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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die gräflichen
Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angesehnsten
Herren und Frauen des Städtchens für den Nachmittag
und Abend eingeladen. Dann erschien auch regelmäßig
der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der früher
in Holland sein Glück gemacht und darauf der Praxis
überdrüssig hieher sich zurückgezogen hatte; in bequemem
Hause und schönem Garten genoß er nach seinem Sinne
ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt
ungern unterbrochen sah. Er hatte große Kenntnisse,
studirte noch immer weiter, liebte Gemählde und Musik,
und war durch Denkart und Geschmack ganz dem Schloß
ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung
und Dienstwilligkeit eines Mannes, der durch sein Amt
unendliche Verationen ausüben konnte, dankbar zu
schätzen wußte.

Wir machten Ausflüge nach Borghorst und nach
Langenhorst, zweien Fräuleinstiftern, wo über das
Schicksal der unverheiratheten alten und jungen Damen,
denen nach der Absicht fürsorglicher Vorfahren hier ein
begünstigtes Dasein bereitet sein sollte, die eigensten
Betrachtungen anzustellen waren. Mir kam es vor,
als wenn die ältern und jüngern Damen mit einer
Art von Verzweiflung diese Begünstigung genössen, und
durch die ihnen gelassene Freiheit auch des letzten Tro¬
stes entbehrten, des Trostes gezwungen zu sein! Mehr
aber, als das Schicksal dieser Erwachsenen, zog mich

tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die graͤflichen
Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angeſehnſten
Herren und Frauen des Staͤdtchens fuͤr den Nachmittag
und Abend eingeladen. Dann erſchien auch regelmaͤßig
der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der fruͤher
in Holland ſein Gluͤck gemacht und darauf der Praxis
uͤberdruͤſſig hieher ſich zuruͤckgezogen hatte; in bequemem
Hauſe und ſchoͤnem Garten genoß er nach ſeinem Sinne
ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt
ungern unterbrochen ſah. Er hatte große Kenntniſſe,
ſtudirte noch immer weiter, liebte Gemaͤhlde und Muſik,
und war durch Denkart und Geſchmack ganz dem Schloß
ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung
und Dienſtwilligkeit eines Mannes, der durch ſein Amt
unendliche Verationen ausuͤben konnte, dankbar zu
ſchaͤtzen wußte.

Wir machten Ausfluͤge nach Borghorſt und nach
Langenhorſt, zweien Fraͤuleinſtiftern, wo uͤber das
Schickſal der unverheiratheten alten und jungen Damen,
denen nach der Abſicht fuͤrſorglicher Vorfahren hier ein
beguͤnſtigtes Daſein bereitet ſein ſollte, die eigenſten
Betrachtungen anzuſtellen waren. Mir kam es vor,
als wenn die aͤltern und juͤngern Damen mit einer
Art von Verzweiflung dieſe Beguͤnſtigung genoͤſſen, und
durch die ihnen gelaſſene Freiheit auch des letzten Tro¬
ſtes entbehrten, des Troſtes gezwungen zu ſein! Mehr
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[137/0149] tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die graͤflichen Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angeſehnſten Herren und Frauen des Staͤdtchens fuͤr den Nachmittag und Abend eingeladen. Dann erſchien auch regelmaͤßig der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der fruͤher in Holland ſein Gluͤck gemacht und darauf der Praxis uͤberdruͤſſig hieher ſich zuruͤckgezogen hatte; in bequemem Hauſe und ſchoͤnem Garten genoß er nach ſeinem Sinne ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt ungern unterbrochen ſah. Er hatte große Kenntniſſe, ſtudirte noch immer weiter, liebte Gemaͤhlde und Muſik, und war durch Denkart und Geſchmack ganz dem Schloß ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung und Dienſtwilligkeit eines Mannes, der durch ſein Amt unendliche Verationen ausuͤben konnte, dankbar zu ſchaͤtzen wußte. Wir machten Ausfluͤge nach Borghorſt und nach Langenhorſt, zweien Fraͤuleinſtiftern, wo uͤber das Schickſal der unverheiratheten alten und jungen Damen, denen nach der Abſicht fuͤrſorglicher Vorfahren hier ein beguͤnſtigtes Daſein bereitet ſein ſollte, die eigenſten Betrachtungen anzuſtellen waren. Mir kam es vor, als wenn die aͤltern und juͤngern Damen mit einer Art von Verzweiflung dieſe Beguͤnſtigung genoͤſſen, und durch die ihnen gelaſſene Freiheit auch des letzten Tro¬ ſtes entbehrten, des Troſtes gezwungen zu ſein! Mehr aber, als das Schickſal dieſer Erwachſenen, zog mich

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/149>, abgerufen am 22.11.2024.