͤre es ein ſchrecklicher Gedanke, einen Geiſtes¬ kranken verſpottet zu haben, eben ſo ſchauderhaft, wie eine Leiche pruͤgeln zu wollen! Wie klaͤglich erſcheint das irdiſche Beginnen, wie ohnmaͤchtig der Haß und die Liebe, gegen das unerreichbar Entruͤckte! wie heili¬ gend der Tod und großes Ungluͤck! Der Scherz gegen Hoͤlderlin haͤtte freilich ihn ſelber nie beruͤhrt, waͤre nicht boͤſe gemeint geweſen, war in ſeiner Vorausſetzung nicht unrecht einmal, und dieſe Vorausſetzung war die argloſeſte: aber doch iſt es mir unendlich lieb, daß die¬ ſer Ausfall nicht geſchah, ich fuͤhle mich wie einer gro¬ ßen Gefahr, einem tiefen Frevel entgangen. — Der arme Hoͤlderlin! Er iſt bei einem Schreiner in Koſt und Aufſicht, der ihn gut haͤlt, mit ihm ſpaziren geht, ihn ſo viel als noͤthig bewacht; denn ſein Wahnſinn iſt nicht grade gefaͤhrlich, nur darf man den Einfaͤllen nicht trauen, die ihn ploͤtzlich anwandeln koͤnnten. Er raſet nicht, aber ſpricht unaufhoͤrlich aus ſeinen Einbil¬ dungen, glaubt ſich von huldigenden Beſuchern umge¬ ben, ſtreitet mit ihnen, horcht auf ihre Einwendungen, widerlegt ſie mit groͤßter Lebhaftigkeit, erwaͤhnt großer Werke, die er geſchrieben habe, andrer, die er jetzt
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Tollheit zu ruͤgen, war voͤllig erlaubt, und ich hatte
mir fuͤr den Doppelroman, zu den uͤbrigen litterariſchen
Figuren, auch einen Ueberſetzer Wachholder ausgedacht,
der wie Hoͤlderlin's Sophokles werden ſollte. Nur durch
Zufall unterblieb es, und wahrlich mir zum Heil! Denn
mir waͤre es ein ſchrecklicher Gedanke, einen Geiſtes¬
kranken verſpottet zu haben, eben ſo ſchauderhaft, wie
eine Leiche pruͤgeln zu wollen! Wie klaͤglich erſcheint
das irdiſche Beginnen, wie ohnmaͤchtig der Haß und
die Liebe, gegen das unerreichbar Entruͤckte! wie heili¬
gend der Tod und großes Ungluͤck! Der Scherz gegen
Hoͤlderlin haͤtte freilich ihn ſelber nie beruͤhrt, waͤre nicht
boͤſe gemeint geweſen, war in ſeiner Vorausſetzung
nicht unrecht einmal, und dieſe Vorausſetzung war die
argloſeſte: aber doch iſt es mir unendlich lieb, daß die¬
ſer Ausfall nicht geſchah, ich fuͤhle mich wie einer gro¬
ßen Gefahr, einem tiefen Frevel entgangen. — Der
arme Hoͤlderlin! Er iſt bei einem Schreiner in Koſt
und Aufſicht, der ihn gut haͤlt, mit ihm ſpaziren geht,
ihn ſo viel als noͤthig bewacht; denn ſein Wahnſinn
iſt nicht grade gefaͤhrlich, nur darf man den Einfaͤllen
nicht trauen, die ihn ploͤtzlich anwandeln koͤnnten. Er
raſet nicht, aber ſpricht unaufhoͤrlich aus ſeinen Einbil¬
dungen, glaubt ſich von huldigenden Beſuchern umge¬
ben, ſtreitet mit ihnen, horcht auf ihre Einwendungen,
widerlegt ſie mit groͤßter Lebhaftigkeit, erwaͤhnt großer
Werke, die er geſchrieben habe, andrer, die er jetzt
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/130>, abgerufen am 04.12.2024.
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